Pflanze der Woche

7. August 2016 | Bild der Woche | 8 Kommentare

Auflösung der letzten Wunderblume: Dryas

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Verweile doch, du bist so schön.. Aber seit der letzten Kaltzeit hat sie sich aus unseren Gefilden verdünnisiert: Dryas octoptala. Sie lebt jetzt mit den Rentieren im Hohen Norden.

Dankeschön, Hal29, Lou, Escholzia, redhall, für eure guten und zielführenden Fragen zu Dryas octopetala, der Weißen Silberwurz! Dryaden sind Baumnymphen der griechischen Mythologie, speziell der Eichen (- diese vor dem Baumkontakt bitte günstig stimmen!). Die Namenswidmung unserer Pflanze liegt insofern nahe, ähneln die Laubblätter von Dryas o. doch einem Eichenblatt, was ihr ursprünglich die Benennung Chamaedrys, Zwergeiche, einbrachte. Carl von LInné stellte sie aber zur Familie der Rosaceae, der Rosengewächse. Während hier die meisten 5 Blütenblätter zeigen (Rosen, Apfelblüte, Mandelblüte), hat unsere Dryas i.d.R. 8 Kronblätter (Petalen, „octopetala“, „Lou“ hat richtig gezählt). User „Hal29“ nannte Gründe für das potenziell hohe Alter von annähernd 100 Jahren – im Gegensatz zum stets stoffwechselaktiven Menschen steht die Silberwurz nicht Zeit ihres Lebens in voller Blüte…
Dryas ist ein typischer Spalierstrauch, ein Zwergstrauch mit eng über dem Boden wachsenden Zweigen. Er wächst nur auf der Nordhalbkugel, in arktisartigen Gefilden (Tundren, alpine Regionen). Auch im Alpinum botanischer Gärten darf er nicht fehlen – denn er hat einen hohen, historischen Wert: International spricht man bei verschiedenen Zeitabschnitten ab dem Ausklingen der letzten Vereisung von der „Dryaszeit“ (oder der Dryas). In den gletscherfreien Tundren war das Pflänzchen während der letzten Kaltzeiten zirkumpolar auf der Nordhalbkugel verbreitet, als charakteristische Leitart für die damals herrschenden Umweltbedingungen. Ihre Blüten, Früchte und Pollen findet man in eiszeitlichen Ton- und Schluffablagerungen fossil erhalten (- richtig gelöst, Hal29). Im Raum Halle herrschten zuletzt vor rund 12.000 Jahren arktische Bedingungen – brrrr, in dieser Halleschen Kältesteppe wuchs Dryas octopetala als Pionierpflanze, belegt z.B. durch fossile Blätter in spätglazialen schlammigen Sedimenten des Geiseltals (sog. Schluffmudden).
Seit Entstehung der Erde vor ca. 4,6 Millionen Jahren gab es immer wieder Eiszeitalter (- mindestens 4, vielleicht 7 oder mehr), die von wärmeren Phasen relativ stabilen Klimas abgelöst wurden. Seit wenigen Millionen Jahren (ca. 2,6 Ma) befinden wir uns im quartären Eiszeitalter. Ein globales Eiszeitalter besteht aus mehreren Kaltzeiten (Glazialen) mit Gletscheraufbau und sinkendem Meeresspiegel sowie aus dazwischen liegenden Warmzeiten (Interglazialen) mit sich zurückziehenden Gletschern und dafür ansteigendem Meeresspiegel. Die letzte Kaltzeit wurde im Alpenraum als Würmglazial, im Nordseeraum als Weichselglazial benannt. Sie begann vor ca. 115.000 Jahren und dauerte bis vor rund 11.700 Jahre (bzw. 9.700 v. Chr.). Jetzt befinden wir uns im Holozän (griech. ὅλος, „völlig“ und καινός, „neu“), also in einem Interglazial des quartären Eiszeitalters, bei dem es – vergleicht man mit der kompletten Erdgeschichte – relativ kalt bleibt, sodass die Pole eisbedeckt sind.

Schauen wir uns den letzten großen Wechsel vom Glazial zum jetzigen Interglazial genauer an: Das ausklingende Weichselglazial kann aufgrund genauer Datierungsmethoden (u.a. mittels Pollenanalysen) in sog. Stadiale und Interstadiale unterteilt werden, also in Kaltphasen mit kurzfristigen Gletschervorstößen und in dazwischen liegende Warmphasen (- aber alle innerhalb des Weichselglazials, und all das innerhalb des quartären Eiszeitalters). Die drei letzten glazialen Kaltphasen sind es nun, die in Verbindung mit unserer „Pflanze der Woche“ stehen, wurden diese Zeiträume doch danach benannt: Älteste, Ältere und Jüngere Dryaszeit. Und da sind wir endlich auch in der Geschichte des modernen Menschen, im Jungpaläolithikum, im Übergang von der Altsteinzeit zur Mittelsteinzeit (- die bereits ins Holozän fällt).
Jaaa, genau, das ist da, wo wir im Landesmuseum die Gletscherzunge und das Bild der schönen Frau sehen können – und nein, die Schamanin gehört bereits in die Mittelsteinzeit, ins Holozän (= das jetzige Interglazial), da stiegen die Temperaturen schon auf das heutige Niveau…. Wer ist noch nicht verwirrt? Dann vielleicht noch so viel: Seit dem Abtauen am Ende des letzten Glazials stieg der Meeresspiegel wieder um 120 Meter an – durchschnittlich um 1 m pro Jahrhundert.

