Die Pflanze der letzten Woche war – nach anfänglichen Startschwierigkeiten- dann doch schnell gefunden. Acanthus mollis, der wahre oder auch weiche Bärenklau, war der gesuchte. Acanthus balcanicus oder hungaricus , auch ungarischer Bärenklau, hätten wir gelten lassen können, da wir nur die Blüten abgebildet haben. Und die sehen praktisch gleich aus. Wie auch unsere Leser richtig bemerkt haben, gilt die Art, oder die Familie dieser Pfanzen als der „Motivstifter“ eines architektonischen Dekorationsprinzips. Die Blätter von Acanthus mollis ähneln etwas den distelartigen Blättern, die wie ein Kohlkopf einen antiken Säulenkopf umhüllen. Man spricht hier von der korinthischen Ordnung.
Kunstgelehrte haben schon in alter Zeit immer wieder versucht, die Baustile ihrer Vorgänger zu ordnen, denn Ordnung ist die halbe Wissenschaft. Im ersten Jahrhundert vor Christus blickte das ganze römische Reich nach Griechenland, von wo man nicht nur die Herkunft des Denkens vermutete, sondern auch die der Kunst, und hier insbesondere der Baukunst. Die Römer hatten schon seit Jahrhunderten griechische Baukunst adaptiert – die Kunst des von ihnen unterworfenen, kleinen Vielvölkerstaates galt ihnen als Vorbild und Inbegriff imperialer Macht. Versklavte „Kulturbereicherer“ bildeten nun Römer nicht nur in Sachen Rechtschreibung und Literatur aus, sondern bereicherten mit ihren Künsten auch die „Artes sordides“, das Handwerk, wozu auch die bildende Kunst gehörte. Nun war das aber nicht so ganz einfach, mit dieser griechischen Kunst, viele Stile fand man vor, und die schienen einer geheimen Grammatik zu folgen, also bedurfte es einer Ordnung, um sie studieren und anwenden zu können. Marcus Pollius Vitruvius, ein römischer Architekturgelehrter, der mehr geschrieben, denn selber gebaute hatte, machte sich ans Werk – er ging im ersten vorchristlichen Jahrhundert etwa so vor, wie unser Botaniker Linne im 18. Jahrhundert: Erscheinungsformen wurden benannt, und in Regeln gepresst, und wo was nicht passte, da wurde es passend gemacht. Drei vorherrschende Säulenformen begegnete man damals in Griechenland: dem dorischen (gerillte Säule, darauf ein runder Wulst, versehen mit einer Deckplatte). So etwas einfaches konnte nur von den primitiven Ersteinwanderern, den Dorern stammen. Dann gab es da noch diese Säulenköpfe mit den Schnecken, die nannte Vitrvius „ionisch“ (nach den ionischen „Zweiteinwanderern“), und dann kam die geordnete Unordung, die erst zu Vitruvs Lebzeiten als Hauptordnung richtig in Mode gekommen war: unser Blätterwerk, das schon in Griechenland zumindest in der Innendeko eigentlich schon 500 Jahre alt war. „Korinthisch“ nannte Vitruv das. Viele Theoretiker folgten seiner Einteilung der Ordnungen, zu der ja nicht nur das Kapitell gehörte, sondern auch das passende „Gebälk“ (Das, was horizotal über den Säulen verläuft). Ein gewisser Polykleitos soll übrigens das korintische Urkapitell in Epidauros geschaffen haben, es wurde dort vergraben und irgendwann im 19. Jahrhundert wieder ausgebuddelt. Es enthält, neben dem bekannten Blattwerk, eine Blüte oben in der Abdeckplatte. (http://www.bildindex.de/obj20030435 .html#|home) Diese Blüte sollte auch später nie verschwinden, in allen möglichen Wandlungen des Kapitells. Sie könnte zu allen möglichen Pflanzen gehören, aber zu unserem Akanthus nicht.
Dazu gibt es nur Sagen. Ein Mädchen aus Korinth starb zu früh eines tragischen Todes, die Eltern stellten der Gestorbenen einen Korb mit ihrem Spielzeug aufs Grab, und dann rankte der Akanthus darüber. Besagter Polykleitos (der „Hochbegabte“) fand das irgendwie hübsch, und meißelte alles es in Stein. Darüber sind viele Aufsätze und Bücher geschrieben worden: unseren Akanthus hat es nicht geschert. Er blieb über alle Zeiten in Mitteleuropa – das finstere Mittelalter bis hin zum Jugendstil eingeschlossen – das führende Ornamentmotiv.
