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Ein sensationeller Fund im Geiseltal: Der nahezu vollständige Schädel des Laufvogels Diatryma

Das Geiseltal in Sachsen-Anhalt hat erneut für Aufsehen in der Welt der Paläontologie gesorgt. Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Senckenberg Forschungsinstituts sowie Naturmuseums Frankfurt haben zusammen mit französischen Kolleginnen einen Fund präsentiert, der die wissenschaftliche Welt in Erstaunen versetzt: einen nahezu vollständig erhaltenen Schädel des Laufvogels Diatryma, der vor etwa 45 Millionen Jahren im heutigen Geiseltal lebte. Der Fund, der in der Fachzeitschrift Palaeontologia Electronica veröffentlicht wurde, ist eine Sensation – weltweit gibt es nur ein weiteres derartiges Fossil, das im American Museum of Natural History in den USA aufbewahrt wird.

Ein vergessener Schatz

Der Schädel des 1,40 Meter großen, flugunfähigen Vogels wurde bereits in den 1950er Jahren während der Ausgrabungen im ehemaligen Braunkohleabbaugebiet des Geiseltals entdeckt. Doch ein fataler Irrtum führte dazu, dass der Fund zunächst als Krokodilschädel katalogisiert wurde. Jahrzehntelang lag das Fossil unbeachtet in der Geiseltalsammlung der MLU, bis der Präparator Michael Stache bei einer Überprüfung der Sammlungsstücke auf den Schädel stieß und dessen wahre Bedeutung erkannte. „Der Fund wurde eindeutig falsch zugeordnet. Es war eine zufällige Entdeckung, die mich dazu veranlasste, das Fossil genauer zu untersuchen und zu restaurieren“, berichtet Stache.

Durch akribische Restaurationsarbeiten gelang es Stache, den Schädel aus zwei getrennten Fragmenten wieder zusammenzusetzen. Anschließend wurde der Fund von Dr. Gerald Mayr, einem renommierten Experten für fossile Vögel am Senckenberg-Institut, untersucht. Seine Analyse bestätigte: Es handelt sich um den Schädel des Diatryma, eines faszinierenden Laufvogels, der die tropisch-warmen Sumpflandschaften des eozänen Geiseltals durchstreifte.

Das Leben im eozänen Geiseltal

Vor etwa 45 Millionen Jahren war das Geiseltal ein üppiges, sumpfiges Gebiet mit tropischem Klima. Hier lebten Urpferde, frühe Tapire, große landlebende Krokodile, Riesenschildkröten und zahlreiche andere Tierarten. Die Geiseltalsammlung der MLU, die etwa 50.000 Objekte umfasst, gilt als einzigartiges Zeitzeugnis dieser Epoche und ist als nationales Kulturgut geschützt.

Diatryma war eine imposante Erscheinung. Mit einer Körperhöhe von etwa 1,40 Metern und einem massiven Schnabel war der Vogel lange Zeit als Fleischfresser und möglicher Jäger kleiner Säugetiere wie Urpferdchen angesehen worden. Doch neuere Untersuchungen zeigen, dass Diatryma ein Pflanzenfresser war, dessen mächtiger Schnabel vermutlich zum Zerkleinern von hartem Pflanzenmaterial diente.

Eine Weltklasse-Entdeckung

Die Bedeutung des wiederentdeckten Schädels kann kaum überschätzt werden. „Es zeigt, dass Museumssammlungen ein enormes Potenzial für neue wissenschaftliche Erkenntnisse bergen“, erklärt Dr. Mayr. Der Schädel eröffnet neue Perspektiven auf die Entwicklung und Lebensweise von Diatryma sowie auf die Tierwelt des Eozäns. Durch die Zusammenarbeit von internationalen Expertenteams konnte der Fund zudem in einen größeren wissenschaftlichen Kontext eingebettet werden.

Die Geiseltalsammlung bleibt ein Anziehungspunkt für Forschende aus aller Welt. „Immer wieder kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu uns, um die Fossilien zu studieren. Die Sammlung bietet einen einzigartigen Zugang zur Paläontologie des Eozäns“, so Michael Stache. Die Arbeit an den Fossilien liefert kontinuierlich neue Erkenntnisse: „Das Geiseltal hält noch viele Überraschungen bereit, auch wenn die Grabungen längst abgeschlossen sind.“

Selten und wertvoll

Von Diatryma sind bislang etwa 40 Fossilien im Bestand der Geiseltalsammlung bekannt, was darauf hinweist, dass der Vogel im Geiseltal eher selten vorkam. „Hätte Diatryma häufiger hier gelebt, würden wir sicher mehr Überreste finden“, erklärt Stache. Der jetzt präsentierte Schädel hebt sich durch seinen exzellenten Erhaltungszustand und seine wissenschaftliche Bedeutung deutlich von anderen Funden ab.

Blick in die Zukunft

Die Wiederentdeckung und die wissenschaftliche Bearbeitung des Schädels verdeutlichen die Relevanz der Geiseltalsammlung als Forschungsschatz und Archiv der Erdgeschichte. Die neue Studie über Diatryma liefert nicht nur Einblicke in die Paläoökologie, sondern zeigt auch, dass die Geschichte der Fossilienfunde im Geiseltal noch lange nicht zu Ende erzählt ist.

Mit dieser Entdeckung reiht sich das Geiseltal erneut in die Liste bedeutender Fundstätten der Paläontologie ein und unterstreicht, wie wichtig die sorgfältige Bewahrung und Erforschung von Fossilien für unser Verständnis der Vergangenheit ist.

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