Pflanze der Woche (26.09-2.10.2016)

26. September 2016 | Bild der Woche | 11 Kommentare

Auflösung der letzten Pflanze der Woche: Baumwolle als Sinnbild für die Tücken der Globalisierung

Wie heißt diese Pflanze?

Baumwolle, Gossypium hirsutum

Rohstoffe erleben eine Wiederbelebung – sowohl als Handelsware, als auch als wirtschaftliche Anlageform: Nachfrage und Wertschätzung steigen, es wird wieder mehr in Rohstoffe investiert (- im Kontrast zur New Economy). Interessiert man sich für den internationalen Handel der sog. Nawaro, (nachwachsende Rohstoffe), lohnt sich ein Blick auf die New Yorker Terminbörse ICE Futures U.S., die die ehemalige NYBOT (New York Board of Trade) und damit den Baumwolle-Handelsplatz NYCE (New York Cotton Exchange) beinhaltet. (Möchte der Privatanleger in Baumwolle investieren, sollte er besser die derivativen Finanzinstrumente nutzen!) Der hochliquide Baumwoll-Kontrakt zählt zu den meistgehandelten Agro-Futures, denn Baumwolle ist so wichtig ist wie alle anderen Textilrohstoffe zusammen. Nicht nur die weltweite Textilindustrie lechzt nach der Samenwolle, auch Zellstoff, Watte und Seil stellen Forderungen. Ebenso Medizintechnik und Papierindustrie usw.
User Escholzia hatte die Baumwollpflanze Gossypium im Botanischen Garten entdeckt, wunderbar! Nicht zu übersehen war die hier gesuchte Art Gossypium hirsutum („behaart“) vor kurzem in Griechenland, wo Hei-Wu sie fand. Hier gbegann gerade die Ernte: Keine echte Wolle, auch nicht von Bäumen.

Aber Sträucher bildet die Pflanze schon, mit bis zu mannshohen Exemplaren; das schaffen die kultivierten Exemplare in ihrer einjährigen Lebensdauer nicht, sie bleiben auf der Höhe von Kindern. Charakteristisch sind die wechselständigen, tief gelappten Laubblätter an langen Stielen, sowie die an Hibiskus erinnernden Blüten. Darin entwickelt sich eine Kapselfrucht mit bis zu 4 cm Länge und ca. 3 cm Durchmesser. Die kleinen Samen in der Fruchtkapsel sind von langen, weißen Fasern (in der Fachsprache: Lint) und kurzen, hellgrauen Fasern (Linter) umgeben. Diese Samenhaare sind in Form dünner, fester, langer Fasern (Lint) zu Garn verspinnbar, die kurzen Linter werden zu Filz, Zellstoff, Papier usw. verarbeitet. Was wir auf den Fotos sehen, ist die reife, aufgeplatzte Samenkapsel, aus der die Samenwolle herausquillt.

In Thessalien, wo die Lohnstückkosten schon verhältnismäßig hoch sind, wird ausschließlich mit Maschinen geerntet, dabei allerdings mit hohen Verlusten, da die Reifezeit der Bällchen sehr unterschiedlich ist. In anderen Ländern wird immer noch auf die schonende Ernte mit der Hand gesetzt. Samenhaare und Samen werden getrennt, die Samenwolle wird zu Ballen geformt, später gebleicht oder gefärbt. Diese Verarbeitung war schon den antiken Kulturen bekannt: Von den Indern wanderten diese Kenntnisse mit der Pflanze dann etwa zu Beginn des Mittelalters nach China. Und weltweit weiter, zu den Persern, den Arabern, den Ägyptern, über Byzanz nach Westeuropa, auch zu den Inkas. Auch bereits früher, 3000 v. Chr., wurde Baumwolle in Asien zur Textilherstellung genutzt – während Mitteleuropa noch in der Jungsteinzeit lebte. Wir können noch weiter zurückgehen, ins 6. Jahrtausend v. Chr. – und erkennen, dass, wie bei vielen Pflanzen, die Auslese und Kultivierung von Wildformen an verschiedenen Orten unabhängig voneinander erfolgt ist. Die derzeit ältesten Funde zur Baumwollnutzung sind aus dem heutigen Mexiko und Pakistan belegt.

