Erste Ergebnisse der Corona-Studie von Prof. Streek in Heinsberg
12. April 2020 | Bildung und Wissenschaft | 9 Kommentare
corona
Vorläufiges Ergebnis und Schlussfolgerungen der COVID-19 Case-ClusterStudy (Gemeinde Gangelt)
Prof. Dr. Hendrik Streeck (Institut für Virologie)
Prof. Dr. Gunther Hartmann (Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie, Sprecher Exzellenzcluster ImmunoSensation2 )
Prof. Dr. Martin Exner (Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit)
Prof. Dr. Matthias Schmid (Institut für Medizinische Biometrie, Informatik und Epidemiologie) Universitätsklinikum Bonn, Bonn, den 9. April 2020
Hintergrund: Die Gemeinde Gangelt ist in Deutschland einer der am stärksten von COVID19 betroffenen Orte Deutschlands. Es wird angenommen, dass das Infektionsgeschehen auf eine Karnevalssitzung am 15. Februar 2020 zurückzuführen ist, da mehrere Personen im Nachgang zu dieser Sitzung SARSCoV2 positiv getestet wurden. Die Karnevalssitzung und das Ausbruchgeschehen der Sitzung wird derzeit noch genauer untersucht. Es wurde eine repräsentative Stichprobe aus der Gemeinde Gangelt (12.529 Einwohner) im Kreis Heinsberg gezogen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt ein Protokoll, bei dem je nach zu erwartender Prävalenz stichprobenartig 100 bis 300 Haushalte untersucht werden. Diese Stichprobe wurde auf ihre Repräsentativität abgestimmt mit Herrn Prof. Manfred Güllner (Forsa).
Ziel: Das Ziel der Studie ist es, den Stand der durchgemachten und noch immer stattfindenden SARS-CoV2 Infektionen (Prozentsatz aller Infizierten) in der Gemeinde Gangelt zu bestimmen. Zusätzlich soll damit der Stand der derzeitigen SARS-CoV2 Immunität ermittelt werden.
Vorgehen: Ein Serienbrief wurde an ca. 600 Haushalte verschickt. Insgesamt nahmen ca. 1000 Einwohner aus ca. 400 Haushalten an der Studie teil. Es wurden Fragebögen erhoben, Rachenabstriche genommen und Blut auf das Vorliegen von Antikörper (IgG, IgA) getestet. In diese erste Auswertung gehen die Zwischenergebnisse und Rückschlüsse von ca. 500 Personen ein.
Vorläufiges Ergebnis: Es wurde eine bestehende Immunität von ca. 14% (antiSARS-CoV2 IgG positiv, Spezifität der Methode >,99 %) festgestellt. Etwa 2 % der Personen wiesen eine mittels PCR Methode festgestellte aktuelle SARS-CoV-2 Infektion auf. Die Infektionsrate (aktuelle Infektion oder bereits durchgemacht) betrug insgesamt ca. 15 %. Die Letalität (case fatality rate) bezogen auf die Gesamtzahl der Infizierten in der Gemeinde Gangelt beträgt mit den vorläufigen Daten aus dieser Studie ca. 0,37 %.
Die in Deutschland derzeit von der Johns-Hopkins University berechnete Letalität beträgt 1,98 % und liegt damit um das 5-fache höher. Die Mortalität bezogen auf die Gesamtpopulation in Gangelt beträgt derzeit 0,06 %.
