Pflanze der Woche: Von Almdudler bis Zuckerberg

13. November 2016 | Bild der Woche | 5 Kommentare

Gundermann: Prinzipielle Eigenwilligkeit
Auflösung der letzten Pflanze der Woche (7.-13.11. 2016)

„Prinzipielle Eigenwilligkeit“, das galt für Gundermann, mit dieser Begründung wurde er von der SED rausgeworfen. Gerhard Gundermann, der Poet und Musiker, der Intellektuelle und Arbeiter. Mit unserer Wochenpflanze verbindet ihn nichts als der Name – oder? Noch heute, 18 Jahre nach seinem zu zeitigen Tod, widmen sich Bands wie „Huderich“ vollkommen seiner Musik und Lyrik. Und ja, Huderich ist eine der vielen Benennungen für unsere Wochenpflanze Glechoma hederaceae: Gundermann, Gundelrebe, Udram, Guck durch den Zaun, Erdefeu, Gartenhopfen, Zickelskräutlein, Blauhuder…

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So sieht er aus, wenn er blüht. Jetzt, im Herbst, tut sie das nicht: unsere letzte Wochenpflanze.

Eine fast unendliche Liste phantasievoller Namen begleitet das Kraut, das für die meisten als Unkraut gilt. Wahrscheinlich haben es viele Leser schon einmal bekämpft. Im Garten ist ihm aber schwer beizukommen, denn es klammert sich mit seinen bewurzelten, meterlangen Ausläufern überall fest. Die als hederacea, „efeuartig“, benannte Gundermann-Art kriecht am Boden und nutzt ihre Ranken, sobald sie sich irgendwo in die Höhe arbeiten kann. Auch die Blattumrisse ähneln dem Efeu. Der Name „Glechoma“ leitet sich von der Poleiminze ab, zu der Gundermann eine gewisse Ähnlichkeit aufweist. Die Pflanze ist ein hübscher Lippenblütler mit violett-blauen Blütenständen. Eigentlich keine besonders hervorstechende Pflanze, es sei denn, man führt Kleingärtnerkrieg gegen sein fast schon invasorisches Wachstum. Dann merkt man sich den Gesellen, der in jungen Jahren leicht mit der Knoblauchsrauke zu verwechseln ist. Also: Grundsätzlich eigenwillig erscheint unsere Pflanze, ebenso wie ihr hierzulande berühmter Namensträger. Mit 43 Jahren ist dieser einem vermutlich stressbedingten Hirnschlag erlegen. Dabei hatte er sich gesund ernährt, ohne Genussgifte, als Vegetarier hat er vielleicht auch Gundermann gesammelt. Ist die Gundelrebe also eine Gemüsepflanze, so wie die von Rater Rati vorgeschlagene Weg-Malve oder die Knoblauchsrauke?
Die Gundelrebe wird heute vor allem als Teedroge geerntet, sie soll die Ausleitung von Schwermetallen unterstützen. In diesem Sinne wurde sie schon im späten Mittelalter genutzt: Maler tranken reichlich Gundermanntee gegen das in den Farben enthaltene Blei, der relativ hohe Gerbstoffgehalt soll zudem Pestizide binden. Seefahrer schätzen den hohen Vitamin-C-Gehalt, und als leicht verfügbare Gewürzpflanze erwarb sie im Dreißigjährigen Krieg den Namen der Soldatenpetersilie. Unser User „Ratefuchs“ konnte nicht an sich halten, hat sich extra neu hier angemeldet, um die richtige Lösung zu präsentieren. Herzlich willkomen bei uns !

Gundermann als Heilpflanze war v.a. bei den Germanen bekannt, hier mit einer ungewöhnlichen Ausbreitungsrichtung von Nord nach Süd. Gerhard Gundermann hatte wenig Bestreben und Abenteurerlust, nach Norden oder Süden zu gehen. Am liebsten saß er hinter seinem Reihenhaus in Spreetal. „Ich bin kein Tier. Ich bin eine Pflanze. Ich brauch‘ keine Freiheit. Ich muss der Sonne nicht hinterherreisen, ich warte, bis sie vorbeikommt.“

Ach du grüne Neune!