In Deutschland sollen die Augsburger Fugger die ersten Handelspartner für Baumwolle gewesen sein, etwa in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Kluge Köpfe ertüftelten Webmaschinen (17. Jahrhundert; Handwebstühle wurden schon in der Steinzeit betrieben!), später die Spinnmaschine. Die technischen Fortschritte von Web- und Spinnmaschine schaukelten sich aufgrund des dadurch gestiegenen Bedarfs an Garn bzw. an Webgeschwindigkeit gegenseitig hoch, schließlich entwickelte sich daraus die moderne Fabrik. Der amerikanische „Cotton Belt“, der Südosten der USA,  ist für diese industriellen Fortschritte bei der Baumwollproduktion bekannt – er wurde damit auch zur Kernregion der Sklaverei! Afrikaner wurden in Ketten gelegt und als Plantagensklaven z.B. in die Karibik verschifft. Umso mehr, je höher die Nachfrage nach Rohbaumwolle ausfiel; und diese wiederum stieg mit der Anzahl verarbeitender Maschinen (Spinnen, Weben…) in England und Mitteleuropa. Zum Aufschwung der europäischen Baumwollspinnerei kam es nach der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt … Etwas später kamen Gerhart Hauptmanns „Die Weber“, hinsichtlich wirtschaftlicher und sozialer Interessensabwägungen blieben sie aktuell. Wer die Verflechtung der Weltwirtschaft anhand der Baumwolle weiter verfolgen möchte, sei z.B. auf den schon genannten Artikel (https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article132744057/Der-Stoff-aus-dem-der-Kapitalismus-ist.html) verwiesen: „Von Kindern in Usbekistan (…) geerntet, wird die Faser in Ägypten oder China gesponnen und dann in Bangladesch für Niedrigstlöhne zu Kleidung verarbeitet, die wir hierzulande schließlich zu oft lächerlichen Preisen kaufen.“

Heutzutage hat China mit 24 % den höchsten Marktanteil als Baumwollproduzent, es folgen USA (20 %), Indien und Pakistan, dann Brasilien, Ägypten (mit hochwertiger, feiner Baumwolle), Türkei. In der EU produziert nur ein Land nennenswert: Griechenland. Die Nachfrage nach Baumwollkleidung ist in Europa und USA gesunken, in China dagegen ansteigend. Noch einmal ein Blick auf die Börse: Nicht die Nachfrage, sondern das unberechenbare Wetter birgt für den Handel von Agrarrohstoffen das größte Risiko. Auf Hurrikan-Warnungen reagiert auch ein Baumwolle-Bärenmarkt (= anhaltend sinkende Kurse aufgrund von Überangebot und Lagerhaltung) mit kurzzeitigen Anstiegen. Schätzt man Baumwolle als Naturfaser, ist zu berücksichtigen, dass heute überwiegend gentechnisch verändertes Saatgut verwendet wird, was einen enormen Einsatz von Pestiziden nach sich zieht. Dieser sogenannten Bt-Baumwolle wurde ein Gen zur Insektenabwehr eingeschleust. Aufgrund von Resistenzen erfordern Baumwollfelder  inzwischen aber 25 % des weltweiten Pestizideinsatzes (bei nur 2,5 % weltweiter Ackerfläche).

Und auch wenn man sich auf Bio-Baumwolle beschränkt, ist der für die Herstellung erforderliche Wasserbedarf sehr hoch: 11.000 Liter Wasser für 1 kg Baumwollstoff. Die Bewässerung der durstigen Gossypium zentralasiatischer Plantagen hat beispielsweise zur annähernden Austrocknung des Aralsees geführt. Noch so vieles mehr könnte man über Baumwolle erörtern: Eigenschaften der Baumwollfasern, Gossypol (aus den Samen der Baumwolle) als Medizinprodukt, Baumwollkuchen als Kraftfutter…

(Text: A.S.)

Vielleicht wollen wir aber einfach nur schöne Blütenpflanzen sehen und bestimmen? Dann geht es hier weiter:

Pflanze der Woche 26. September bis 2. Oktober

sam_3404 pflanze der Woche 26-09-2016 Kenno  Unsere Pflanze dieser Woche ist dieses mal nicht sehr schwer zu erraten. Es ist aber wichtig, dass sie jeder kennt – denn widrigenfalls drohen böse Konsequenzen. Es sei nur so viel verraten, dass es kein Zufall ist, dass wir die Blätter nicht abbilden. Warum?
Unser User Kenno fand das Exemplar in seinem Garten, und hoffentlich nicht inmitten seines Küchenzwiebelbeetes.

Hei-Wu fand auch eines bei seinem Ausflug in den Nordosten Griechenlands: Die Pflanze kommt europaweit vor, und wie man auf diesem Bild sieht, liebt sie frisch gedüngte Böden.

20160905_111140 pflanze der Woche 26-09-2016Aber lassen wir uns die inhaltliche Sache ansprechen: allem Bösen ist auch etwas Gutes abzugewinnen, wenn man es richtig einsetzt.
Viele unserer Kulturpflanzen zeichnen sich gegenüber den Wildformen durch einen besonders großen und kräftigen Wuchs aus. Da haben offenbar Generationen von Züchtern etwas manipuliert. Unsere Pflanze der Woche hat daran keinen unerheblichen Anteil.

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