Deutschlands Hoffnung auf den Impfstoff – und was Migration damit zutun hat
13. November 2020 | Bildung und Wissenschaft | 3 Kommentare
Für große Euphorie sorgte Mitte dieser Woche die Nachricht, ein erster möglicher Impfstoff gegen das Corona-Virus stünde bereits kurz vor der Zulassung. Dass das Biotechnologie-Unternehmen auf dem hoffnungsvollen Weg außerdem die Mainzer Firma BioNtech ist, war da nur das Sahnehäubchen der Neuigkeit und ließ sowohl den DAX als auch den Gesundheitsminister Jens Spahn gleichermaßen in die Höhe springen.
Gleich zu Beginn des Jahres war bei BioNtech das Projekt „Lightspeed“ also Lichtgeschwindigkeit gestartet. Und seither machte die Projektarbeit des Unternehmens seinem Namen alle Ehre. Denn es ging und geht schließlich um nichts Geringeres als die Entwicklung eines Impfstoffes gegen das neuartige Coronavirus – und zwar in Rekordzeit! Diese Entwicklung scheint nun erste Früchte zu tragen. So lautet die Mitteilung nach nur wenigen Monaten der Arbeit, der mögliche Impfstoff biete einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor der Ansteckung mit Covid-19. Das ist vor allem deshalb so beeindruckend, weil klassischen Impfstoffentwicklungen im Schnitt 5-10 Jahre der Forschung vorausgehen.
BioNtech beschäftigt heute ungefähr 1300 Mitarbeiter in 60 Ländern, Tendenz steigend. Seit es im weltweiten Rennen um den Corona-Impfstoff ganz weit vorne mit dabei ist, profitiert es außerdem von der Unterstützung des US-Pharmagiganten Pfizer, der erst im Frühling dieses Jahres Partner des deutschen Unternehmens wurde. Und auch die Bundesregierung will mitmischen und sich den Impfstoff sichern, bevor ihn andere für sich beanspruchen. Schon Anfang des Jahres stellte sie daher einen Sonderfond für Forschung und Herstellung von Impfstoffen in Höhe von 750 Millionen Euro bereit, von denen BioNTech knapp 375 Millionen erhielt.
Diese Investition scheint ihren Zweck zu erfüllen. So sicherte sich die Europäische Union vor wenigen Tagen bis zu 300 Millionen Dosen des Corona-Impfstoffs. Die Versorgung für Deutschland ist also ebenfalls gesichert!
Alle blicken nun hoffnungs- aber auch erwartungsvoll nach Deutschland. Dem Land, dass schon immer für seine brillanten Köpfe in der Welt bekannt war. Aber wem gebührt die große Ehre eigentlich? Wer sind die Köpfe hinter BioNtech und diesem so außergewöhnlichen Erfolg, der uns nun mit so viel Stolz erfüllt?
In erster Linie zwei Menschen: das deutsche Ehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci und – obwohl dies nichts zur Sache tun sollte – sagen es ihre Namen bereits voraus: beide sind deutsche Staatsbürger mit türkischen Wurzeln. Kinder von Migranten, die nach Deutschland gekommen waren, als sie dieses Land noch dringend brauchte und mit Kusshand aufnahm, um die nahezu ausradierte Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wieder anzukurbeln. Er, geboren in der Türkei, und als Kleinkind nach Köln gezogen, wo sein Vater bei den Ford-Werken als Gastarbeiter tätig war. Sie, Tochter eines türkischen Chirurgen, der aus Istanbul ebenso nach Deutschland immigrierte.
Ugur Sahin studierte in Köln Humanmedizin und ist inzwischen ein weltweit anerkannter Krebs- und Immunologie-Forscher. Özlem Türeci studierte im Saarland, gründete gemeinsam mit ihrem Mann und dem österreichischen Mediziner Christoph Huber 2008 BioNtech und gilt heute als Pionierin in der Krebsimmuntherapie.
Endlich also eine Migranten-Erfolgsstory die uns vermeidlich beweist, dass es in Deutschland wirklich jeder schaffen kann, wenn er sich nur anstrengt. – Andererseits täuscht eine Aussage wie diese über den Alltag vieler Migranten in Deutschland hinweg. Ganz so, als gäbe es Diskriminierung, Chancenungleichheit und auch Scheinheiligkeit gar nicht. Schließlich sind es Migranten, die den Wutbürgern der Nation hinter ihren Bildschirmen offenbar stets beweisen müssen, dass sie es (auch) zu etwas bringen können. Denn: „Sonst hört man ja nur Negativ-Schlagzeilen!“
Sollte es dann nicht lieber heißen: „Sie haben es nicht dank, sondern trotz der Gegebenheiten in diesem Land geschafft?
In jedem Fall zeigt die bloße Tatsache der Nachricht über den Migrationshintergrund des nun weltbekannten Forscherpaars, dass es gesellschaftlich noch immer viel zu tun gibt …
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Schrödinger wäre glücklich. Die Armen sind Chancenlos an den längst internationalisierten Hochschulen. Wir bilden vermeintlich zu wenig Menschen an Hochschulen aus und haben trotzdem eine nie dagewesene Akademisierung der Gesellschaft. Wir holen schon zu viele Menschen nach Deutschland und sollen noch mehr holen.
Vielleicht hängt der „Erfolg“ auch am Willen zur Integration und vielleicht sollte der ein essentieller Punkt bei der Einbürgerung sein. Dann gibt es weniger Negativbeispiele und mehr Akzeptanz, dass man es mit diversen Biografien schaffen kann, ist ja schon bewiesen.
Ziel der letzten Hochschulreformen war ja die Kostensparerei. Ein Weg hierfür ist, die Leute nicht erst auszubilden, sondern gleich fertige Leute im Ausland einzukaufen. „Brain drain“ heisst sowas und ist regelmäßiges Begehren der deutschen Industrielobby.
War die DDR noch stolz auf das Krankenhaus in Managua ist man in der BRD heute stolz auf den äthiopischen Arzt im Uni-Klinikum.
Das gilt für die hier Beworbenen, mit einer inländischen Bildungskarriere sicher nicht, aber dieser Teil sollte ebenfalls bedacht werden, bevor zu simple Schwarz-Weiß-Bilder gemalt werden.
Nicht nur das Prekariat internationalisiert sich – die geistige Elite ist schon lange international, an unseren Universitäten gehören Nationalismen seit Generationen der Vergangenheit an. Wer eine kurze Zeit an irgendwelchen Universitäten gearbeitet hat, wird das sofort bestätigen. Das ist schon seit einigen Generationen so und eigentlich jedem eine Selbstverständlichkeit, der den Wissenschaftsbetrieb auch nur annähernd kennt. Den Deutschen, der im stillen Kämmerlein allein einen deutschen Motor erfindet, gibt es schon lange nicht mehr.
Diese Sarraziniaden, dass türkische Einwanderer nur Kopftuchmädchen und Gemüsehändler reproduzieren, mögen der geschundenen deutschen Männerseele Labsal sein, klammern aber die andere Seite gesellschaftlicher Realität immer wieder aus.