Seit Habermas und Foucault konzentriert sich die Debatte um die Aktualität der Aufklärung auf die Interpretation von Kants Schrift „Was ist Aufklärung?“ von 1784. Meistens, so Büttgen, liest man von ihr jedoch nur die ersten Zeilen: „Sapere aude“ – „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“. In seinem Vortrag „Kant und die Kirche. ‚Was ist Aufklärung?‘ neu lesen“ fordert er stattdessen dazu auf, die komplette Schrift zu lesen und zu kontextualisieren: als eine Streitschrift, die wie kaum eine andere die Theologie ihrer Zeit unterlief. Kant gelte als Erfinder einer alternativen Pastoraltheologie; er habe sämtliche Leitbegriffe dieser typischen Ausrichtung der Aufklärungstheologie – Amt, Kirche, Bekenntnis – einer drastischen Transformation unterzogen. Die Diskussion um „Aufklärung heute“ werde erst wieder relevant, wenn man den religionskritischen Ansatz im Sinn behält, den Kant anhand seiner Auseinandersetzung mit der Macht der Pfarrer entwickelt hat.
Büttgen, Jahrgang 1970, zählt zu den renommiertesten Aufklärungs- und Religionsforschern Frankreichs. Seit 2011 ist er Professor für Religionsphilosophie an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne.
In den „Halle Lectures“ referieren jährlich zwei herausragende, international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Vorträge richten sich sowohl an Forschende und Studierende als auch an die breite Öffentlichkeit. Die Reihe findet in Kooperation der Interdisziplinären Zentren für Pietismusforschung (IZP) und für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA), der Alexander von Humboldt-Professur für Neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer, der Franckeschen Stiftungen zu Halle und des Landesforschungsschwerpunkts „Aufklärung-Religion-Wissen“ statt.