Essen: Zwischen Hunger & Appetit

22. Januar 2022 | Bildung und Wissenschaft, Natur & Gesundheit | Keine Kommentare

Was soll ich essen? Diese Frage stellt sich uns tagtäglich in unserer Überflussgesellschaft. Jeder größere Supermarkt hält Tausende von Artikeln bereit. Wie sollen wir uns zwischen den verlockenden Angeboten und für eine gesunde Ernährung entscheiden? Einfacher haben es da Astronauten mit ihrer vorgefertigten, ausgewogen zusammengesetzten Nahrung („Reich mir mal die Tube mit dem Gänsebraten“). Anrühren. Fertig. Ein Renner ist sie jedoch nicht geworden. Wir wollen die Qual der Wahl. Das hat aber offenbar auch Vorteile gehabt.

Wenn wir Pflanzenfresser geblieben wären, hätten wir wohl nicht so rasch das heutige hohe Entwicklungsniveau erreicht. Ein menschlicher Urinstinkt war, sich den Bauch mit Kalorien vollzuschlagen, wenn man was Essbares gefunden hatte. Denn das passierte nicht oft. Wählerisch konnte man da nicht sein. Man verzehrte, was die Natur gerade im Angebot hatte. Früchte, Wurzeln, Nüsse, Insekten, Fische oder Kadaverreste. Dann lernten unsere Vorfahren aber zu Jagen. Um immer erfolgreicher auf die Pirsch zu gehen, brauchte man Intelligenz, Strategien und geeignete kognitive Fähigkeiten. Mit effektiven Jagdwaffen und steinernen Schneidewerkzeugen konnte man auch Großwild, also wahre Fleischberge erbeuten. Die nun weniger von Zufällen abhängige Proteinversorgung ermöglichte eine rasante Gehirnentwicklung. Unser Gehirn ist jetzt 3x so groß wie vor dem Konsum von Fleisch. Erfindungsreich erweiterten unsere Altvorderen ihre Ernährung. Mit dem Ackerbau kam Getreide auf den Speiseplan. Man lernte Vorräte anzulegen. Und dann begann man Speisen zu kochen, genießbarer und schmackhafter zu machen. Antrieb hierfür war nach wie vor der Hunger. 

Was wir immer mögen, ist süße Nahrung. Das ist uns angeboren. Zucker liefert sehr schnell Energie für unseren Stoffwechsel. Niedrige Blutzuckerwerte lösen Hungergefühle aus. Das Gehirn (Hypothalamus) reagiert besonders empfindlich auf Blutzuckermangel. Das hier ausgelöste Hungergefühl beherrscht dann zunehmend unser Verhalten: Irgendwas essen. Man erliegt rasch optischen und olfaktorischen Essreizen. Man ist nicht wählerisch. `Irgendwas essen` ist aber der falsche Weg. Um unseren Körper funktionstüchtig zu erhalten, werden ja viele sehr verschiedene Stoffe benötigt. Auch bei Hunger sollte man sich nicht über eine ausgewogene Nahrung hinwegsetzen. Irgendwann stellt sich dann aber eine sensorische Sättigung ein. Das funktioniert in jungen Jahren noch leidlich. Mit zunehmenden Alter klappt diese Regelung nicht mehr so recht. Nicht der Hunger, sondern die Lust am Essen, der Appetit packt uns. 

Warum essen wir, wenn wir doch keinen Hunger mehr haben? Es gibt viele Gründe: aus Gewohnheit, aus Gesundheitsgründen, weil es schmeckt oder gut aussieht, preiswert ist, Spaß macht, wir in Gesellschaft sind, es sozialen Standards entspricht, es gut tut und … Richtiger Hunger spielt nur noch nachrangig eine Rolle. Unser Essverhalten wird inzwischen stark von den Vorgaben unserer Lebenswelt bestimmt. Familie, Beruf, modische Trends, Umweltwertschätzung  gehören dazu. Komplexe Verhaltensweisen haben unsere angeborenen instinktiven Mechanismen verdrängt. Gefühle dominieren. Was esse ich gern? Und warum? Essen steuert unsere Gefühle und wir steuern unsere Gefühle mit Essen. Lebensmittelproduzenten wissen das. Sie sprechen unsere Gefühlswelt an mit Tausenden Produkten, die wir eigentlich nicht  brauchen. Und ständig kommen neue dazu. Hinter der scheinbaren Vielfalt an Produkten und Herstellern stehen in Deutschland nur 8 marktbeherrschende Lebensmittelkonzerne. Jeder wirbt für seine Produkte und setzt alles daran, die Konkurrenten gewinnbringend zu übertreffen. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen. Mit der Werbung werden Emotionen bei uns angesprochen, Versprechungen gemacht, um uns zum Kauf und Genuss zu verführen. Mit aufwändiger Forschung erkundet man, welche Produkteigenschaften uns und unsere Gefühle besonders gut ansprechen. Konsistenz, Farbe, Duft und Geschmack u.v.m. kann man oft problemlos optimieren und individuellen Kundenwünschen anpassen. Unsummen werden in solche Forschungen investiert. 

Es wird nicht nur ermittelt, wie was gut schmeckt, sondern auch, wie der Konsum gesteigert werden kann. Der Zaubertrick ist meist der Zusatz von Zucker.  Zucker findet unser Körper gut. Er wirkt wie eine Droge und unser Körper verlangt mehr davon. Nach zuckerhaltigem Essen wird das Hormon Insulin freigesetzt, das dafür sorgt, dass unsere Körperzellen Zucker aufnehmen. Außerdem wirkt es im Gehirn als Sättigungssignal. Insulin stimuliert gleichzeitig die Psyche. Es regt die Ausschüttung des Glückshormon Dopamin an. Dieser Neurotransmitter wirkt anregend auf die Lust- und Belohnungszentren des Gehirns. An den Zucker-Insulin-Dopamin-Wohlfühl-Effekt gewöhnen wir uns fatal. Mit der Droge Zucker werden wir verführt, mehr zu essen als notwendig. Bei industriell verarbeiteten Lebensmitteln wissen wir oft nicht, wieviel davon zugesetzt wurde. 

Wir müssen wieder lernen, uns natürlicher, ohne solche Zusätze zu ernähren. Dann stellen sich auch die uns mitgegebenen Regulationsmechanismen wieder ein. Intuitives, nichtmanipuliertes Essen ist wieder möglich. „Anfang und Wurzel alles Guten ist  die Freude des Magens; selbst Weisheit und alles, was noch über sie hinausgeht, steht  in Beziehung zu ihr“ (Epikur (341-270) in „Über die irdische Glückseligkeit“)

1977 sang Tommy Roe zuckersüß und glückselig: „Sugar, sugar“

Sugar, Honey , honey

you are my candy girl

And you got me wanting you

Honey, sugar, sugar …

 

(Hans J. Ferenz)

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