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Zarte Triebe und ein harter Hauch von Umami

Pflanze der Woche, 2. – 8. Juni 2025

Heino hatte sich selbst oft genug geschworen, bei Nixi zu bleiben – gedanklich, gefühlsmäßig, mit einer Treue, die niemand forderte außer ihm selbst. Doch dann war Dora Ji aufgetaucht, wie ein leiser Akkord aus einem anderen Leben: jung, klug, mit einem Lächeln, das vieles versprach – und noch mehr offenließ.

Seit ihrer letzten Begegnung dachte er häufiger an sie, als ihm lieb war. Nun stand er wieder vor ihrer Tür, leicht nervös, ein Fläschchen Weißwein in der Hand. „Zum Kochen“, hatte sie gesagt. Und gelächelt.

„Willkommen, Küchengehilfe“, sagte Dora, als sie ihm öffnete, und umarmte ihn fester, als es nötig gewesen wäre.

Die Wohnung war ihm fremd geworden. Schlicht, edel, mit dunklem, rötlichem Holz, das sich warm vom Licht abhob. Große Fenster gaben den Blick auf einen schattigen Garten frei. „Mahagoni“, erklärte Dora, „für uns ist das ganz normal. Wir bauen Möbel daraus – und E-Gitarren.“

Heino staunte, nickte, roch Sesamöl, Ingwer, fermentierte Würze. Auf einem Holzbrett lagen rötlich gefiederte Blätter.

„Chop Suey?“ „Warum nicht? Ihr esst doch auch Sushi und Pizza.“

Heino lachte. „Und was ist das hier?“

„Unser neues Pflanzenrätsel. Mein Vorschlag.“

„Sieht aus wie junge Eschentriebe.“

„Nein. Probier.“

Zögernd nahm Heino ein Blatt in den Mund. Der Geschmack war eigen: Knoblauch, Selleriegrün, Maggikraut – und etwas Unbekanntes.

„Wow. Irgendwie herzhaft.“

„Umami“, sagte Dora. „Ein Geschmack, den ihr schwer beschreiben könnt – wir aber kennen ihn seit Jahrhunderten.“

„Und das ist wirklich ein Baum?“

„Ja. Die jungen Triebe isst man roh oder gekocht. Das Holz nutzt man für Möbel oder Instrumente.“

Heino hackte die Triebe klein, während Dora rührte. Ihre Nähe verwirrte ihn. Die weichen Blätter, der Duft, ihre Stimme – alles hatte etwas Verlockendes.
„Die roten sind die besten“, erklärte Dora Ji. „Wenn die Roten in der Pfanne schmoren, denken wir an Kim Jong-Un“. 

„Letztes Mal hast du mich in einen Blütenbaum verwandelt“, sagte er. „Jetzt zerkleinere ich mich selbst.“

Dora lachte. „Ein Opfer für die Küche. Aber spür mal – wie weich die Stängel sind.“ Sie strich ihm über die Hand, dann über die Finger. „Wie Lippen.“

Heino errötete. Und doch wich er nicht zurück.

„Woher kommt die Pflanze?“

„Aus Asien. In Korea nennt man sie einfach Baumgemüse. Andere sagen Frühlingsbaum oder Mahagoni-Gemüse.“

„Und bei uns?“

„Wird langsam beliebt – wegen des Geschmacks. Und weil sie sogar bis minus zwanzig Grad aushält.“

„Und der lateinische Name?“

„Da streitet man sich über die Aussprache. Wie beim Baumarkt: Toom oder Tuhm?“

Heino schloss die Augen. „Machst du wieder ein Rätsel daraus?“

„Ja“, flüsterte sie. „Vertrau deinen Sinnen.“

Er spürte eine leichte Berührung – flaumige Blätter? Oder Lippen?

Dann der echte Kuss. Zart. Ernst.

Bis jemand rief: „Aus! Danke. Noch mal, bitte. Weniger zögerlich, Heino!“

Das Licht veränderte sich. Scheinwerfer. Ein Fluch hinter der Kamera. Regisseur Hei-Wu war unzufrieden. Wieder einmal hatte die Redaktion beschlossen, aus der Pflanzenserie ein filmisches Experiment zu machen.

Als das Team gegangen war, saß Heino noch da. Nachdenklich. Dora sah ihn an. „Bleibst du noch ein wenig?“

Er nickte. „Wir sollten noch die Fragen für die Leserinnen und Leser aufschreiben. Ich schätze, das wird die neue Pflanze der Woche.“

Es wurde eine lange Nacht. Was davon blieb, steht hier – der Rest bleibt hinter schweren Mahagonitüren verborgen.


Fragen an unsere Leserinnen und Leser:

  • Welcher Baum treibt junge Triebe, die nach Knoblauch und Umami schmecken?
  • Was ist Umami überhaupt – kann man das kaufen?
  • Warum werden manche Bäume wie Gemüse behandelt: zart geerntet, klein gehalten?
  • Was steckt hinter dem Aussprache-Rätsel: Wie spricht man den botanischen Namen dieses Baumes?
  • Und wie wird dieser Baumarkt eigentlich ausgesprochen?
  • Fällt Ihnen bei all dem vielleicht Kurt Weill oder Bert Brecht ein?

Auflösung der Pflanze der Woche vom 26. Mai bis 1. Juni (Blüten am Stamm, Fragen im Kopf): Der Judasbaum (Cercis siliquastrum)

Herkunft:

Der Judasbaum stammt ursprünglich aus dem östlichen Mittelmeerraum und Kleinasien. Inzwischen ist er in vielen Parks und Gärten Europas verbreitet – als beliebter Zierbaum.

Botanisches:

Er gehört zur Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae). Seine herzförmigen Blätter und die charakteristischen rosa bis purpurfarbenen Blüten erscheinen direkt am Stamm und an dicken Ästen – ein Phänomen, das in der Botanik Kauliflorie genannt wird.

Besonderheiten:

Die auffällige Blüte direkt aus dem Holz macht den Judasbaum einzigartig. Diese Eigenschaft, selten unter mitteleuropäischen Gehölzen, zieht Insekten magisch an – und Menschen ebenso.

Der Name:

Der Name „Judasbaum“ bezieht sich auf die Legende, dass sich Judas Iskariot an einem solchen Baum erhängt habe. Eine andere Deutung spielt auf die verräterisch rotviolette Farbe der Blüten an – als Symbol des Verrats.

Kulturgeschichtliches und Verwendung:

Die Blüten sind essbar und haben einen leicht säuerlichen Geschmack. In der mediterranen Küche werden sie in Salaten verwendet.

Weitere „Pflanzen der Woche“ findet Ihr in unserem Archiv – alle, seit 2016.

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