Auf den Weg in die Bildungskatastrophe?

16. August 2019 | Bildung und Wissenschaft | 5 Kommentare

Gestern startete das Schuljahr 2019/2020 in Sachsen-Anhalt. In diesem Schuljahr gibt es zahlreiche Neuerungen, kündigte der Bildungsminister Marco Tullner in einer Presseerklärung an. Es wird einen Praxislerntag und eine neue Oberstufenverordnung für die kommenden 11. Klassen geben. Weitere Neuigkeiten unter Hintergrund s.u.

Was bereits der INSM-Bildungsmonitor beklagt, ist die Personalsituation in Sachsen-Anhalt eine Katastrophe. Pünktlich zum Schuljahresbeginn hat der Lehrermangel nach HalleSpektruminformationen auch die Gymnasien in Halle erreicht. Es kann keine ausreichende Unterrichtsversorgung mehr gewährleistet werden. Die Gymnasien in Halle können nur noch eine Versorgung von 98 %, ein Landesgymnasium nur noch 96 % abdecken. Da klingt viel, bedeutet aber das Fehlen von mehreren Vollzeitstellen pro Schule und kann Unterrichtsausfall von bis zu 60 Wochenstunden bedeuten. Der Bildungsminister (und seine Vorgänger davor in Vorbereitung) ermöglichen Fridays-for-future die ganze Woche. Noch schlimmer schaut es bei Grundschulen und bei den Förderschulen aus. Krisengebiete in Sachsen-Anhalt sind die Altmark und die Börde. Dort müßten ganze Schulen geschlossen werden, denn ein Gegensteuern ist nicht zu erkennen, wenn nur knapp über 60 % aller Stellen neu besetzt werden, während pro Jahr ca. 1000 Lehrer ausscheiden.

Marco Tullner

Für Bildungsminister Tullner ist die Personalsituation  zum Schuljahresstart lediglich sehr angespannt. Er meint:

„In diesem Jahr konnten bisher ca. 600 neue Lehrkräfte gebunden werden. 550 offene Stellen werden derzeit mit viel Engagement bearbeitet und täglich gehen Angebote zur Besetzung an Bewerber. Aber gerade die massiv gestiegenen Zahlen der Lehrkräfte in Elternzeit und die hohen Altersabgänge führen zur angespannten Situation. Es wird mit Hochdruck an allen Stellen gearbeitet.“

Tullner kündigte zudem den Start eines neuen Seiteneinsteigerportals an, das es Interessenten im Vorfeld einer Bewerbung ermöglicht, den Einsatz prüfen zu lassen. Darüber hinaus werden zeitnah Stellenkontinente dauerhaft zur Besetzung ausgeschrieben. Kurz, es wird jeder genommen, der sich einigermaßen eignet und nicht bei drei auf einen Baum geflüchtet ist. Währenddessen werden die Bedingungen für Lehrerinnen, die ihre Ausbildung noch zu DDR-Zeiten absolviert haben, immer schlechter, was nicht gerade die Motivation in den überalterten Kollegien steigert.

Was tun? Kann überhaupt noch etwas getan werden oder kann bei dem Unwohl unserer Kinder nur noch hilflos zugeschaut werden? Lydia Hüskens von der FDP, selbst in der Bildung tätig, hat da Ideen:

Hüskens: Bildungsmonitor zeigt, dass ein Bildungspakt Sachsen-Anhalt erforderlich ist

Lydia Hüskens

„Sachsen-Anhalt braucht dringend eine noch intensivere Kooperation zwischen Kita und Schule, um die Übergänge besser zu gestalten. Frühe Sprachstandsfeststellungen, systematische Förderung bei Defiziten und ein höherer Personal- und Sachmitteleinsatz in Kitas, die in sozialen Brennpunkten liegen, müssen endlich umgesetzt werden“, so Lydia Hüskens, stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Sachsen-Anhalt.

Bildungskonferenzen auf Landkreisebene, bei denen Unternehmer, Verwaltung und Schulen an einem Tisch sitzen und vor allem das Thema des Übergangs von Schule in die Ausbildung besprechen, könnten ein weiterer Baustein zu mehr Qualität sein. Darüber hinaus seien eine Evaluation der Personalgewinnung sowie eine Bedarfsplanung erforderlich, um das Personalproblem im Land schrittweise zu mildern und zu lösen, merkt Hüskens an.

„Nach mehreren frustrierenden Jahren scheint es Zeit zu sein, den gesamten Ausschreibungsprozess zu überdenken von der Werbung für eine Arbeit in Sachsen-Anhalt bis hin zu den einzelnen Bewerbungsschritten. Die Ansprache der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer muss sich ändern. Die Informationen über Arbeits- und Lebensbedingungen in unserem Land, auch für die Lebenspartner, müssen einen höheren Stellenwert bei der Personalakquise einnehmen.

Wenn Verwaltung das nicht leisten kann, weil es nicht zu ihren Kernaufgaben gehört, dann muss hier externe Hilfe hinzugezogen werden. Sachsen-Anhalt darf nicht den Anschluss verpassen und muss die zentralen Herausforderungen wie Digitalisierung und optimale Betreuungsrelationen angehen. Hier werden die Weichen für die Zukunft unseres Landes gestellt,“ so Hüskens abschließend.

