Zum Kringeln

13. November 2018 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Das ist der Samenstand unserer gesuchten Pflanze

Es ist Mitte November, und immer noch blüht es in den Vorgärten. Unsere gesuchte Pflanze hält sich auch noch sehr tapfer, und wenn nicht sehr strenge Fröste kommen, wird sie noch bis in den Dezember hinein blühen. Dabei hat sie eigentlich schon ihre biologische Pflicht erfüllt: hunderte kleiner, gekringelter Samen hat sie bereits über die Erde verstreut. Sie hängen auch noch an den verblühten Fruchtständen, wo sie bizarre Gebilde formen.  Unsere Pflanze holt man sich gewöhnlich mit Sommerblumenmischungen in den Garften,  und wird sie dann nie mehr los. Zugegeben, schön sind sie, aber irgendwann dominieren sie einfach, während die übrigen Blümchen , deren Samen auch in der Mischung waren, unter der gelb-orangen Übermacht der Invasorin aus der Samentüte  aufgeben müssen. So können Zierpflanzen schon zu kleinen Lästlingen werden. Es sei denn, man mag sie. Oder bewundert ihre heiltätige Wirkung. Die Blütenblätter enthalten Stoffe, die die Wundheilung fördern, und so wird die Blume tatsächlich feldmäßig angebaut, als Rohstoff für die Pharmaindustrie.

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Leiden am Kreuz“): Ysop, Hysopus officinalis.

Ysop, Hysopus officinalis

Unser Leser Rellah hat ein Problem mit seiner Software. Deshalb musste er sich kurz fassen: Die Lösung hieß „Ysop“, bemerkte er zu Recht. Leider kam er nicht dazu, den Rest des Fragenkatalogs zu beantworten. Deshalb: Auch der Stab, den der Mann in dem Kreuzigungsbild von Fra Angelico dem Gekreuzigten hinhält, ist ein Ysop. Genauer, ein Schwamm mit Essig, der auf einem Ysop-Stängel befestigt ist.  Als der sterbende Christus am Kreuz sagte, er habe Durst, hat ein römischer Soldat (nach apokrypher Überlieferung hieß er Stephaton) diesen ätzenden Stängel statt Wasser gereicht.  Der Ysoschwamm gehört zu den so genannten „Leidenswerkzeugen Christi“, die zur christlichen  Ikonographie gehören wie Marterpfahl, Dornenkrone, Nägeln und so fort. Die Sache mit dem Essigschwamm auf dem Ysop war auch als Beleidigung der jüdischen Religion gemeint: der  Ysop galt den Juden als heilige Pflanze, die  bei  Tempelzeremonien gebraucht wurden, beispielsweise als Räucherwerk. Heute sind sich die meisten Religionswissenschaftler aber sicher, dass es sich bei dem biblischen „Ysop“ nicht um unsere gesuchte Pflanze handelte, sondern um einen anderen Lippenblüter, wahrscheinlich den syrischen Oregano. Später, in der Renaissancezeit, ging der Name auf unsere Wochenpflanze über, jenen kleinblättrigen Lippenblüter, der aus dem mediterranen Raum stammt (aber in Palästina nicht vorkommt) , und wegen seiner heilenden Wirkung und seines balsamischen Duftes sich bald in den Klostergärten unserer Breitengrade wiederfand. Seine ätherischen Öle verleihen ihm einen kräftigen, kampherartigen Duft,  und man lernte seine  seine desinfizierende Wirkung zu schätzen: Aufgüsse von Ysop helfen als Gurgelwasser bei Zahnfleischentzündungen und Halsschmerzen. Gelegentlich wird empfohlen, Ysop in Essig einzulegen, um so einen würzigen Kräuteressig zu erhalten. Wahrscheinlich ist hat sich hier der Irrtum über den biblischen Essigschwamm in die deutsche Küche übertragen. Im Garten ist Ysop eine hübsche Zierpflanze, der fußhohe kleine, winterharte  Strauch trägt seine hübschen Blüten bis in den November hinein, und gilt als vorzügliche Bienenweide.

(HW)

 

 

Print Friendly, PDF & Email
Ein Kommentar

Kommentar schreiben