Leider wurde er seinem Lebensumfeld viel zu schnell entrissen. Auch der Hobbygärtner sollte, bevor er das Kraut ausreißen will, einmal anderen menschlichen Instinkten folgen und sich an die Nutzung wagen: Sammle die jungen Blätter, am besten vor der Blüte, um den dann scharfen Nachgeschmack zu umgehen. Das ist sogar ganzjährig möglich. Koch dir ein Kräutersüpplein oder versuche süße Küchlein, würze einen Eintopf oder aromatisiere diverse Getränke – selbst Chefkoch.de bringt viele Vorschläge. Aber nutze Gundermann nicht als Gemüse, sondern mehr als Gewürz! Lass dich dabei nicht von „Leuna-Duftnoten“-Empfindungen abhalten. Andere nennen den Geruch lakritzartig – und wie schon Elfriede schrieb: An der Genussfreudigkeit für Lakritze scheidet sich die Welt (in gut oder böse? Schwarz oder weiß (apropos: Obama wird abtreten, in Niedersachsen dagegen tritt ein afrikanischer Bürgermeister an)? Offen oder intolerant?).
Gerhard Gundermann konnte ebenso polarisieren – dazu empfehle ich den Text von Simone Hain (2000; man kann sich in 18 Seiten vertiefen ).
Mir als „Südmensch“ ist Gundermann erst in diesem Jahrtausend zu Ohren gekommen, seine Seilschaften(e.V.) leben und verbreiten Gundermanns Lieder auf beeindruckende Weise weiter. Ein einfaches Weghören war nicht möglich (auch ohne Hintergründe zum Künstler zu kennen), Text und Musik fand ich (wenig poetisch ausgedrückt) auffallend gut. „Und musst du weinen“ – davon muss man erst einmal wieder den Kopf frei bekommen. Geht es euch auch so mit Gundermann?
Auch die germanischen Völker haben Gundermanns Zauber geschätzt. Ein guter Hausgeist. Zaubermittel gegen Kraftlosigkeit und langwierige Leiden. Man flocht sich Kränze aus der Pflanze und verbrachte die Nacht tanzend draußen im Wald. Gundermann half, sich zu erden, er galt als Schutzpflanze gegen das Böse und ermöglichte es, sich für die nichtalltägliche Wirklichkeit zu öffnen. Man nutze ihn aber auch, um Hexen zu entblößen. „Halte durch“ sang Gundermann. Ein Optimist war er nicht mehr, er klang eher bitter. Bitter und pikant, der Genussmensch findet das anregend. Die leicht bittere Note des Gundermanns beruht auf den nicht näher untersuchten Stoff Glechomin, der Pferde töten kann. Für viele Tiere sind die Inhaltsstoffe von Gundermann giftig. Auch das sollte nochmals als Hinweis gesehen werden, die Gewürzpflanze maßvoll zu konsumieren. Andererseits gehört sie wohl zu den geheimen Kräutern, die der österreichischen Erfolgsbrause „Almdudler“ den geheimnisvollen Geschmack verleiht. Almgedudel hin oder her: Gundermanns Musik verkörpert kluge Traurigkeit und Melancholie, gewürzt mit kraftvollen und liebevollen Texten. Diese darf man im Übermaß genießen. Wenn es denn dem eigenen Geschmack entspricht.
Weiter geht es nun mit der neuen Pflanze der Woche. Ich habe erst einmal „keine Zeit mehr“, muss mich um Linoleum kümmern, aber „macht ja nischt“, es gibt im Spektrum ja noch andere „Männer und Frauen“, die Pflanzenporträts verfassen dürfen – und hoffentlich wollen?

(AS)

Auf großer absurd-metabolischer Fahrt durch die süße Welt der Zucker, oder: wie alt ist der Kapitän?

Pflanze der Woche 14.-21. November 2016

Schon seit drei Tagen kämpft sich der Dampfer „Kandis2“ durch die zähe See, die Gischt des Süsswassers peitscht gegen die Bullaugen des Salons der ersten Klasse.

„Wir werden wahrscheinlich die Passage durch den Wirsung-Gang nicht rechtzeitig schaffen“, grummelt der Reisende, der direkt am Fenster sitzt und in die trübe Brühe draußen starrt. Der fischige Süßwassergeruch mischt sich in den Duft des gerade in der ersten Klassse verlegten Linoleumbodens.

„Durch den Pförtner sind wir ja schon durch“, erwidert  sein Gegenüber,“ aber das Ziel zu erreichen, dürfte schwierig werden“.

„In welcher Angelegenheit sind Sie den unterwegs, wenn ich fragen darf?“

„Handel, also weitläufig im Metabolischen System“
„Ah, Sie sind im Stoffwechsel tätig?“

„Durchaus, insbesondere bin ich im Zuckergeschäft engagiert. Ich habe hier in der Region das Monopol auf die Verteilung der Zuckerströme“.

„Heiliger Pankreatius! Man hört, da soll  Einiges schief zu laufen. Neulich war doch wieder zu lesen, dass es ein Problem mit diesem Zuckerberg gibt?“

„Ja ja, das macht einem schon zu schaffen“, gibt der der Handlungsreisende in Sachen Süßwaren zu. „Mit der Verteilung des Zeugs an die Kunden sind meine wenigen Insulaner zuweilen überfordert: Sehen sie dort hinten, diese Inselgruppe?“

In der Tat: in der Dämmerung zeichnen sich am Horizont schemenhaft kleine Berge ab.
„Die Langerhansschen Inseln !“

„Ach was !?“

„Hier kommen meine Mitarbeiter her“.