Hintergrund

Modellprojekt Praxislerntag:

Durch das Duale Lernen in Form von Praxislerntagen sollen die Schüler fachliche, personelle und soziale Kompetenzen außerhalb der „Laborsituation“ Schule erwerben. Der Praxislerntag ist Bestandteil der Stundentafel; er wird durch folgende Elemente charakterisiert:

  • schulhalbjährlich wechselnde Praxislernorte für einen kontinuierlichen Praxisbezug
  • Betreuung der Schülerinnen und Schüler durch Praxismentoren am Praxislernort
  • kontinuierliche Lernbegleitung durch Lehrkräfte
  • Pädagogische Arbeitsstelle „Duales Lernen“ zur Unterstützung der Schulen und

zur Sicherung der Verbindung zur Wirtschaft

  • veränderte Lernform durch praktische Tätigkeit am Praxislernort
  • dem Praxislerntag angepasste Aufgabenstellungen
  • fächerübergreifende und –verbindende Planung, Organisation und Auswertung

Die Praxislerntage werden im 8. und 9. Schuljahrgang in der Sekundarschule und, mit Ausnahme der Gymnasialzweige, in der Gemeinschaftsschule durchgeführt. Vorbereitende Maßnahmen hierfür sollen im zweiten Schulhalbjahr des 7. Schuljahrgangs stattfinden. Sie werden an einem Unterrichtstag pro Schulwoche im 14-tägigen Rhythmus in Praxislernorten der Region durchgeführt, sodass die Schülerinnen und Schüler die betriebliche Realität kennen lernen. Praxislernorte sind Unternehmen, soziale Einrichtungen oder andere Arbeitgeber der Region.

Durch die Verknüpfung von schulischem Lernen mit dem Lernen am Praxislernort erfolgt eine intensive Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf den Übergang von der Schule in die Berufs- und Arbeitswelt. Die Kooperation mit den Betrieben, Berufsschulen oder sozialen Einrichtungen garantiert die Berücksichtigung der Erwartungen dieser an die Absolventen der Sekundar- und Gemeinschaftsschulen und eine Verbesserung der Ausbildungsreife der Schülerinnen und Schülern

Neue Oberstufenverordnung:

Der Wunsch, in der Oberstufe die Auswahl nicht von Beginn an auf zwei Fächer auf erhöhtem Anforderungsniveau zu begrenzen, führte zu der Regelung, drei Fächer auf erhöhtem Anforderungsniveau belegen zu können.

Im zweiten Halbjahr der Einführungsphase (Klasse 10) wählen die Schüler nunmehr 3 Fächer aus, die sie ab Klasse 11 fünfstündig auf erhöhtem Niveau belegen. Zur Auswahl stehen Mathematik, Deutsch, eine Fremdsprache und eine Naturwissenschaft. Aus diesen drei Fächern wählen die Schüler zwei Fächer aus, in denen die schriftliche Prüfung auf erhöhtem Niveau absolviert werden muss. Eine Vorfestlegung in der Klasse 10 entfällt damit. Vielmehr bietet sich nun die Möglichkeit, Wahlfreiheit bei der Festlegung bis zur Anmeldung zur Abiturprüfung offen zu halten.

Die Schüler belegen darüber hinaus zwei weitere dreistündige Fächer – Geschichte sowie eine Naturwissenschaft oder zweite Fremdsprache.

Außerdem bietet der Wahlpflichtbereich vier zweistündige Fächer wie Sport, Musik/Kunst, Ethik/Religion und Geografie/Sozialkunde.

Für die Abiturprüfungen gilt weiterhin und unverändert: Es erfolgen zwei schriftliche Prüfungen auf erhöhtem Niveau und zwei schriftliche Prüfungen auf grundlegendem Niveau sowie eine mündliche Prüfung.

Das nunmehr dritte Fach, das auf erhöhtem Niveau belegt wurde, kann auf grundlegendem Niveau schriftlich oder auch mündlich geprüft werden.

 Schulverwaltungsassistenten:

Die Schulverwaltungsassistenten sollen vor allem bei Verwaltungstätigkeiten unterstützen. So sollen sie bei der Organisation des Unterrichts, schulischer Veranstaltungen, des Schulanmeldeverfahrens und von Elternsprechtagen mitarbeiten.

Darüber hinaus werden sie u.a.:

  • Schulkonferenzen und Beratungsgespräche organisieren und dokumentieren,
  • die Schülerbeförderung mit dem Schulträger und die Zusammenarbeit mit externen Partnern wie Schulfördervereinen oder anderen

Bildungseinrichtungen koordinieren,

  • bei der Öffentlichkeitsarbeit der Schule sowie Erstellung von z. B. Aushängen und Elternbriefen mitwirken,
  • bei der Bewirtschaftung von Haushaltsmitteln, Führung des Schulgirokontos und Beantragung von Fördermitteln mitarbeiten,
  • die Schulleitung bei der Personalverwaltung unterstützen,
  • sowie die Wartung und den Support der schulischen Infrastruktur begleiten.

Die Schulen können – mit Blick auf die Breite der Aufgabenbeschreibung – die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so einsetzen, dass sie dem jeweiligen Bedarf an der konkreten Einzelschule entsprechen.

 

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