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Voll vor den Baum

Pflanze der Woche, 14.-20. April 2025


Heino strampelte los – mit seinem E-Bike kein Problem. Um acht wollte er bei ihr sein. Okay, ein paar Minuten später, aus Anstand. Er freute sich schon: Nach dem anstrengenden Wochenende mit Elfriede endlich Nixi wiedersehen. Und er war neugierig – was hatte sie herausgefunden? Was würde sie wieder aus dem Hut zaubern?

Es begann zu dämmern. Gegen 19:45 Uhr erreichte Heino die Peißnitzbrücken. Flugs über die Schwanenbrücke, durch das aufgemalte Sonnensystem, die Pionierbrücke hoch – er fuhr deutlich zu schnell. Dann rechts runter, die Kurve nach links. Er blickte in den Himmel, der schon fast nächtlich blau war. Und direkt hinein in die Krone eines jungen Baumes. Er bekam die Kurve nicht, schoss über die Begrenzung des Radwegs hinaus. Die Zweige des noch blattlosen Baums, die sich in den Himmel reckten, waren wohl das Letzte, was er sah – vorerst. Den Knall des Aufpralls, als sein Kopf gegen einen der drei Pfosten krachte, mit denen das Bäumchen abgestützt war, hörte er nicht mehr. Filmriss.

In der etwas schrägen Lokalredaktion (der Konkurrenz der Pflanzenredaktion) „ich und mein Halle.de“ zimmerte ein unterbegnadeter Redakteur gerade die Polizeiberichte zusammen. „Journalist von Pflanze der Woche kracht gegen Baum des Jahres“ schrieb er und konnte sich kaum halten vor Schadenfreude. „Geil, das bringt Klicks“. Weitere Schlagzeilen sprudelten aus ihm heraus:

  • „Migrationshintergrund: Deutscher Radfahrer kracht gegen US-Amerikaner“
  • „Gefährlicher Neophyt lauert in der Kurve – schon wieder ein Radfahrer Opfer“
  • „Was für umstrittene Bäume die Stadt jetzt anpflanzt – und worauf Sie unbedingt achten sollten“
  • „Auf was man alles treffen kann, wenn man mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt“

Letztlich entschied er sich für: „Statt mit dem Rad ins Grüne – voll vor den Baum geknallt“.

Nach einer Viertelstunde fand ein Spaziergänger den verunglückten Heino. Glücklicherweise erkannte er im Licht der orangeroten Laterne die Rücklichter des E-Bikes und entdeckte Heino selbst. Der Notarzt war schnell vor Ort. Hubschrauber. Klinikum Kröllwitz. Diagnose: schwere Gehirnerschütterung, Schlüsselbein gebrochen – sonst okay. „Der Mann hatte Glück“, sagte Oberarzt Dr. Eichendorf. „Helm getragen – sag ich immer wieder.“ Heino würde ein paar Tage zur Beobachtung bleiben.

Gegen Mittag des nächsten Tages wachte er auf. Krankenhausgeruch. Verwirrung.

Nixi hatte am Sonntag noch eine halbe Stunde gewartet. Dann rief sie Heino an. Nur der Anrufbeantworter sprang an. Sie war beunruhigt. Wen sollte sie fragen? Sie hatten bislang wenig gemeinsame Kontakte. Montag betrat sie die Redaktion. Irgendwann würde Heino ja auftauchen – da wäre dann wohl eine Erklärung fällig.

Doch da war kein Heino. Nur betretene Gesichter. „In der Klinik sagen sie nichts.“ „Er soll aber viel Glück gehabt haben, weiß ich von einer sicheren Quelle“, sagte der Chef. „So ein Mist“, murmelte jemand. Und dann diese Schlagzeile der Konkurrenz! Einer las sie vor – und Nixi war geschockt. Sie fühlte sich schuldig. Der Unfallzeitpunkt ließ keinen Zweifel: Heino war auf dem Weg zu ihr gewesen.

In der Redaktion klingelte das Telefon immer wieder. Einige Anrufer drückten ihr Mitgefühl aus, andere empörten sich über die Stadt: Bäume an Radwegen – unverantwortlich!

