Ein Nachmittag unter Archäologen

22. Oktober 2017 | Bildung und Wissenschaft | 3 Kommentare

Der Mitteldeutsche Archäologentag ist längst über Mitteldeutschland hinausgewachsen und hat sich als Internationale Tagung etabliert. Davon konnte sich HalleSpektrum am vergang. Freitagnachmittag im Hörsaal I. des Steintorcampus überzeugen. Das Thema des 10. Mitteldeutschen Archäologentages vom 19. bis 21. Oktober 2017 lautete „Überschuss ohne Staat – politische Formen der Vorgeschichte“. Wir berichteten …

Die Internationalität machte sich bereits in der Konferenzsprache deutlich: Alle an diesem Nachmittag gehaltenen Vorträge wurden auf Englisch gehalten. HalleSpektrum bekam zunächst einen Riesenschrecken, konnte danach aber gut folgen. Was im Programm und Abstractheft noch langweilig klang, wurde live unerhört spannend, was nicht zuletzt auch am Temperament der Referenten lag. Archäologen buddeln jahrelang ruhig in Erde und Büchern herum, aber wehe, wenn sie losgelassen!

Prof. Dr. em. Jean-Paul Demoule

Politische Formen in der Vorgeschichte ?

Und da wir hier keinen archäologischen Fachartikel über der Veranstaltung präsentieren können, wollen wir uns auf das Thema des Herausstreichens der politischen Formen in der Vorgeschichte, bzw. was durch arch. Funde erkennbar gemacht werden kann, konzentrieren. Prof. Dr. em. Jean-Paul Demoule aus Frankreich gab an diesem ersten freitäglichen Nachmittagsvortrag einen tollen Überblick über verschiedene neolithische Kulturen auf dem heutigen franz. Staatsgebiet, welche politischen Formen daraus erkennbar sein sollen, wurde nicht so recht klar.

Ein Grab nur für Priesterinnen (?) vorgestellt von Herrn García Sanjuán

Herr García Sanjuán von der Universität Sevilla und Prof. Dr. Martin Bartelheim (Tübingen) widmeten sich der Kupferzeit im Tal des Guadalquivir (Südspanien). Sie stellten u.a. ein sensationelles Grab vor, in dem Tholos de Montelirio wurden anscheinend nur Frauen mit reichen Beigaben und Bekleidungen aus tausenden Einzelteilen beerdigt. García Sanjuán ging hier weniger von sozialen Klassen, sondern von religiösen Klassen aus. In der anschließ. Diskussion mischte sich Prof. Rische ein, der betonte: „In der Tholos-Kultur waren große Siedlungen reicher als kleine.“ Von diesem Reichtum bekamen die „Priesterinnen“ von Montelirio eine Menge ins Grab gelegt.

Prof. Dr. Roberto Risch (Barcelona/E) sprach anders  als angekündigt nicht über talayotische Kulturen, sondern verglich mehrere neolithische Kulturen bez. ihrer politischen Formen. Er begann mit der Halaf-Kultur im Norden Mesopotamiens, besuchte das neolithische Griechenland und endete mit der Nuraghenkultur auf Sardinien. Für ihn gab es zuerst politischen Handeln, dann Reichtum. Politisches Handeln in der Vorgeschichte sieht er als Tauschhandeln an, darin hatten Frauen wichtige Rollen. Auch heute bräuchten die Leute mehr politische Mitwirkungsmöglichkeiten. Dies unterstrich er mit Bildern einer feministischen Demonstration in Barcelona (nicht von einer separatischen!).

Dr. Markus Reindel

Mit Dr. Markus Reindel verließen wir Europa und wandten uns nach Peru. Er sprach von der Entstehung der Monumentalität und damit dem Entstehen von komplexen Gesellschaften im Küstenstreifen des heutigen Perus und den Zentralanden. Von kleinen Siedlungen an der Küste, die bereits monumentale Bauwerke errichteten, und sich durch Meeresresourcen speisten, entwickelten sich auf Landwirtschaft bassierte Gruppen, die ins Landesinnere zogen und dabei zu komplexen Gesellschaften entwickelten. In der Frühzeit der Küstensiedlungen stimmte Reindel mit dem Modell von Rische überein, konnte in den frühen Monumentalbauten sogar Versammlungsstätten ausmachen, an dem „Politik“ gemacht wurde. Ob von Frauen oder Männer, hier lehnte sich Reindel nicht so wie Rische aus dem feministischen Fenster.

Dr. Rubén Mendoza

Von Südamerika ging es nun nach Mittelamerika: Bei Prof. Dr. Rubén Mendoza (Kalifornien) ging es nicht so sehr um politische Prozesse, sondern um die Rolle der Ressourcenbeschränkung und die Auswirkungen auf Hochland-Tiefland-Kontakte im präklassischen Mittelamerika. Das lief sehr temperamentvoll ab und mit vielen bunten Bildern mit spektaktulären Funden. Er zeigte auf, wie eine hochkomplexe Gesellschaft wie die der Olmeken durch eine Veränderung der Handelsrouten untergehen kann. Begonnen hatte er mit einer Geschichte: Durch einen Vulkanausbruch, der Niederschlag fand in der Mythologie Mittelamerikas, kam es zu einer großen Flüchtlingsbewegung in andere Landesteile: „Und was macht man mit Flüchtlingen? Man gibt ihnen Arbeit. So entstand eine der größten Pyramiden Mittelamerikas.“

Dr. Tristram Kidder

Mit Prof. Dr. Tristram Kidder (St. Louis) ging es anschließend zu Jäger- und Sammlerkulturen in Nordamerika. Er wußte mit dem Fundort Poverty Point zu beeindrucken, eine einmalige Anlage von beeindruckender Größe, die Versammlungsort für viele Jäger- und Sammlergruppen in ganz Nordamerika war. Mit 1,6 km² ist es vermutlich die größte Anlage einer Jäger- und Sammlerkultur weltweit. Um so etwas zu errichten, gehörte eine sehr gute Organisation dazu, dennoch gibt es lt. Prof. Kidder keinen Beleg für eine soziale Differenzierung. Zwar handelte es sich bei der Poverty-Point-Kultur um eine staatenlose Gesellschaft, Verständnis von Macht und Autorität war ihnen aber nicht fremd, dennoch lehnten sie diese ab. Sie entscheiden frei, wann sie Macht und Autorität akzeptieren. Kidder führte aus, dass diese Gemeinschaften auf naturgegebener oder legitimer Autorität bassiert, die nicht institutionalisiert, sondern vielmehr situationsabhängig ist.

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