Die angemessene Ehrung von Persönlichkeiten der Zeitgeschichte ist eine schwierige Aufgabe, gilt es doch das herausragende Wirken der Person zu bewerten, aber auch das weniger positive Handeln dagegen abzuwägen, um ein möglichst objektives Bild des zu Ehrenden darstellen zu können. In der Regel geschieht ein solcher Abwägungsprozess in einer Kommission,
die sich dazu die nötige Zeit nimmt. Zuletzt hat sich der Hallesche Stadtrat mit dem Fall von Fritz Hartnagel und Alfred Bauer zwei Offizieren der Wehrmacht, die in den letzten Kriegstagen des 2. Weltkriegs die Heeres- und Luftwaffennachrichtenschule kampflos übergaben, beschäftigt. Am Ende stand der Beschluss, an die Geschehnisse mit einer Tafel im heutigen Institutsgebäude der Universität zu erinnern. Wesentlich schwieriger war das jahrelange Ringen um die Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße. Hier gab eine wissenschaftliche Studie der Humboldt-Universität Berlin den
entscheidenden Ausschlag, diese fallen zu lassen. Auch wenn solche Prozesse ihre Zeit brauchen, so ist doch der Erkenntnisgewinn wichtig für die Meinungsbildung derer, die am Ende per Abstimmung in den Parlamenten darüber zu befinden haben.
Im Falle von Hans-Dietrich Genscher scheint die Lage eindeutiger. Der große deutsche Politiker wird seit der Wende 1989/90 immer wieder mit Ehrungen in seiner Heimatstadt bedacht. Im öffentlichen Bewusstsein ist er gegenwärtig und es wird mit (mehr oder weniger originellen) Aktionen an ihn erinnert. Schaut man sich die regionale Liste derEhrbekundungen
an, kann es nur verwundern, wie eine mediale Ãffentlichkeit unter Meinungsführerschaft der Mitteldeutschen Zeitung zu der Wahrnehmung kommt, Halle müsse nun endlich dem “wohl bedeutendsten Sohn seiner Zeit
der Stadt Halle“ ein Gedenken zuteil werden lassen:
1991 Ehrenbürger der Stadt Halle
1991 Ehrenschwager der Salzwirker-Brüderschaft im Thale zu Halle
1992 Ehrensenator der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
1993 Ehrensenator der Leopoldina
2010 Verdienstorden des Landes Sachsen-Anhalt
2012 Eröffnung der âBegegnungsstätte deutsche Einheitâ im Genscher-
Geburtshaus
2016 Hallescher Geschichtstalerâ des Numismatischen Vereins Halle
Seit mehreren Wochen sind zahlreiche Vorschläge für eine weitere Ehrung in der Diskussion. Diese sind unter anderem die Umbenennung einer Straße, eines Platzes, einer Schule oder des Flughafens Leipzig-Halle bis hin zu dem Ansinnen, ein Denkmal zu errichten. Die Suche nach einem Vorschlag entwickelte eine Eigendynamik, die den Eindruck erweckt, es könne gar nicht genug Ehrungen geben.
Doch bei einer erneuten Würdigung Genschers kann es meines Erachtens nur um die Frage gehen, „welche“ und nicht „wie viele“. In der Abwägung ist die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Bei Mehrfachehrungen ist die Grenze zwischen angemessener Würdigung und Personenkult schnell überschritten.
Dazu sollte eine offene und ehrliche Diskussion geführt werden: Was bedeutet uns Genscher heute? Welche seiner Verdienste für unsere Stadt veranlassen uns zu der Ehrerbietung? Dies sind Fragen, die in der bisherigen, aufgeheizten Diskussion kaum eine Rolle gespielt haben. Doch diese Selbstvergewisserung braucht es, um ehrlichen Herzens eine richtige Form zu finden.
Und letztlich ist es der Stadtrat, der eine Entscheidung fällen muss. Manchmal braucht dies etwas Zeit. Das ist nicht weiter schlimm. Eine wohlüberlegte Entscheidung ist allemal besser als ein verfehlter Schnellschuss, denn der kann schnell zur Peinlichkeit werden, und nicht der Entscheidungsprozess.
Christian Feigl
Stadtrat Bündnis 90/ Die Grünen
5 comments on “Alles Genscher? oder der schwierige Weg zur angemessenen Ehrung”
Da die Zeitung ja ohnehin meint, nahezu jeden Tag dieses Thema vorantreiben zu müssen: wie schöne wäre es, würde man auch einen solchen Beitrag dort mal lesen können!
„Wesentlich schwieriger war das jahrelange Ringen um die Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße. Hier gab eine wissenschaftliche Studie der Humboldt-Universität Berlin den
entscheidenden Ausschlag, diese fallen zu lassen. “
Ich meine mich Erinnerm zu können, dass besagte Studie vom jahrelangen Haus- und Hofhistorikers der Leopoldina selbst verfasst wurde. Zumindest war er derjenige mit exklusivem Quellenzugang in der Leopoldina.
Dass die Studie jetzt über die Humboldt-Universität gelaufen sein sollte, ist mir dagegen neu. Ich bin verwundert!
In der HDGZ kommen die Leute zu Wort, die für das Wirken des Autors wenig Verständnis haben.
Und da der Stadtrat nicht mal eine! Ehrung, wie eine Umbenennung eines kleinen Bahnhofsvorplatz, zustande bekommt, ist die Kritik nachvollziehbar!
Ja, das würde ich auch gern. Bisher weigert sich die MZ aber beharrlich den Beitag zu bringen. Stattdessen wollte man meinen Text redaktionell verwurschteln. Ich bestand jedoch auf die unveränderte Form, weil ich nicht glaube, das der Text durch Herrn Färber besser wird.
Hört endlich mal damit auf, Wege oder Strassen umzubenennen! Bis heute verstehe ich nicht, warum man die Phillip Müller Strasse umbenennen mußte! Es werden immer wieder neue Strassen geschaffen, warum kann man nicht diese mit diesen Namen versehen? Ein Gremium , bestehend aus 5 oder 9 oder 15 Leuten beschließt was, was viele Bürger für unsinnig halten.