Dann kam eine Pressemitteilung des örtlichen Baum- und Auenwaldvereins. „Die schon wieder“, stöhnte jemand, aber Nixi las die lange Stellungnahme des Gummistiefel-Aktivisten sorgfältig: Man habe immer schon vor Neophyten gewarnt. Eine deutsche Eiche solle eine deutsche Eiche bleiben. Sicher sei es richtig, Stadtbäume nach Klimafestigkeit auszuwählen, und ja – die rote Herbstfärbung sei schön, aber das gehöre doch eher zum Indian Summer als in die Saaleaue. Auch andere Umweltverbände hätten die Wahl kritisiert. Offenbar hätten sich in der Jury des Vereins Baum des Jahres e. V. die Vertreter der gewinnorientierten Forstwirtschaft gegen Natur- und Artenschützer durchgesetzt.

Tatsächlich gibt es mehrere Kritikpunkte:

  • Diese Baumart kann sich invasiv ausbreiten und heimische Arten verdrängen.
  • Ihr Laub enthält Stoffe, die Bodenlebewesen schaden können.
  • Sie bietet im Vergleich zu heimischen Arten deutlich weniger Lebensraum für Insekten und Pilze.
  • Ihr Holz ist wirtschaftlich umstritten – zwar wüchsig, aber technisch schwer verwertbar.

Die Nachrichten verdichteten sich: Es ging Heino wohl besser. Nixi würde ihn bald besuchen. Zuvor wollte sie aber mehr über diesen sonderbaren Baum erfahren. Und ihm ihre gesammelten Erkenntnisse mitbringen – vielleicht als „Festschrift zur Genesung“.

Warum nicht gleich in der nächsten Folge der „Pflanze der Woche“?

Eine gute Idee. Und dabei könnte sie gleich ausprobieren, wie gut KI Bilder erzeugen kann. Eigentlich war sie ja immer skeptisch gegenüber solchen Programmen. Aber Heino hatte oft davon geschwärmt – und es kostete ja nichts.

Sie war auch zur Unfallstelle zurückgekehrt. Der Baum steht wirklich dort. Ein Patenbaum, gepflanzt 2022. Gespendet von einer freundlichen Firma. Auf der Tafel steht: „Die Stadt Halle sagt Danke“.

Fragen an unsere Leserinnen und Leser:

  • Um welchen Baum handelt es sich?
  • Seit wann wächst er in Deutschland?
  • Neben aller Kritik – was spricht für diese Baumart?
  • Warum ist der Stamm des Baums weiß gestrichen? Hat das etwas mit Heinos Unfall zu tun oder gibt es andere Gründe?
  • Auf einer historischen Illustration sitzt ein Vogel auf einem Zweig – welcher ist das wohl? Schon mal gesehen?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche „Rote Hühnerknochen und geronnene Milch): Kletten-Labkraut, Galium Aparine.

Elfriede kam schnell auf den richtigen Namen. Es ist ja auch eine sehr häufige Pflanze, allerdings nicht sehr attraktiv, und auch ein wenig beliebtes Unkraut. Aber eines mit vielen interessanten Aspekten.

Der Gattungsname Galium leitet sich vom griechischen Wort „γάλα“ (gála) für Milch ab. Dies spielt auf die Eigenschaft bestimmter Arten dieser Pflanzengattung an, Milch gerinnen zu lassen – ein Prinzip, das in der Käseherstellung genutzt wird. Mit dem geografischen Raum Gallien hat der Name hingegen nichts zu tun.

Färbeeigenschaften:

Die Wurzel des Kletten-Labkrauts enthält Hydroxy-Anthrachinon-Farbstoffe wie Rubiadin und Lucidin. Diese sind auch im verwandten Färberkrapp (Rubia tinctorum) enthalten, dort allerdings in deutlich höheren Konzentrationen. Daher wurde Galium aparine selten als Färberpflanze genutzt, obwohl es grundsätzlich funktioniert:

Im 18. Jahrhundert beobachteten Bauern, dass Hühner, die die Wurzeln fraßen, rötliche Knochen entwickelten – ein eindrucksvoller Hinweis auf die färbende Wirkung der Inhaltsstoffe.

Beizen und Färben:

Damit Wollfasern oder andere Eiweißfasern die Farbstoffe aufnehmen können, müssen sie zunächst mit Aluminiumsalzen (Alaun) vorbehandelt („gebeizt“) werden. Alaun ist ein traditionelles, ungiftiges Beizmittel, das die Farbaufnahme verbessert und für leuchtendere Töne sorgt. In Deo-Roller sind solche Aluminiumsalze enthalten.

Verwendung als Lab-Ersatz:

Die Bezeichnung „Labkraut“ ist nicht zufällig: Die Pflanze enthält enzymähnliche Substanzen, die Milch gerinnen lassen, insbesondere bei leichter Erwärmung. Dieser Effekt wurde traditionell in der Käseherstellung genutzt, als pflanzliche Alternative zum tierischen Lab, das aus Kälbermägen gewonnen wird.