Die nächste Pflanze der Woche: wir suchen im Kreise ihrer Familie…
Mit der Ordnung ist es halt so eine Sache, wenn die reale Welt sich ihr nicht fügen will: Wir werden uns dennoch weiter mit Ordnungen im Pflanzereich bechäftigen, und machen mit der nun folgenden Pflanze des Monats so eine Art Familienaufstellung. Die meisten, die der Familie der xxxxceae angehören, sind blaublütig, was aber nicht adlig bedeutet. Unsere Pflanze des Monats ist ein schönes, aber vollkommen unnützes Unkraut, wenn man mal den Nützlichkeitsbegriff so eng zieht, dass bisher kein Mench auf die Idee kam, diese Pflanze zu irgend einem Zwecke anzubauen.
Hübsch ist sie aber anzusehen, keine Frage, und selten ist sie nicht. Sie gehört mit ihrer Gattung zu einer Familie von Pflanzen, die über den halben Kosmos verteilt ist. Das ein oder andere Familienmitglied ist als Gewürzpflanze dann schon mal gesät oder geplanzt worden. Eines heißt so ähnlich, wie eine russische Suppe, und die ganze Pflanzenfamilie wurde danach benannt. Doch den meisten Pflanzen haftet seit jüngster Zeit ein Verdacht an: sie enthalten bestimmte Alkaloide unaussprechlichen Namens, die krebserregend sein sollen.
Die HalleSpektrum-Pflanzenredaktion fragt:
Wie heißt diese Substanzklasse?
Und welche anderen Nutzflanzen gehören zur Familie unseres Mauerblümchens?
Eines ihrer Mitglieder verleiht bestimmten Lippenstiften ihre Farbe. Name?
Chemisch übersichtlicher ist ein Pänomen, das vielen Arten der Familie anzusehen ist: Im Jugendstadium sind die Blüten rosa, dann werden sie blau. Was ist da los?
9 comments on “Pflanze der Woche 11.-17. Juli”
Die wachsen hier in Heide-Süd sehr häufig auf den Wiesen. Ich mag sie, wegen der Farbe ihrer Blüten.
Das die giftig sein sollen, wußte ich gar nicht, habe mal gegoogelt: Pyrrolizidinalkaloide heißt der Wirkstoff. Ich hoffe, ich liege richtig.
Die Färbungsvielfalt entsteht vielleicht so wie beim Blaukraut mit Essig, wenn ich koche (bzw. umgekehrt)?
Ja, so ungefähr, es sind Anthocyane, die da die Farbe wechseln. Ob es nur der pH ist, oder auch die Koordination mit Metallionen…
Egal. Das „umgekehrt“ mit dem Blaukraut find ich spannend. Du blaust das Kraut mit Essig? Bei mir wird das dann rot, und an Rotkohl würde ich jetzt keine Lauge schütten, das stelle ich mir geschmacklich schwierig vor..
@Woric: immer mehr Pflanzen werden als giftig „erkannt“. Das ist eine Mode, scheint mir ein Ergebnis des grassierenden Naturstoffscreenings zu sein. Veganer leben immer gefährlicher…
Hier mal ein Link, es geht um die Frankfurter grüne Soße, in der eines unserer Familienmitglied enthalten ist:
http://www.pflanzenforschung.de/de/journal/journalbeitrage/das-gift-von-der-wiese-pyrrolizidinalkaloide-nahrungsmi-10149
Die Redaktion von HalleSpektrum spricht bis auf Weiteres eine Reisewarnung für Zentralhessen aus.
Wenn ich richtig informiert bin, ist die Pflanze anfangs rot. Sammelt das Bienchen aber Nektar (und befruchtet nebenbei), wird die Pflanze blau (und ist nicht mehr „sauer, dass keiner kommt“).
Das Blaukraut mit dem Essig wird sauer und rot dabei (- die Richtung des Farbwechsels habe ich mit dem umgekehrten Weg gemeint). Gibt der Bayer aber Natron zum Kochen dazu , ist es nicht mehr sauer und der Bayer freut sich („Blaukraut bleibt Blaukraut“)
Wer kann jetzt Hei-Wus Aufgaben lösen?
Gondwana gibt ja schon die richtigen Hinweise ….
Ich frage mich allerdings, ob Natron an Rot/Blaukraut geschmacklich so der Hammer ist 🙂
Alkanna-tinctoria-Wurzeln:
http://www.digitalefolien.de/biologie/pflanzen/faerbe/01schm4.JPG
Was sind denn das für bestimmte Lippenstifte, für die sie verwendet werden – du scheinst dich da auszukennen, Hei-Wu?
Und die anderen Nutzpflanzen, war damit Phacelia als Nutz- und Forschungspflanze gemeint?