Vorläufige Schlussfolgerung: Die von der Johns-Hopkins University berechnete 5- fach höhere Letalität im Vergleich zu dieser Studie in Gangelt erklärt sich aus der unterschiedlichen Bezugsgröße der Infizierten. In Gangelt werden mit dieser Studie alle Infizierten in der Stichprobe erfasst, auch diejenigen mit asymptomatischen und milden Verläufen. In Gangelt ist der Anteil der Bevölkerung, der somit bereits Immunität gegen SARS-CoV-2 ausgebildet hat, etwa 15%. Dies bedeutet, dass sich 15 % der Bevölkerung in Gangelt nicht mehr mit SARS-CoV-2 infizieren können, und der Prozess bis zum Erreichen einer Herdenimmunität bereits eingeleitet ist. Dieser 15-prozentige Anteil der Bevölkerung vermindert die Geschwindigkeit (NettoReproduktionszahl R in epidemiologischen Modellen) einer weiteren Ausbreitung von SARS-CoV-2 entsprechend. Durch Einhalten von stringenten Hygienemaßnahmen ist zu erwarten, dass die Viruskonzentration bei einem Infektionsereignis einer Person so weit reduziert werden kann, dass es zu einem geringeren Schweregrad der Erkrankung kommt, bei gleichzeitiger Ausbildung einer Immunität. Diese günstigen Voraussetzungen sind bei einem außergewöhnlichen Ausbruchsereignis (superspreading event, z.B. KarnevalsSitzung, Apres-Ski-Bar Ischgl) nicht gegeben. Mit Hygienemaßnahmen sind dadurch auch günstige Effekte hinsichtlich der Gesamtmortalität zu erwarten. Wir empfehlen daher ausdrücklich, die vorgeschlagene Vierphasen Strategie der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) zu implementieren.
Diese sieht folgendes Modell vor:
Phase 1: Gesellschaftliche Quarantänisierung mit dem Ziel der Eindämmung und Verlangsamung der Pandemie und Vermeidung einer Überlastung der kritischen Versorgungsstrukturen insbesondere des Gesundheitsversorgungssystems
Phase 2: Beginnende Rücknahme der Quarantänisierung bei gleichzeitiger Sicherung hygienischer Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen.
Phase 3: Aufhebung der Quarantänisierung unter Beibehaltung der hygienischen Rahmenbedingungen
Phase 4: Zustand des öffentlichen Lebens wie vor der COVID-19 Pandemie (Status quo ante).
Stellungnahme der DGKH ist hier zu finden: https://www.krankenhaushygiene.de/ccUpload/upload/files/2020_03_31_DGKH_Einladug_Lageeinschaetzung.pdf
Anmerkung: Diese Ergebnisse sind vorläufig. Die endgültigen Ergebnisse der Studie werden publiziert und der Öffentlichkeit vorgestellt, sobald diese vorliegen.
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Wirtschaftslobbyist Lindner scharrt mit den Hufen, will Laschets Lockerung zur „Blaupause“ machen. Und Streek wird zum Oberexperten des Landes geadelt. Ein Schuft, wer irgendwas dahinter vermutet: https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/nrw-expertenteam-zum-corona-exit-so-wuerde-laschet-die-regeln-lockern-69996868.bild.html
Die Vorwürfe stammen nicht von mir. ich habe lediglich die mir als wichtigste erschienenen Kritiken Zusammengefasst. die Links sind in den Zeitungsnamen zum nachlesen hinterlegt.
Warum geht ein Wissenschaftler einen solchen fachlich riskanten Weg?
In der Wissenschaft gilt als erster Neues zu veröffentlichen sein alles. Gerade bei solch einem wichtigen und neuem Thema. Zudem werden die Ergebnisse dringendst benötigt, und mit den Ergebnissen fließt auch (großes) Geld. Das ist extrem verführerisch.
Das Design der Studie ist ja von der Idee so verkehrt nicht. Nur gibt es nach Aussagen von Drosten bisher keinen einzigen wirklich spezifischen Covid19 Antikörpertest. Die Idee ist mit den bisherigen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Methoden schlichtweg nicht umsetzbar. Streeck sagt vermutlich deswegen bisher auch nicht, mit welchem Test er wie getestet hat. Schöne Idee, nur leider bislang unrealistisch.
Die Fehler mit den statistischen Abhängigkeiten kann man als Flüchtigkeitsfehler angesichts des hohen Zeitdruckes annehmen. Diese sollten in Ruhe behebbar sein.
Warum er zur Veröffentlichung die PR-Agentur von Dieckmann gewählt hat? Keine Ahnung, aber die Verführung erster zu sein und im Scheinwerferlicht der Medien zu stehen, war wohl zu groß. Das Land NRW hat die Ergebnisse von Streeck dann auch sehr schnell wieder von seiner Homepage genommen.