Der Vorgang, bei dem Milch in eine gallertartige Masse übergeht, nennt sich „Dicklegen“ – ein notwendiger erster Schritt zur Käseherstellung. (Mit dem „Schwängern einer Dame“ hat das trotz des Namens übrigens nichts zu tun.)

In Zeiten zunehmenden Interesses an vegetarischen und veganen Ernährungsformen wird pflanzliches Lab aus Labkräutern heute wieder verstärkt erforscht und eingesetzt.

Wollt Ihr einmal ausprobieren, mal so richtig „Käse zu machen“ ? hier unser Rezept : (Mozzarella mit Labkraut).

„Tünnkaffee“. Damit bezeichnete man im 19. Jahrhundert einen Kaffee-Ersatz aus den getrockneten und gerösteten Samen des Klettenlabkrauts. Mit „Tünnkram“ hat es wohl wenig zu tun. Mal Scholz fragen.


Alle weiteren, vergangenen (und teils schon kompostierten) Pflanzen der Woche findet Ihr hier unter diesem Link. Alle seit 2016.

3 comments on “Voll vor den Baum”

  1. Alle Welt ( so’n Kwatsch “ alle Welt“, wo mr nur eene hamm bis heide) schimpt off Tramp wejen dem sein‘ Zöllen un ooch sonst. Awwer was macht Halle? Flanzt ooch noch e Boom aus den sein‘ Lande un is also een Neofüt. Der Boom. Eijentlich wie de Gardoffeln.. Awwer weile nuh ooch jute Eijenschaften hat, duhn mir die schlechten Sachen nich beachten. Un der heeßt hochdeitsch Amerikanische Roteiche un ladeinisch
    Quercus rubra, also Querschläjer, un den hammse als Boom des Jahres 2025 ausergorn, weile sich jut anbasst an de glimadischen Bedingung‘ jezz. Ihr Jefieder , also de Blädder, färm sich scheene rod im Herbst un jehm dem Jelände e jans schnerbliches Ambjente, echt jezz, rod is direggt deggoradi. Die hammse nuh ungene weiß jeschtrichen, damitr se bein Wachsen keene Schbannungsrisse kriejen, sozesachen als Schuzz drfor. Weiß schizzt vor Sonne, mir drachen je im Sommer ooch weiße Kittelasche bevorzucht. Awwer weil se Heinon kenn‘ un der da ofte langmacht, ooch als Schuzz jejen seine halsbrecherische Fahrweise, dass der nich drjejen rammelt.
    Offen Boom sizt enne Ringeldauwe, awwer der fehlt was, nämich der weiße Fleck am Halse, velleicht hammse den in de Farwe mitjejehm zum Vrlängern. ’s werd je jezz alles e Häbbchen gnabb wern…manche schbrechen je schon von eener drohnden Weldwertschaftsgrise. Weeß mrsch?
    #Un nuh wissdrsch.

  2. Liebe Elfriede, es handelt sich nicht um die Ringeltaube. Diese ausgestorbene Art war eine “ Wandertaube“ oder “ Reisetaube“ „Ectopistes migratorius „Vor wenigen Jahren starb das letzte Exemplar in einem nordamerkanischen Zoo. Die Wandertaube war auch in Nordamerika heimisch.

  3. Es ist schon erstaunlich, wozu der Mensch fähig ist. Einst war die Wandertaube einer der häufigsten Vögel überhaupt, und seit 1914 gibt es keinen mehr: „An den Ufern des Ohio wimmelte es von Männern und Jungen, die ununterbrochen auf die beim Überqueren des Flusses niedriger fliegenden Pilger schossen. Zahlreiche wurden auf diese Weise vernichtet. Über eine Woche oder länger aß die Bevölkerung kein anderes Fleisch als das der Tauben. Während dieser Zeit war die Atmosphäre regelrecht durchtränkt von dem eigentümlichen Geruch, den diese Art ausströmt. […] Vor Sonnenuntergang waren wenige Tauben zu sehen, aber eine Menge Menschen mit Pferden und Wagen, Gewehren und Munition hatten bereits an den Waldrändern ihre Lager aufgeschlagen. Zwei Farmer aus der Umgebung des über hundert Meilen entfernten Russellsville hatten über dreihundert Schweine hergetrieben, um sie mit den zu schlachtenden Tauben zu mästen. Hier und da sah man Leute inmitten großen Haufen bereits erlegter Tauben beim Rupfen und Einsalzen. (zit. n. Albus, S. 12 f.)“

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