„Soso, beeindruckend. Aber es sind wohl zu wenige? Wie ich schon sagte, der Zuckerstoffwechsel ist international in ein gewisses Gerde gekommen, man will sogar gewisse Ampeln einführen..“

„Fürwahr. Sehen Sie sich doch die klebrige Massen an, die hier umherschwimmen. Der Zuckerberg kalbt wieder. Die InsulInnen schaffen es nicht.“

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Komm doch, mit auf den Zuckerberg… Das ist schon die halbe Miete, aber das Pflanzen-„Rätsel“ müsst ihr schon weiterlesen. Dieser „Beta-Test“ hier könnte hier irritieren.

„Nun, ich hätte da ein vielleciht ein Produkt für Sie“, führte sich der Gesprächspartner ein. „Vielleicht könnten wir den Markt hier mit Inulin sättigen, ich vertrete eine Pflanze, die produziert das“

„Sie sind Blumenhändler? Sie kommen mir merkwürdig daher. Und: in Ihrer Aussprache fehlt doch ein „S“.

„Neinnein, ich vertrete ein Produkt, das wir seit einiger Zeit aus einer Blume gewinnen. Eine sehr schöne, und große. Wir haben aus markenrechtlichen Gründen unser Produkt nicht nach Ihren Insulanern benannt, sondern anders, nach Helene, einer anderen Blume wiederum, wo wir das Produkt zuerst entdeckten. Und dann trafen wir eine ihrer Tanten aus Amerika. Sie produziert davon so viel, dass wir unseren gesamten Weltbedarf daran decken können. Übrigens, wir machen vorwiegend in Composita“

„Was?“

„Nennen Sie es Korbwaren, also Körbchenblumen, mein Herr, also etwas Zusammengesetztes, oder wie sagte man einst: es ist kompliziert“.

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Unsere Pflanze der Woche wird auf jeden Fall untertägig abgebaut.

Der Dampfer war mittlerweile dem Zuckerberg bedrohlich nahe gekommen. Von seinen Abhängen purzelten Rüben herab. „Glucose, Fructose“, schnaubte der Zuckervertreter. „Ein Disaccharid. magengängig, leicht spaltbar. Und dann bekommen Ihre Insulaner so viel zu tun, dass das ganze System kollabiert. Sollte man verbieten“, entgegnet der Blumenvertreter.

„Was schlagen Sie denn als Ersatz vor?“

Nichts anderes, als unser Produkt. Reine Fructose. Aber so schlau zu gar feinen Ketten verknüpft, dass wir Menchen sie nicht aufdröseln können. „Ich darf ihnen das mal skizzieren: Hier geben wir unser Produkt hier in das System ein“, sagte er, und zeichnete ein weit aufgerissenes Maul, das merkwürdige Ketten verschlingt – wie Spaghetti. „Es kommt hier oben rein, bis alles gesättigt ist. Es passiert den gesamten Trakt unbehelligt, bis erst, bei Darmstadt, ein wilder Bakterienstamm den Angriff übernimmt. Die zerlegen das Zeug dann – in feinsten Fruchtzucker“

„Dann haben Sie das Problem doch nur verlagert?“

„Haha, das ist ja der Trick. Ihre Insulaner folgen kommen nicht bis dahin, in Darmnstadt haben sie die Kaimauer zur Einfuhr gesperrt, und unser Fruchtzucker geht den Weg alles Irdischen: kleine Helferlein verschlingen es, es entsteht Gas, und raus damit aus dem Hinterausgang.“

„Heiliger Sankt Blasius! – das Zeug reist den ganzen Weg mit, und hinten raus kommt nur heiße Luft?

„So ist es. Eine prima Geschäftsidee“

„Aber, jetzt mal im Ernst: wer kauft sowas?“

Haha, das ist überall drin! Während die Mutterpflanze ein Schattendasein führt, wird ihr Inhaltsstoff überall verwendet, vor allem in „Kalorienreduzierter Nahrung“, diesen „Light-Produkten“ der Lebensmittelkonzerne. Es gibt ein „fettiges Mundgefühl“, dabei hat es keine für den Menschen verwertbare Kalorien. Wir verkaufen es an Wurstfabrikanten genauso wie an Molkereibetriebe: damit der Sahnejoghurt noch sahniger schmeckt….“

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Ob es wirklich zielführend ist, einen unausgereiften Samenstand unserer Wochenpfanze abzubilden?

Lassen wir die Herren weiter schwadronieren. Uns interessiert:

1)
Von zwei Blumen war hier die Rede, die letztere, also die Tante aus Amerika, die „das Zeug“ produziert, wollen wir wissen.

2)
Wo waren die Herrschaften unterwegs?

3) Wozu dient das Zeug ?

4) was macht man mit der Pflanze?

5) Wie alt ist der Kapitän?

P.S: Heute, am 14 November, gibt es auch einen Geburtstag zu feiern. Google widmet ihm ein Doodle: https://www.googlewatchblog.de/2016/11/google-doodle-geburtstag-sir/

 

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