Interview mit Dr. Ralf Heine über Corona und Covid-19

12. Juni 2020 | Bildung und Wissenschaft | 2 Kommentare

Ein Gespräch mit Dr. Ralf Heine, Facharzt für innere Medizin, Pneumologie und Notfallmedizin im Elisabeth-Krankenhaus, der mit seinem Team sozusagen an vorderster Corona-Front arbeitet.

Teil 2

HalleSpektrum: Politik und Wissenschaft – wie verträgt sich das in Corona-Zeiten?

Dr. Heine: Die Gesellschaft und die Politik sollten auf die wissenschaftlichen Experten schon hören. Wobei die Problematik aus meiner Sicht darin besteht, dass wissenschaftliche Sachverhalte vorgetragen werden, oftmals nicht so gut verständlich und dann gibt es Verwicklungen und Unklarheiten. Mir haben immer die Interviews mit Alexander S. Kekulé gefallen, die waren sachlich und unaufgeregt, er hat keine Panik verbreitet. Also man braucht Wissenschaftler, die aktuelle Informationen liefern, aber aus meiner Sicht sollten die nicht ständig in der Öffentlichkeit auftreten. Das bietet oft ein großes Potential für ein falsches Verständnis. Natürlich sollten das RKI oder die Leopoldina die Politik beraten. Aber ein Streit zwischen Drosten und Kekulé sollte nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Das führt zu Unsicherheiten. Meinungsverschiedenheiten unter Wissenschaftlern sind ja völlig normal, die sind sogar notwendig. Aber man sollte sie erst einmal wissenschaftsintern austragen, bevor man damit an die Öffentlichkeit geht..

Das ist bei jeder neuen Sache so. Man weiß erst mal nicht viel über die Krankheit. Täglich kommen neue Informationen hinzu. Dann wird das Ganze ausgewertet. Das hat insofern Nachteile, weil die Daten in dieser angespannten Situation nicht komplett und unabhängig überprüft werden können. Wir teilen viel mit, aber die Fakten sind noch nicht ganz sicher. Wir haben eben eine ganz besondere Situation. Es wurde viel publiziert, auch in großen renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften. Und die Experten wissen, das ist noch nicht geprüft. Das sind interessante Mitteilungen und gute Ansätze, aber die Bevölkerung nimmt das unter Umständen für bare Münze. Und daraus resultieren falschen Einordnungen.

HalleSpektrum: Mich hat damals irritiert, als Herr Wiehler vom RKI sagte, jeder Verstorbene, der positiv getestet wurde ist ein Corona-Toter, unabhängig von der Todesursache. Mich hat auch irritiert, das nur absolute Zahlen kommuniziert wurden. Wenn man mehr testet, wird man zwangsläufig mehr finden. Aber die Anzahl der Tests spielten am Anfang in der Darstellung der Krise keine Rolle.

Dr. Heine: Nicht jeder Verstorbene, bei dem das Coronavirus2 nachgewiesen wurde, ist an Covid verstorben. Man muss differenzieren, ob die Virusinfektion die Todesursache war oder ob der Mensch an einer anderen Krankheit (z.B.Herzinfarkt, Schlaganfall etc.) verstarb und die Virusinfektion nur eine Begleiterkrankung war.
Die Anzahl der Tests war aufgrund der anfangs relativ kleinen Testkapazität zu gering, um eine exakte epidemiologische Erhebung durchzuführen, das heißt die Anzahl der durchgeführten Tests ließ keine sichere epidemiologische Aussage zu.
Es wurde zuerst nur getestet bei begründeten Verdachtsfällen. Jetzt sind die Testkapazitäten größer und nicht mehr ausgelastet und es sollen nun auch Patienten ohne Symptome getestet werden. Das wird inzwischen schon gemacht. Jeder, der in ein Hallesches Krankenhaus kommt, wird getestet.

Erst jetzt, wenn wir auch Gesunde testen, werden wir die richtigen epidemiologischen Zahlen bekommen. Auch wenn man weiß, dass es falsch positive und falsch negative Tests gibt. Das kann sowohl testbedingt als auch entnahmebedingt sein. Es gibt überall mögliche Fehlerquellen.

Wir nehmen zum Beispiel Rachenspülwasser für die Covid-Diagnostik, nachdem der Patient richtig gegurgelt hat. Aber dann gibt es auch wieder das Problem, dass das Virus ab einer bestimmten Phase nur noch in den tiefen Atembereichen nachweisbar ist aber in den oberen nicht mehr.

Um eine durchgemachte Infektion zu beweisen, scheint der Antiköpertest sehr hilfreich zu sein. Die Antikörper gegen die Viren können aber erst frühestens 7-10 Tage nach Erkrankungsbeginn nachgewiesen werden. Für epidemiologische Untersuchungen und die Feststellung, ob die Erkrankung tatsächlich durchgemacht wurde, ist dieser Test sehr hilfreich.

Auch da gibt noch Qualitätsunsicherheiten, weil die externen Prüfungen der Antikörpertests noch nicht überall durchgeführt wurden.

Es wird sich in den nächsten Wochen und Monaten rasant viel tun und wir werden dann auch genauere Zahlen bekommen, die wirklich Auskunft über die Epidemiologie geben können.

In mehr als 80% der Fälle verläuft die Infektion symptomlos oder symptomarm.

HalleSpektrum: Herr Dr. Heine, wie gestaltet sich Ihr Alltag unter diesen Bedingungen auf Ihrer Station im Elisabeth Krankenhaus?

