Die Edmund-Husserl-Straße in Dölau erinnert an Halleschen Philosophen

23. Juni 2022 | Bildung und Wissenschaft | Keine Kommentare

Der promovierte Mathematiker und habilitierte Philosoph Edmund Husserl begründete die philosophische Strömung der Phänomenologie. Ab 1887 lehrte er
fünfzehn Jahre an der halleschen Universität und legte hier in Halle die Grundlagen für sein späteres wegweisendes Werk.

Nun erhält die Edmund-Husserl-Straße in Dölau Erläuterungsschilder, die über den Namensgeber informieren. Aus diesem Anlass lädt die Bürgerstiftung Halle
zu einem Presse- und Fototermin ein, der am  Montag, 27. Juni 2022, um 16 Uhr in der Edmund-Husserl-Straße / Ecke Alfred-Oelßner-Straße stattfinden wird.

Die Schilder wurden gespendet vom Zentrum für Schul- und Bildungsforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Anlass ist die Verabschiedung von Prof. Dr. Reinhold Sackmann aus dem Direktorium des Zentrums.

Zudem steht ein weiterer Abschied an: Anlässlich des 80. Geburtstages des halleschen Grafikers Bernd Schmidt, der lange Jahre das Projekt „Bildung im Vorübergehen“ mit seinen Schildentwürfen begleitet hat, wird er zum oben genannten Pressetermin feierlich verabschiedet.

(Bürgerstiftung Halle)


Näheres zu Edmund Husserl (1859–1938):

 

Am 8. April 1859 wurde Edmund Husserl in Proßnitz (Prostejov) in Mähren als zweiter Sohn des jüdischen Tuchhändlers Abraham Adolf Husserl und seiner Frau Julie geb. Selinger geboren. Er besuchte die städtische Hauptschule, später das Realgymnasium in der Leopoldvorstadt in Wien und
abschließend das deutsche Gymnasium in Olmütz (Olomouc), wo er 1876 die Matura (Abitur) ablegte.

Zunächst studierte Husserl drei Semester Astronomie an der Universität Leipzig, daneben belegte er Vorlesungen in Mathematik, Physik und Philosophie. Zum Sommersemester 1878 wechselte er an die Universität Berlin zum Studium der Mathematik und der Philosophie. Im Frühjahr 1881 ging er an die Universität Wien, wo er im Herbst des darauffolgenden Jahres mit einer Arbeit über die Theorie der Variationsrechnung im Fach Mathematik promovierte. In Wien studierte er nebenher das Neue Testament. Die aus diesem Studium erwachsenden Erfahrungen und die Vorlesungen seines
philosophischen Lehrers Franz Brentano gaben den Ausschlag, von der Mathematik zur Philosophie als Berufsziel zu wechseln.

Franz Brentano empfahl Husserl, sein Studium an der halleschen Universität fortzusetzen und sich dort bei dessen früherem Schüler Carl Stumpf zu habilitieren. Da der österreichische Doktortitel im preußischen Halle nicht anerkannt wurde, musste sich Husserl hier einer Nostrifikationsprüfung unterziehen, die jedoch mit der Habilitationsprüfung vereinigt wurde. Am 28. Juni 1887 bestand Husserl die erneute Doktorprüfung. Drei Tage danach disputierte er zu den acht von ihm eingereichten Thesen in der Aula und wurde zum Doctor Halensis erklärt. Abschließend hielt er wiederum drei Tage später vor den Mitgliedern der Philosophischen Fakultät seine Probevorlesung zur Streitfrage, „ob die Psychologie auf Selbstbeobachtung oder (psychophysikalisches) Experiment
zu gründen sei“ (Husserl in Halle, S. 27 und S. 187). Daraufhin erhielt er seine Licentia docendi und konnte ab dem Wintersemester 1887/88 als Privatdozent in Halle lehren. Zu seinem Freundeskreis gehörten sein Lehrer Carl Stumpf, der Mathematiker Georg Cantor und der Philologe Hans von Arnim.

In seinen fünfzehn Jahren in Halle legte Husserl den Grundstein für seine philosophische Ausrichtung – die Phänomenologie, die die Erkenntnis aus den Dingen selbst ziehen will und damit die Philosophie zu einer exakten Wissenschaft machen soll. Sein philosophisches Arbeiten in dieser Zeit war von Selbstzweifeln geprägt. Kraft gaben ihm die Worte im Giebel der Franckeschen Stiftungen „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler“ (Jesaja 40,31).  Husserls erste Buchveröffentlichung „Die Philosophie der Arithmetik“, 1891 nahm die Grundfragen seiner Habilitationsschrift „Über den Begriff der Zahl“ wieder auf und versuchte mit der Erklärung der mathematischen Grundbegriffe der Vielheit, Einheit und Anzahl die Fundamente der Mathematik zu sichern.

