Ethnologen der Uni Halle erforschen gewaltfreie Konfliktlösung auf Madagaskar

1. November 2016 | Bildung und Wissenschaft | Ein Kommentar
Löwengebäude auf dem Universitätsplatz. Foto: Norbert Kaltwaßer

Löwengebäude auf dem Universitätsplatz. Foto: Norbert Kaltwaßer

„Bis Ende des 19. Jahrhunderts lässt sich Madagaskar als kriegerische Insel beschreiben“, sagt der Ethnologe Dr. Peter Kneitz von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Die Geschichte sei lange Zeit von häufig brutalen Auseinandersetzungen einzelner Herrscher geprägt gewesen. Mit Beginn der französischen Kolonialisierung endete diese Entwicklung relativ abrupt. „Die Franzosen haben versucht, die Bevölkerung zu befrieden“, so Kneitz weiter. Stabilere Rahmenbedingungen machten den Besatzern das Regieren leichter.

Seine Unabhängigkeit erhielt Madagaskar 1960. Danach blieb es dort im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Staaten weitgehend friedlich. „Natürlich gibt es innerhalb der Gesellschaft bedeutende Konflikte und Spannungen. Diese werden aber in der Regel im Rahmen der madagassischen Konsenskultur gelöst, häufig durch langwierige Verhandlungen“, so der Ethnologe. Zentral für dieses Selbstverständnis sei der Begriff der nationalen Solidarität, der auch in der Verfassung verankert ist.

Im Fokus der Untersuchung von Dr. Kneitz steht zum Beispiel der politische Konflikt von 2009 bis 2014. Der damalige madagassische Präsident Marc Ravalomanana soll während einer Protestaktion Soldaten beauftragt haben, mehrere Dutzend Menschen zu erschießen. Anstatt Vergeltung zu üben, reagierten die Demonstranten, beide politischen Lager und weite Teile der Bevölkerung mit Entsetzen und Empörung auf die Geschehnisse. Der moralische Druck auf den Präsidenten habe dazu beigetragen, dass er sein Amt schließlich aufgeben musste. Dass dieser Konflikt nicht weiter eskalierte, sei, so Kneitz, eher untypisch für postkoloniale Staaten. Seitdem habe es in dem Land keine derartigen Zwischenfälle mehr gegeben.

Wie sich auf Madagaskar die Idee der nationalen Solidarität entwickelt hat und warum sie eine so starke Wirkung auf die Bevölkerung hat, will Kneitz genauer erforschen. „Bis heute wird argumentiert, dass die Folgen der Kolonialisierung, wirtschaftliche Probleme und ethnische Konflikte nahezu unausweichlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in den postkolonialen Staaten führen.“ Doch auch Madagaskar gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Das rasche Bevölkerungswachstum führt zu Versorgungsengpässen und es gibt lang etablierte Konflikte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Trotzdem habe sich das Land völlig anders entwickelt: „Statt Krieg und Gewalt stehen Konsens und Solidarität im Vordergrund des gesellschaftlichen Diskurses.“

In den kommenden zwei Jahren will Peter Kneitz untersuchen, wie Konflikte in Madagaskar auf nationaler und lokaler Ebene gelöst werden. Dazu spricht er unter anderen mit Vertretern aus Politik und Kirche, sowie anderen Vertretern der Zivilgesellschaft. Auf lokaler Ebene würden außerdem Einzelpersonen eine wichtige Rolle spielen. Die Mittel für das Projekt, rund 240.000 Euro für drei Jahre, stammen aus dem Marie Sklodowska-Curie Stipendien-Programm der Europäischen Kommission im Rahmen von „Horizon 2020“.

 

Ace

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