Dr. Heine: Wir haben über einen langen Zeitraum geplante Patienten nicht aufnehmen können, das geht jetzt langsam wieder los. Die Lungenstation war in eine Covidstation umgewandelt worden. Die Patienten mit anderen Lungenkrankheiten wurden auf den anderen internistischen Stationen behandelt und dort pneumologisch versorgt. Die Covid-Station war nie an die Kapazitätsgrenzen gekommen, aber das Engagement der Ärzte und Schwestern war enorm. Sie haben sich bereit gehalten und sich täglich ohne zaudern der Gefahr ausgesetzt. Da muß ich mich wirklich und aufrichtig bei den Kollegen und Schwestern bedanken.

Wenn die Ärzte und Schwestern den Covid-Bereich betreten Müssen Sie eine Schleuse passieren und ihre komplette Bekleidung wechseln, eine Schutzbrille aufsetzen und einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Vor dem Betreten des Patientenzimmers werden zusätzlich ein Kittel Und Handschuhe angezogen. Diese beiden Sachen müssen von Zimmer zu Zimmer immer gewechselt werden.Wenn man ins Patientenzimmer geht, zieht man noch einen Schutzkittel und Handschuhe an. Man wechselt komplett die Sachen, einschließlich Strümpfe. Wenn man beim Patienten war, zieht man die Einwegsachen aus, desinfiziert sich und geht in den anderen Raum der Schleuse, um sich normal anzuziehen.

Im Moment haben wir keinen Covid-Patienten mehr.

Wir haben aber noch immer einen Covid-Bereich in der Pneumologie, der jederzeit die Aufnahme von Kranken ermöglicht. Alles ist so flexibel gestaltet, dass wir jederzeit auch eine große Zahl von Covid-Patienten aufnehmen können.

Im Sommer werden wir wahrscheinlich nicht mehr viele Covid-Patienten bekommen, aber im Herbst könnte es noch mal problematisch werden.

HalleSpektrum: Wie schätzen Sie die Lage Deutschlands im Vergleich zu anderen Ländern ein?

Dr. Heine: Was ich sehr interessant finde, ist die unterschiedliche Herangehensweise der Länder. In England und den USA hat man es anfangs bagatellisiert und die hatten viele Tote. Schweden hingegen war immer moderat und da hielt sich das virale Geschehen dennoch in Grenzen. Katastrophal war es in Italien. Das hat sicherlich auch noch andere Hintergründe. Dort gibt es die Großfamilien, wo Menschen unterschiedlichen Alters zusammen leben und laut und viel reden – da verbreitet sich das Virus natürlich besser. Und die hat es dann auch hart erwischt.

In Deutschland hat man davon gelernt und die Gesundheitsämter waren schnell hinterher, es wurde viel mehr getestet. In kürzester Zeit wurde ein Konzept entwickelt, was ähnliche Ausmaße wie in Italien verhindert hat.

Und Deutschland hat auch ein besonders gut entwickeltes Gesundheitssystem mit viel Intensivkapazitäten.
Ich habe nicht ganz nachvollziehen können, dass wir nur relativ wenige Patienten aus den anderen europäischen Ländern in deutschen Kliniken aufgenommen haben.

Was mich gewundert hat ist, dass wir in Europa ja gut zusammen stehen, aber die Italiener hat man irgendwie hängen lassen.

HalleSpektrum: Wir hatten doch vier italienische Patienten?

Dr. Heine: Es ist erfreulich, dass das Bergmannstrost 4 Patienten aus Italien aufgenommen hat. Wir waren jederzeit bereit dies auch zu tun, die Kapazitäten waren vorhanden. Wir hatten so viele Möglichkeiten. In Berlin wurde eine ganze Messehalle umgerüstet, die nie benutzt wurde. Unsere Grenzen an Intensivbetten wurden in keiner Weise ausgeschöpft. Also – wir hätten in einem viel größeren Ausmaß anderen Ländern helfen können.

HalleSpektrum: Wie geht es weiter mit der Pandemie?

Dr. Heine: Im Moment fühlen sich die Menschen relativ sicher. Durch die umfangreiche Berichterstattung sind die Leute gut informiert und sensibilisiert. Ich hoffe, dass durch die Einhaltung der Hygieneregeln und rasches Handeln der Politik und der Gesundheitsämter ein massiver Anstieg der Erkrankungsfälle in Zukunft vermieden werden kann.

Wichtig ist zu wissen, wie man sich schützt. Ich halte den Mund-Nasenschutz für wichtig. Es gibt für gutes Geld diese Masken mit Ausatemventil, die schützt zwar den Träger, aber nicht sein Gegenüber, sie erfüllt also ihren Zweck nicht wirklich. Abstand halten und Hände waschen versteht sich inzwischen fast von selbst. Es kommt ja auch auf die Menge der Viren an, denen man begegnet und auf die Dauer des Kontakts. Kleinere Virenmengen werden wahrscheinlich die Krankheit nicht gleich auslösen. Es sind ja nicht alle Viren gleich aktiv, viele vielleicht sogar gar nicht ansteckungsfähig.

Es sind schon gute Entwicklungen, auch dass die Theater langsam wieder anfangen, das öffentliche Leben normal wird. Aber es muss schon mit der nötigen Vorsicht geschehen.

Was mir aber noch mehr Sorgen macht, ist die ganze wirtschaftliche Problematik, die mit der Pandemie zusammenhängt. Es ist ja nicht nur ein Land betroffen, sondern fast alle Länder. Wohin wird das gehen?

HalleSpektrum: Herr Dr. Heine, ich bedanke mich für dieses aufschlussreiche und interessante Gespräch!

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