Bleiben wir in der Dryas, also in den Kaltphasen mit ausgeprägter Tundrenvegetation: Dryas octopetala belebte die Steppen vor den Gletscherzungen. Was sehen wir dort noch?
In der wärmeren Phase vor dem nächsten Kältevorstoß der Ältesten Dryas (ca. 11.850 bis 11.720 v. Chr.) hatte der moderne Mensch die Frauenstatuetten vom Fundort Nebra geschaffen. In der nachfolgenden wärmeren Phase stieg der Meeresspiegel um 2,5 m in hundert Jahren. Der Mensch lebte in der Kulturstufe des Magdalénien, in der berühmte Höhlengemälde wie im südfranzösischen Niaux erschaffen wurden – diese sind bereits den nächsten Gletschervorstößen der Älteren Dryas zuzuordnen (ca. 11.590 bis 11.400 v. Chr.). Mit deren Ende folgten klimabegünstigt, mit erster großflächiger Ausbreitung von Kiefern- und Birkenwäldern, die Federmessergruppen. Ihr späterer Lebensstil war aber geprägt von erneuten Klimaschwankungen, die fast weltweit nachweisbar sind: Während der Jüngeren Dryas (10.730 bis 9.700 v. Chr.) kam es europaweit letztmalig zu größeren Gletschervorstößen, und auch Dryas octopetala als Pflanze der Tundra breitete sich in ganz Europa aus. Umstritten ist, was zu dieser Abkühlung geführt hatte. In Nordamerika gibt es Hinweise auf einen Meteoriteneinschlag, der derartig kältefördernd und kulturverändernd gewirkt haben könnte. Diese letzte Abkühlung hat die Menschheitsgeschichte entscheidend beeinflusst: Die großen, eiszeitlichen Säugetiere starben aus, der jagende Mensch musste sich wieder mehr aufs Sammeln verlegen. Vielleicht haben die Menschen im Nahen Osten und in Kleinasien erstmals in Erwägung gezogen, sesshaft zu werden und Landwirtschaft zu betreiben…

Die neue Pflanze der Woche vom 8.-13. August ist eine einheimische Pflanze, sie liebt Kalk, und kommt gerne an Waldrändern vor. Es ranken sich einige Mythen um sie.

Unsere Pflanze des Monats: blüht sie nicht schön?

Unsere Pflanze des Monats: blüht sie nicht schön?

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Das ist die Blüte. Die Früchte zeigen wir nicht – das wäre dann zu verräterisch.

Die Pflanze kann recht hoch werden, bis zu zweieinhalb Meter erreicht sie gern. Die zartrosa Blüten, die wir hier auf den Bildern sehen, werden gerne von Insekten angeflogen, daraus entwickeln sich dann Früchte, die mit den Blüten gleichzeitig am Strauch hängen, bis weit in den Herbst hinein. Die Pflanze ist ausdauernd, aber die langen Zweige frieren im Winter immer wieder ab, im zeitigen Frühjahr treibt sie immer wieder neu aus dem kräftigen Wurzelstock aus.
Ihren wissenschaftlichen „Vornamen“, also den Gattungsnamen, hat sie von einer der drei Schicksalsgöttinen aus der griechischen Mythologie. Auf Griechisch bedeutete deren Name soviel wie „die Unabwendbare“, und ihre Aufgabe war es, den Lebensfaden des Menschen abzuschneiden. Klingt grausig, aber die unabwendbare Endlichkeit des Menschen war in der Antike wohlbekannt.
Dabei war sie gar nicht die Böse, denn die Länge des Lebensfadens hatte nämlich schon ihre Schwester Lachesis bestimmt. Letztlich war sie also nur eine Vollzieherin des Schicksals.
Der Nachname unserer Pflanze, das „Artepitheton“, ist dabei viel schmeichelhafter, und wahrscheinlich spätlateinisch- italienischen Ursprungs. Unsere Pflanze machte nämlich den Frauen schöne Augen, und manch hässliche Matrone verwandelte sich mit ihrer Hilfe zu einer unwiderstehlichen Schönheit. „Deine großen Augen, machen mich so sentimental“ (oder so ähnlich) singt Nina Hagen in einem bekannten Schlager. Das weiblich-Böse, die Verführungskunst als auch die Anmutige Schönheit verbanden die Menschen in der Antike also mit unserer Pflanze, und die Blüten sehen doch wahrhaftig hübsch aus. Aber auch im Mittelalter nahmen weise Frauen unsere Pflanze zur Hilfe, denn mit einem Besen allein gelingt kein Hexenflug, da bedarf es weiterer Mittelchen, gewisser Schmierstoffe halt, um sicher abheben zu können. Eine heile Landung war dabei nicht immer gewiss.
Ganz unaufgeregt wird ihr Saft heute noch von Medizinern verwendet, Augenärzte nehmen einen ihrer Inhaltsstoffe heute noch zu Augenuntersuchungen.
Ihre Widersprüchlichkeit hat unserer Pflanze sogar in der modernen Medizin behalten.
Im ersten Irakkrieg hat sie so manchem Opfer das Leben gerettet, denn ihr Inhaltsstoff ist ein wirksames Mittel gegen gefürchtete Kampfstoffe wie Tabun oder Sarin.

Und das sind unsere Fragen:

1. Wie heißt unsere kleine Freundin?
2. In welchem realen Zusammenhang steht sie zu schönen Frauen und Augenärzten?
3. Worin besteht die Wirkung als Gegengift ?

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