„Gefühl und Norm“: Internationaler Kongress zur Pietismusforschung

20. August 2018 | Bildung und Wissenschaft | Keine Kommentare
Blick auf den Universitätsplatz. Foto: Norbert Kaltwaßer

Blick auf den Universitätsplatz. Foto: Norbert Kaltwaßer

Durfte ein frommer Christ im 18. Jahrhundert einfach fühlen oder gab es für ihn Grenzen des Fühlens, eine Art Gefühlspolizei, eine Norm, die bei zu viel oder falschem Gefühl eingriff? Widersprachen sich Gefühl und Norm? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der V. Internationale Kongress für Pietismusforschung, der vom 26. bis 29. August 2018 in Halle stattfindet. Erwartet werden 150 Teilnehmer aus Europa, Australien und Nordamerika. Ausgerichtet wird die Veranstaltung vom Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Zusammenarbeit mit den Franckeschen Stiftungen zu Halle und der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus.

Gefühl hat Konjunktur, im Leben wie in den Wissenschaften, so auch in der Historischen Emotionsforschung, deren Anregungen nun von der Pietismusforschung aufgenommen und bereichernd zurückgespielt werden sollen. Der Pietismus wurde und wird häufig noch immer als Gefühlsreligion beschrieben, allerdings wurde er von der Forschung in dieser Perspektive noch nicht ausreichend untersucht.

Der Pietismus entwickelte sich im 18. Jahrhundert zur wichtigsten Reformbewegung im Protestantismus. Zentral war für die Wegbereiter des Pietismus der diagnostizierte Mangel an Herzensfrömmigkeit und an einer entsprechend tatkräftigen Praxis – sowohl bei Theologen, Geistlichen und Lehrern als auch in der Bevölkerung. Im Zentrum pietistischer Reformbemühungen stand das frommfühlende Subjekt. „Dabei war es zu dieser Zeit überhaupt keine Selbstverständlichkeit, von oder über Gefühle zu sprechen“, sagt Dr. Christian Soboth vom Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU).

Gerade weil die Pietisten, ob in Halle, in Herrnhut oder andernorts, sich auf das Subjekt und seine Gefühle konzentrierten, wurden sie von anderen Positionen im lutherischen oder im reformierten Protestantismus als unorthodox kritisiert. Gegen diese zum Teil massive Kritik verwahrten sich die Pietisten. „Aus diesen Auseinandersetzungen entwickelte sich ein begleitender Diskurs der Selbstverständigung darüber, was Gefühl für Pietisten heißen konnte, was es heißen durfte und nicht durfte. Dementsprechend versuchten Pietisten, ihr Gefühlsleben einzurichten“, so Soboth weiter. Dieses Nachdenken über Theorie und Praxis des Gefühls habe auch immer ein Nachdenken über Erlaubtes und Unerlaubtes sowie äußere und innere Normen und Normierungen einbezogen. Ebenso sei die Frage, wie Gefühle, speziell Glaubensgefühle mit Worten kommuniziert und in Gesten und Taten dargestellt werden können, in diesem Diskurs wichtig gewesen, erklärt Soboth. Insgesamt war das 18. Jahrhundert geprägt von einem ständigen Aushandeln dessen, was als Gefühl zulässig erschien und was nicht.

Der Kongress hat das Ziel, die historischen Diskussionen zum Verhältnis von Gefühl und Norm im Pietismus interdisziplinär zu rekonstruieren. Dazu gehört auch die Frage, welche Instanz mit welchen Argumenten und in welchen Formen und Funktionen überhaupt Normen festlegen und darüber befinden durfte, welche Gefühle akzeptiert und welche verworfen wurden. Diskutiert werden sollen diese Aushandlungsprozesse im Spannungsfeld von Gefühl und Norm in Theologie und Frömmigkeit, Pädagogik und Erziehung, in den Künsten und der Philosophie. Hinzu kommen thematisch anschließende Beiträge zum Verhältnis von Pietismus und Genderfragen. Ein eigenes Panel bietet Nachwuchsforscherinnen und -forschern die Möglichkeit, ihre aktuellen Projekte der Fachcommunity vorzustellen und sich zu vernetzen. Neue methodische Zugänge in den Kulturwissenschaften werden ebenso erprobt wie Anwendungsformen der „Digital Humanities“. Das Generalthema bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für das gesamte Spektrum der interdisziplinären Forschung zum 18. Jahrhundert.

Eröffnet wird der Kongress am Sonntag, 26. August, 17 Uhr, mit einem Vortrag von Prof. Dr. Jacqueline Van Gent vom Centre of Excellence for the History of Emotions an der University of Western Australia über „Love, joy and tears. Emotions and Pietism in the early modern world“. Neben den Fachvorträgen steht auch eine wissenschaftliche Exkursion auf dem Programm: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden das Literaturmuseum Gleimhaus in Halberstadt und das Klopstockhaus in Quedlinburg besuchen. Beide Städte zählen zu wichtigen „Herzens- und Gefühlsorten“ des 18. Jahrhunderts.

Gefördert wird der Kongress von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er findet mit Unterstützung durch die Franckeschen Stiftungen zu Halle und die Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus statt.

Gefühl und Norm. Pietismus und Gefühlskulturen im 18. Jahrhundert
Internationaler Kongress für Pietismusforschung
26. bis 29. August 2018
Franckesche Stiftungen zu Halle

Programm: http://izp.uni-halle.de/veranstaltungen/kongress2018.htm

 

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