Sehen wir hier einen Weltmeister ?

2. Juli 2018 | Bild der Woche | 5 Kommentare

Sehen wir hier einen Weltmeister?

Die Pflanze der Woche ist ein Fremdling, deren häufigste Art sozusagen „in der Gruppe E spielt“. Wir finden sie bei uns in Botanischen Gärten, aber auch in privaten Ziergärten, und sie wirkt sehr imposant. Gesucht wird der Name der Pflanzenfamilie bzw. ihrer einzigen Gattung. Diese Gattung weist rund 60 Arten auf. Ob die Pflanze, deren Trivialbezeichnung die Verwandtschaft zu einer deutschen Gemüsepflanze assoziieren lässt, schmackhaft und darüber hinaus gesund ist, darüber scheiden sich die Geister.

Damit sie groß und stabil wachsen kann und schön kräftig grün wird, benötigt sie Stickstoff. Da sie enorm, sozusagen gigantisch wächst, braucht sie besonders viel Stickstoff – nur woher? Ihre Lösung ist ein für höhere Pflanzen einzigartiger Mechanismus. Dazu nur soviel: An vor Einblicken geschützten Plätzen im Grünen, wo viele Menschen vorbeiwandern, wächst zwar die Brennnessel, nicht jedoch unsere Wochenpflanze. Es handelt sich also um einen anderen Mechanismus der Stickstofffixierung.

Rechts des Eingangs zum Botanischen Garten in Leipzig ist dieses stattliche Exemplar unübersehbar. Das Foto zeigt annähernd die Nationalfarben seines Ursprungslandes.

 Folgendes interessiert uns:

Wie heißt die Pflanzengattung?

Womit wird sie manchmal verwechselt?

Welchen Mechanismus zur Stickstoffaufnahme verwendet sie?

(A.S.)

Auflösung der letzten Wochenpflanze (Antiterroreinsatz in Reihenhaussiedlung am Hufeisensee): Rizinus (Ricinus communis)

Nein, der Fisch war kein roter Hering, und auch der Anti-Terror-Ansatz nicht. Eher war der Faulbaum, den Agricola als Lieferant für Holzkohle, um daraus mittels weiterer Zutaten wie Salpeter etc (nein, mit Pökelsalz geht das nicht) unter Zuhilfenahme weiter verdächtiger Werkzeuge (Kaffeemühle) Schwarzpulver herzustellen.

Rollen wir also einmal die ganze Geschichte auf. Yunas, von dem im Text die Rede war, ist die islamische Entsprechung des alttestamentlichen Propheten Jona. Da kann man vortrefflich streiten, wie viel Judentum zum Abendland gehört, und warum der Islam nicht. Religiöse Spitzfindigkeiten beiseite: Teile der Jona-Geschichte kennen Viele: der Prophet, der von einem „großen Fisch (in der Bibel oft als „Wal“fisch übersetzt, verschlungen wird, und auf Geheiß Gottes  wieder am Strand ausgespuckt wurde, beleibe kein roter Hering) kennen die meisten unserer Leser.

Jona hatte von Gott den Auftrag erhalten, in die Stadt Ninive  (nicht Nivea) zu gehen, und dort den sündigen Einwohnern zu predigen und sie zu bekehren. Er bestieg aber ein Schiff, und begab sich in Richtung Westen. Gott war erbost, schickte einen Sturm, und die Seeleute fanden den Schuldigen, und warfen ihn ins Meer, wo er von dem Fisch verschluckt wurde. Sofort legte sich der Sturm, die Seeleute waren erleichtert, aber Jona beten Tagelang im Bauch des Fisches. Da hatte Gott ein Erbarmen, und ließ den reuigen Auftragsverweigerer wieder ausspucken.