In den 1890er Jahren widmete sich Husserl logischen und erkenntnistheoretischen Problemen. 1900/1901 erschienen der erste und der zweite Teil der „Logischen Untersuchungen“. Zum Wintersemester 1901/1902 wurde Edmund Husserl zum außerordentlichen Professor an die Universität Göttingen berufen. Seine Philosophie wurde nun „zur Theorie eines absoluten, alle Sinngehalte konstituierenden Bewußtseins, zu dessen Freilegung eine Methode komplizierter
Schritte führt, die transzendentalphänomenologische Reduktion“ (Sepp, S, 188). 1905 wurde Husserl zum ordentlichen Professor ernannt. In dieser Zeit gewann Husserls Art zu philosophieren an der Münchner Universität eine begeisterte Anhängerschaft, aus der die sogenannte Phänomenologische Bewegung hervorging. Unter Husserls Hauptherausgeberschaft (neben weiteren Philosophenkollegen) trat diese Bewegung ab 1913 mit dem „Jahrbuch für Philosophie und
phänomenologische Forschung“ in die Öffentlichkeit. Bis 1930 erschienen davon insgesamt elf Bände.

Im März 1916 wechselte Husserl an die Universität Freiburg. Hier baute er seine bereits in Halle konzipierte transzendentalphänomenologische Philosophie weiter aus. Während Husserl in den Göttinger Jahren im offenen Austausch mit den Studenten philosophierte und noch auf der Suche war, sah er seine transzendentale Phänomenologie nun als in den Fundamenten gesichert an und wollte sie weiter erschließen. Sein Zuhörerkreis wurde internationaler, Studierende aus den USA und aus Japan gehörten dazu. Martin Heidegger war Assistent und später Nachfolger Husserls – sein bedeutendster Gesprächspartner und Mitarbeiter in der Freiburger Zeit. In seinen Untersuchungen zur Ethik gewann das Thema der handelnden Subjekte in ihrer Umwelt breiteren Raum. Dabei ging es ihm um die Erneuerung des Menschen und der gesamten Menschheit durch die Praxis des Philosophierens.

Nach seiner Emeritierung im Jahr 1928 führte Husserl seine Vorlesungen bis zum Sommersemester 1929 weiter, und er hielt Vorträge im In- und Ausland, die seinen internationalen Ruf festigten. Im Juni 1931 sprach er vor der Kant-Gesellschaft in der Aula der halleschen Universität über „Phänomenologie und Anthropologie“. Obwohl Husserl bereits in seiner Studienzeit zum evangelisch-lutherischen Glauben konvertiert war, wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft nach 1933 im eigenen Land ausgegrenzt, als emeritierter Professor beurlaubt und von der Forschung ausgeschlossen. Dem stehen zahlreiche
internationale Ehrungen ausländischer wissenschaftlicher Akademien gegenüber.

Während der Arbeit an seiner Schrift „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie“ erlitt Husserl einen Unfall, von dem er sich nicht wieder erholte. Er starb am 27. April 1938 und ist auf dem Friedhof in Günterstal bei Freiburg begraben. Edmund Husserl arbeitete nach seiner Emeritierung bis zu zehn Stunden täglich an seinem Lebenswerk. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten traten Überlegungen in den
Vordergrund, wie sein Werk gerettet und der Öffentlichkeit auch nach seinem Tod zugänglich gemacht werden könne. Bis zum Ende seines Lebens hat er über 40.000 Manuskriptblätter (Vorlesungstexte und Forschungsmanuskripte) geschrieben – in Gabelsberger Stenographie, die seine Assistenten Edith Stein, Ludwig Landgrebe und Eugen Fink für die weitere Bearbeitung oder den Druck vorbereiteten, sie ordneten, übertrugen und ausarbeiteten. Nur eines dieser
Manuskriptblätter ist zu Husserls Lebzeiten erschienen. Der Nachlass wurde von seiner Witwe Malvine Husserl an den belgischen Franziskanerpater Herman
Leo Van Breda weitergegeben, der sich um dessen Sicherung und spätere Herausgabe kümmerte. Daraus ist das Husserl-Archiv in der Universitätsstadt Leuven entstanden.

Quellen:
• Hans Rainer Sepp (Hrsg.): Edmund Husserl und die Phänomenologische Bewegung. Zeugnisse
in Text und Bild. Freiburg/München, 1988.
• Hans-Martin Gerlach & Hans Rainer Sepp (Hrsg.):Husserl in Halle. Spurensuche im Anfang der
Phänomenologie. Frankfurt/M., 1994
• Digitalisate der Halleschen Tageszeitung aus der ULB Halle

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