Formicozän statt Anthropozän? (1)

12. Juni 2021 | Bildung und Wissenschaft | Keine Kommentare

Es gibt eine Gruppe von Tieren auf unserem Planeten die mit den Menschen um die Dominanz auf der Erde konkurriert. Es sind winzige Tierchen, die in unterirdischen Bauten, in komplexen Wohnstrukturen, in Koexistenz mit Pflanzen oder wie Camper existieren. Sie sind allgegenwärtig, oft ungebetene Besucher und treten in Massen auf. Ihr Erfindungsreichtum ist nahezu grenzenlos. Sie leben in einer Welt, in der das Individuum nichts bedeutet. Entscheidungen werden im Kollektiv getroffen. Was zählt, ist das Wohl der Kolonie. Sie funktioniert wie ein Superorganismus. Die Rede ist von Formicoiden, von Ameisen.

Schlemmende Ameisen

Insekten sind die häufigsten Tiere auf unserer Erde. Ihre Zahl scheint grenzenlos. Sie dominieren seit Jahrmillionen den Planeten Erde. Besonders häufig sind Ameisen. Über 16.000 Arten von ihnen sind bekannt. An Biomasse wiegen sie soviel wie alle Menschen zusammen. Es gibt sie in unglaublicher Vielfalt. Sie sind ein Erfolgsgeschichte der Evolution. Ameisen krabbeln auf diesem Planeten seit über 100 Mio Jahren. Sie leben in hochorganisierten Kolonien. Die Jahrmillionen haben sie genutzt, um fast jeden irdischen Lebensraum zu erobern. Sie haben sich erfolgreich an alle denkbaren Lebensräume angepasst. Sie können, wie der Mensch, ihre Umwelt nach ihren Bedürfnissen gestalten. Einige leben in aufwändigen unterirdischen Bauten, andere verwenden vorhandene Baumaterialien, manche wandern obdachlos wie Nomaden. Wie bei den Menschen sind unter ihnen gemeinschaftliche Jäger und Sammler, Vegetarier, Gärtner, sogar Hirten vertreten. Alle diese Lebensweisen erfordern besondere Anpassungen der sozialen Organisation. 

Eine typische Ameisenkolonie besteht aus einer eierlegenden Königin, zahlreichen Arbeiterinnen und der Brut. Alle Arbeiterinnen sind sterile Töchter der Königin. Sie können sich nicht fortpflanzen. Sie sind zuständig für die Pflege der Brut, die Architektur und den Bau des Nestes, die Nahrungsbeschaffung und Interaktion mit anderen Organismen sowie die Verteidigung der Kolonie. Grundlegendes Organisationsprinzip der Ameisen ist: „Eine für alle! Alle für´s Volk!“.

Im Mittelpunkt steht dominant die Königin. Sie sorgt ständig für Nachwuchs, ist eine eierproduzierende Maschine. Aber sie kontrolliert auch mit chemischen Botschaften ihre Kolonie. Innerhalb weniger Wochen entwickeln sich über 4 Larvenstadien aus den Eiern erwachsene Ameisen.  Die Eier werden von den Arbeiterinnen versorgt, die geschlüpften Larven von ihnen gefüttert und gepflegt. Nach der Verpuppung werden sie zu neuen Arbeiterinnen. Die Aufgabenverteilung und Kommunikation geschieht über eine ausgeklügelte, subtile Kontrolle durch verschiedene Pheromone. Jedes Nest hat einen von der Königin produzierten charakteristischen Geruch, an dem sich Nestgenossen erkennen. Fremdlinge werden rasch bemerkt und attackiert.

Alle diese unglaublichen Fähigkeiten ermöglichen es den Ameisen, ihre Umwelt optimal zu nutzen, so wie wir Menschen es auch versuchen. Nur, Ameisen gibt es schon wesentlich länger auf der Erde. Und diese Zeit haben sie erfolgreich genutzt, die Erde in einen Planeten der Ameisen zu verwandeln. Sie haben etliche Klimakatastrophen sowie die Saurier überlebt. Das vom Menschen geprägte Anthropozän erscheint da im Vergleich zum Formicozän nur wie ein Wimpernschlag in der Erdgeschichte. Zum Erfolg der Ameisen hat wesentlich ihre Strategie beigetragen, das Wohl der Kolonie über das Wohl des Individuums zu stellen. Mit wenigen chemischen Signalen wird ein Ameisenvolk komplex gesteuert und funktioniert wie ein Superorganismus. 

Ameisen Sehen und Hören meist nicht besonders gut. Ihr Geruchssinn ist dagegen oft exzellent.  Ihre Kommunikation beruht auf chemischen Signalen, die bestimmte Entwicklungen und Verhaltensweisen bewirken. Man versteht zunehmend, wie chemiegesteuert die einfachen und komplexen Organisationsformen der Ameisen sind. Wir Menschen sind zwar keine Ameisen, aber es zeigen sich doch erstaunliche Parallelen in der Soziobiologie. Mehr dazu in Teil 2.

(H.J. Ferenz)

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