Jona ging also, den Auftrag erfüllend, nach Ninive, drohte den Bürgern in einer Predigt, ihre Stadt werde bald zerstört. Derart beeindruckt, bekehrten sich die Bewohner, einschließlich der Tiere, vorauf Gott gnädig gestimmt war, und von der Vernichtung der Stadt absah. Jona war aber enttäuscht, er hätte wohl gerne die Vernichtung der Bewohner gesehen, und machte sich schmollend davon. Er baute sich eine Hütte in der Wüste, und wollte vor Schmach sterben. Da hatte Gott Mitleid mit dem wohl unter der Hitze delierenden Spinner, und ließ über der Hütte über Nacht einen großen Strauch wachsen. Das schnell wachsende Gewächs wurde in der Septuaginta „Kikaion“ genannt, und die spätgriechischen Übersetzer meinten, darin einen Kürbis („Kolokinth“)  zu sehen. So entstanden schon in der Spätantike Bilder, die Jona in einer „Kürbislaube“ darstellten.

Jona unter der Kürbislaube. Spätantike (frühchristliche) Katakombenmalerei

Heute nimmt man an, dass es sich bei dem schnell wachsenden Gewächs wohl um den Rizinus handelte. Gleichwohl der botanischen Ansprache: Jona freute sich nun über das Schatten spendende Gewächs, Gott aber schickte über Nacht einen Wurm, der den Strauch verdorren ließ. Jona fluchte, und Gott sprach zu Ihm: „was jammerst Du über den Baum, während du kein Mitleid hattest mit all den hunderttausend Menschen, die du gerne vernichtet sahest?“

Soweit also zur spätantiken Botanik. Rizinus communis stammt ursprünglich aus Afrika, wurde aber schon im Altertum in die mediterrane Welt „entführt“. Weil er dort aus einem Samen schnell (innerhalb eines Jahres) zu einem mehrere Meter hohen Baum heranwächst, der nicht nur Schatten spendet, sondern auch Früchte liefert.  In den stachligen Früchten sind (meistens drei) bohnenförmige, gefleckte Samen enthalten, die entfernt an vollgesogene Zecken erinnern (Rizinus ist das lateinische Wort für „Zecke“).

Die Samen dienten schon in der Antike zur Herstellung eines Öles (Rizinusöl). Das Öl wirkt drastisch abführend, man hat es deshalb nicht zum menschlichen Verzehr verwendet, aber als Brennmaterial für Lampen.

In unseren Breiten ist der Rizinusbaum nicht winterhart, wächst aber, aus Samen im Frühjahr vorgezogen, auch bei uns im Sommer bei viel Glück zu einem 3 Meter hohen Strauch heran, im Herbst blüht er, und bei gutem Wachstum bildet er Samen. Man nennt ihn deshalb „Wunderbaum“, und die Samen sind in nahezu jedem Gartenbaumarkt zu erwerben.

Aber deshalb ein Antiterroreinsatz? Das Problem ist, dass die Samen nicht nur ein Öl enthalten, sondern ein tödliches Gift. Es handelt sich um einen Eiweißkörper, ein so genanntes Lectin, das zu den gefährlichsten Giften gehört, das das Pflanzenreich produziert. ca. 22µg pro Kilo Körpergewicht , intravenös verabreicht, reichen, um einen Menschen „sicher“ zu töten. Ein Milligramm (1000 µg) sind eine totale tödliche Dosis. Im Samen ist das Gift . Es ist ein brutales Zellgift, der Mensch stirbt innerhalb weniger Tage, ein Gegenmittel gibt es nicht (es gibt zwar Projekte, Antikörper zu züchten, aber bislang erfolglos).

Das Gift ist wasserlöslich, geht aber bei der Pressung des Öles nicht in dieses über, sondern bleibt im Rückstand. Werden Rizinussamen gegessen, tritt ein Teil des Giftes in den Stoffwechsel über. Die tödliche Dosis beträgt angeblich für Kinder 2-3 Samen, bei Erwachsenen sind es einige mehr, aber das gilt nur, wenn die Samen unzerkaut aufgenommen werden. In den Samen ist so viel Gift (etwa 2-5% ) enthalten, dass es nach einer Aufbereitung (Zermahlen in einer Kaffeemühle, und dann wässriger Extraktion unter bestimmten Bedingungen) weitaus potenter wird. Jetzt nähern wir uns langsam dem Thema.