Kenne mich in der Viren-Szene nicht so aus. Aber warum sollte ein
a) Professor auf dem Gebiet und
b) der angeblich Spitzen-Forscher ist
derart g r a v i e r e n d e Fehler beim Setting der Studien machen und damit seinen Ruf vollkommen infrage stellen? Ich meine, wo ist das Motiv?
Klar sollte man die vorläufigen Ergebniss nicht für irgendwelche Schnellschüsse nutzen. Aber wem helfen die unhaltbaren Anschuldigungen von fractus? Dorsten und andere Wissenschaftler haben die Studie nicht zerrissenen, sie haben die vorläufigen Ergebnisse eingeordnet und darauf hingewiesen, dass diese ohne entsprechende Veröffentlichung, welche noch geplant ist, nicht beurteilt werden können. In Punkt 3 glüht der Aluhut dann völlig, es ist doch völlig Wurst was ein Kai Diekmann dort zu suchen hat. Herr Streeck hat erst einmal glaubhaft dargelegt, warum die PR Agentur involviert ist. Das kann man alles bewerten wenn wir Fakten kennen. So machst Du lediglich irgendwelche YouTube Schwurblern Konkurrenz.
Hab heute die „Zwischenbilanz“ und das Interview von Prof.Dr.med.Dr.hc Paul Robert Vogt, einem Schweizer Arzt gelesen. Googelt bitte!!
Sag ich doch.
@fractus hat mit seiner Kritik an der Streek-Statistik m.E. vollkommen recht. Gefährlich ist m.E., dass die Regierung Laschet dies offenbar nutzen will, um die von interessierten Wirtschaftskreisen herbeipropagandierte Lockerung der Einschränkungen „wissenschaftlich“ zu unterfüttern. Das wird ein gefährliches Experiment.
Model kommt 2 Monate zu spät!
Es wäre schön, wenn wir bei Corona endlich auch mal Licht am Ende des Tunnels sehen. Dafür benötigen wir eine seriöse Grundlage.
Die Studie Heinsberg/Gangelt aus dem Hause Streeck ist leider schon kurz nach Vorliegen von namhaften Wissenschaftlern, wie z.B. Herr Drosten methodisch zerrissen worden. Entsprechende Zusammenstellungen kann man problemlos in der Zeit oder der Sueddeutschen finden. Warum werden auf Hallespektrum.de für ein Laienpublikum solche fachlich umstrittenen Untersuchungen präsentiert, ohne die Kritik auch nur zu erwähnen.
Die Kritik richtet sich auf verschiedenen Punkte.
1) Es ist völlig unklar (und von Streeck bislang auch nicht erklärt) , ob und wie der verwendete Antikörpertest zwischen Infektionen durch COVID-19-Viren und anderen harmlosen Corona-Viren unterscheidet. Mit dieser Kritik ist die gesamte Datengrundlage hinfällig und die Studie wissenschaftlich wertlos.
2) Streeck hat in von COVID-19 betroffenen Haushalten alle Haushaltsmitglieder untersucht. Damit ist die Datengrundlage statistisch nicht mehr zufällig bzw. die getesteten Personen sind nicht mehr voneinander unabhängig. Bei der Hochrechnung hat Streeck diese Abhängigkeiten nicht berücksichtigt. Die veröffentlichten Zahlen sind somit selbst bei solider Datengrundlage aus statistischen Gründen zu hoch angegeben.
3) Die Ergebnisse wurde ohne die nötige wissenschaftliche Aufarbeitung (d.h. ohne eine saubere Beschreibung der verwendeten Methodik) durch eine Kommerzielle PR-Agentur veröffentlicht. Diese PR-Agentur hatte letztes Jahr einen im nachhinein völlig wertlosen Brustkrebstest als Sensation undWeltneuheit beworben. Die PR-Agentur gehörte Kai Dieckmann, den ehemaligen Chefredakteur der Bild, War solch eine effekthaschende und unseriöse Veröffentlichung für eine sauber wissenschaftliche Studie wirklich nötig?