Wenn ein mitteldeutscher Beamter über ein Verkehrsschild meditiert

1. August 2022 | Bild der Woche | 4 Kommentare

Referatsleiter Dr. Merian  blickte – jetzt, so kurz vor seiner endgültigen Verabschiedung in den Ruhestand – recht zufrieden auf sein Leben zurück.  Mit seiner Aufgabenbeschreibung als „Referatsleiter für  visuelle Verkehrsraumgestaltung“ hatte er allerdings während seiner immerhin über 24 Jahren Tätigkeit weder bei seinen Urlaubsbekanntschaften noch unter den Kegelkumpels und Reihenhausnachbarn irgendwelchen Eindruck schinden können. Das aber änderte sich Anfang des Jahres schlagartig, und Dr. Merian ärgerte sich, dass ihm dieser Einfall nicht früher gekommen war. Innerlich musste er immer wieder grinsen,  wenn er daran dachte, wie er am Rande einer Verkehrsausschuss-Sitzung das Thema „Interkulturalität und Genderfestlegung auf Verkehrszeichen im europäischen Kontext“ aufgeworfen hatte. Ganz entgegen seinen Erwartungen – Merian hatte mit seinem eigentlich ironisch gemeinten Kurzvortrag zur Kennzeichnungen von Fußwegen, „Radfahrer:Innenwegen“ und der seiner angeblichen Meinung nach sexistischen Darstellungen von Männlein/Weiblein und der Unterschlagung möglicher nicht binär gelesen wollender Verkehrsteilnehmenden massiv gepunktet.  Der Gleichstellungsbeauftragte und die Vertretung des Personalrates nickten ihm beide begeistert zu, während er – einer solchen Aufmerksamkeit vollkommen ungewohnt – über die „prägende Rolle anthropomorpher Formensprache in Verkehrsleitsymbolen im mitteleuropäischem Kontext“ sprach. Kurzum: Dr. Merian hatte ab jetzt nicht mehr einen Job, sondern – auf die alten Tage – eine Berufung. Fortan fielen Dienstreisen ins europäische Ausland ab, Merian predigte auf kommunalpolitischen Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen. Besonders im Süden Europas fühlte der Beamte sich wohl – bereits in seiner Jugend war er gerne mit  Eltern und Wohnwagen, später per Interrail durch Italien, Spanien, Griechenland und Marocco gereist.

Jetzt gerade sehen wir Merian zu, wie er an einer Powerpoint-Folie zum Thema „Spielstraße“ und „Wohngebiet“ arbeitet. „Auf der deutschen Version des Verkehrsschildes ist all das ikonisch dargestellt, was den Menschen lieb, wichtig und teuer ist“, wird Merian zu der Folie erzählen: „Auto, Haus, ein Spielball und zwei vollkommen entgenderte Strichkinder“. Doch trotz der Geschlechterneutralität sei keine Gleichheit hergestellt, wird der Beamte weiter berichten: „Ein großer Mensch , ein kleiner, beide geschlechtslos, aber sie spielen keinesfalls auf Augenhöhe.“

Ganz anders sei das italienische Schild: Jungs dürfen noch Jungs sein (mit kurzer Hose), und Mädchen noch Mädchen, wobei nicht klar sei, warum das Strich-Mädel statt eines Zopfes ein Kreuz im Nacken hat. „Möglicherweise ein Zugeständnis an den Vatikan“, gedachte Merian einen Scherz in den Vortrag bei seinen neapolitanischen Kollegen einzubauen.

Was unser philosophierender Verkehrsexperte aber mehr irritierte: im italienischen Schild fehlt das Auto. Statt dessen aber erhebt sich  ein gewaltiger Baum, wie ein Atompilz. Sind ausgerechnet Bäume in Italien wichtiger als Autos? Merian wühlte sich durch den ansehnlichen Stapel alter Urlaubsfotos und stellte fest,  dass sich diese Art Bäume tatsächlich immer wieder in die Landschaftsfotos „gebombt“ hatten.

Wir können davon ausgehen, dass Referatsleiter Dr. Merian den Baum kennt, der nicht nur auf dem Verkehrsschild, sondern auch sonst so dominant die italienische Klischee-Landschaft prägt.

Um welchen Baum handelt es sich eigentlich?

Einer der erfolgreichsten, aber auch teuersten Filme von Walt Disney – es war sein zweiter überhaupt – handelt von einer Figur, die aus dem Holze dieses Baumes geschnitzt war.

Welche körperliche Eigenschaft teilt Sergei Wiktorowitsch Lawrow nicht mit dieser Figur ?

Für gewöhnlich werden Pflanzen zur Gewinnung von Nahrungsmitteln angebaut. Diese auch?

Ein bronzener Fruchtkörper des Baums steht im Dom zu Aachen und wiegt ganze 280 Kilo. Wer hat denn das verzapft?

(HW)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Flickkraut für Wunden und Knochenbrüche“): Beinwell (Symphytum officinale)

Gesucht war der Gemeine Beinwell Symphytum offizinale. Die Pflanze wächst an feuchten Standorten wie Auwäldern. Es ist ein starkes Heilkraut, das sich bei Knochenbrüchen seit mind. 2000 Jahren bewährt, dem Gebein gut tut. Hildegard von Bingen verwendete es. Vor ihr war es schon lange bekannt. Es hilft auch bei Gelenkschmerzen, Muskelbeschwerden und Verstauchungen und fördert die Wundheilung. Beinwell galt als essbares Wildkraut. Wegen der Alkaloide verbietet sich jedoch heutzutage der Verzehr.

Im Garten kann man frische Beinwellblätter zum Mulchen oder zur Herstellung von Jauche nutzen. Viele Insekten lieben die Beinwell-Blüten. Einige wie die Beinwell-Sandbiene sind sogar von ihnen abhängig. 

(Hans Ferenz)

 

Noch viel mehr Pflanzen findet Ihr in unserem Archiv. Seit 2016 jede Woche ein neues Gewächs in unserem Lustgarten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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