Rizin. Dias Peptid als Bändermodell dargestellt (Wikipedia).

Das Regenschirmattentat

Schon mal von dem „Regenschirmattentat“ gehört? 1978 wurde der bulgarische Dissident Georgi Markov in London an der Wade mit der Spitze eines Regenschirms gestochen. Der Attentäter, ein Mitglied des bulgarischen Geheimdienstes, entschuldigte sich höflich und verschwand. Wenige Tage später verstarb Markov, die Ärzte fanden bei der Obduktion dann eine winzige Platinkugel in der Wunde, die wenige Mikrogramm des Giftes enthalten hatte.

Seitdem nährt Rizin Fantasien unzähliger Krimiautoren, Verschwörungstheoretiker und Terrorismusexperten. Rizin gilt bei einigen Panikmachern als biologisches Massenvernichtungsmittel. So ruhte die Behauptung des CIA, der Irak horte Massenvernichtunsgmittel, auf dem Fund mehrere Säcke Pressrückstände von Rizinussamen: die fand man allerdings nicht in einer chemischen Kampfstofffabrik, sondern einer Ölmühle. Rizinusrückstände wurden, wegen ihres Stickstoffgehaltes, als Dünger eingesetzt: auch heute noch, allerdings muss das Gift vorher durch Erhitzen denaturiert werden. Als Motiv für den Angriff der USA auf den Irak reichte der Fund in der Ölmühle allerdings aus.

Rizin: vielfältiger Stoff für  für Wichtigtuer in jeglicher Hinsicht

Rizin ist ein Stoff für Wichtigtuer“, äußerte sich vor einiger Zeit ein Experte im „Spiegel“. Sein theoretisches Mordpotential fasziniert nicht nur Krimiautoren, sondern auch Terroristen. Vor wenigen Wochen stürmte das SEK in Köln-Chrweiler die Wohnung eines des Islamismus Verdächtigen Straftäters. Aufgefallen war er, weil er bei „Amazon“ nicht nur 1000 Rizinussamen  (legal, 27,99 €) bestellt hatte, sondern auch eine Kaffeemühle (legal, aber wozu nur?). Die Bilder von mit Gasmasken und schweren Messgeräten bewaffneten Spezialeinheiten gingen um die Welt. Außerdem fand man etwas Pulver, das er aus Silvesterböllern herausgekratzt hatte (Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, aber wahrscheinlich ein minderschwerer Fall). Man fand auch extrahiertes Rizin in nicht bekannter Reinheit (verboten). Hier kann man nicht unbedingt und zwingend  Unschuld vermuten. Eine böse Absicht liegt nahe. Aber hätte der Täter mit einer Bombe aus Rizin und Böllerpulver einen katastrophalen Terrorakt hervorrufen können? Rizin zersetzt sich schon oberhalb von 100 Grad, eine pyrotechnische Explosion hätte der kompliziere Eiweißkörper nicht überlebt. Rizin ist ein gefährliches Gift, aber als Massenvernichtungsmittel in dieser Form untauglich – es muss unzersetzt in den menschlichen Körper gelangen. Für Laienterroristen dürfte das nicht das geeignete Material sein: zum Glück.

Abschließend eine Literaturempfehlung: Der Biochemiker und Krimiautor Lothar Beutin hat letztes Jahr ein spannenden Krimi rund um „Rizin“ veröffentlicht. Lesenswert ist das Buch nicht nur, um mehr über ein von modernen Sagen umwobenes Gift zu erfahren. Die Schilderungen der menschlichen Niederungen des modernen Wissenschaftsbetriebs haben es allemal in sich:  Rizin, Krimi, 2016

(H.W.)

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