Oma Frieda und das fremde Obstjelumpe

17. Oktober 2016 | Bild der Woche | 5 Kommentare

Bevor wir zu Frieda und ihr vegetabil ausgelöstes Kopfkino und zur nächsten Pflanzenfrage kommen, wollen wir uns mit der Auflösung der letzten Pflanze der Woche (10.-17.10 2016) beschäftigen. Ja, Ginkgo wars. Das wussten Viele. Die Frage, was man mit den Samen machen kam: da kam nüschte. Also:

Wovon in unserem letzten Pflanzenrätsel die Rede war, waren die Samen von Ginkgo biloba, dem Ginkgobaum. Während der Baum in unseren Breiten durchaus bekannt ist, kennt kaum jemand seine Samen.

Ginkgo ist ein Urvieh unter den Samenpflanzen, ein lebendes Fossil. Der stattliche Baum gehört zu den Nacktsamern, das unterscheidet ihn von den entwicklungsgeschichtlich viel jüngeren Samenpflanzen, deren urtümlicher Vertreter, die Magnolie, ja auch schon einige Millionen Jahre auf dem Buckel hat. Seine oft gespaltenen Blätter, die an zusammengewachsene Nadeln erinnert, gab früher Anlass zur Vermutung, der Ginkgo sei entwicklungsgeschichtlich das Bindeglied von Nadel- zu Laubbäumen: das lernte unsereins noch in der Grundschule, als wir im Herbst aus bunten Blättern lustige Tierfiguren kleben mussten – ein paar goldgelbe Ginkgoblätter, die mit ihrem Spalt das Maul eines Drachen formten, waren immer gerne dabei.

Doch weit gefehlt. Heute sind Botaniker der Ansicht, Ginkgo sei der letzte Vertreter einer ausgestorbenen Pflanzenklasse, der Ginkgoopsida, die sich parallel, oder sogar vor den Koniferen entwickelte, und das schon vor mehr als 270 Mio Jahren.

Als letzter Überlebender seiner Klasse fristete der Baum sein Dasein in den Wäldern an den Hängen des Jangtsekiang in China, bis ihn vor etwa 1000 Jahren buddhistische Mönche entdeckten. Der langlebige, unverwüstliche Baum faszinierte sie, sie verbreiteten ihn, indem sie ihn als Tempelbaum an ihre Heiligtümer setzten. Erst im 18. Jahrhundert wurden Europäer auf ihn aufmerksam. Erste Exemplare landeten um 1730 im Botanischen Garten in Utrecht, von hier gelangten Ableger des Aufsehen erregenden Wunderbaums in die Parks der europäischen Fürstenhöfe. Im Schlosspark von Harpke in Sachsen-Anhalt soll ein Exemplar stehen, das schon 1758 gepflanzt worden sein soll.

Ginkgo ist in mitteleuropäischen Parkanlagen und sogar an Straßen keine Seltenheit. Man schätzt seinen zügigen Wuchs und Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Umwelteinflüsse.

„Bildungsbürgern“ fällt beim Thema „Ginkgo“ natürlich sofort Geheimrat Göthen ein, der den Baum immerhin schon um ein 1815 mit einem aus heutiger Sicht recht einfältigen Gedicht markierte. Er widmete es seiner späten Liebe Marianne von Willemer und bewundert darin die seiner Meinung nach – stets zweigeteilten Blätter :

Sind es zwei, die sich erlesen,
Dass man sie als Eines kennt? Solche Frage zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn.

Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Da
ss ich Eins und doppelt bin?“

 

goethe_ginkgo_biloba-handschrift-1815-quelle-wikipedia

Ob man heute junge Mädels mit der Beschreibung urgeschichtlicher Pflanzen gewinnen kann? Bei Göthen hat es nicht funktioniert – und der konnte wenigstens reimen.

 

Dass es – je nach Alter und Wuchsort am Baum – auch ungeteilte, dreigeteilte, sogar mehrfach geteilte Blätter gibt – focht den Dichterfürsten nicht an. Welch ein Glück, dass er kein Gedicht über den Adlerfarn geschrieben hat. Doch bleiben wir noch etwas beim Liebesleben:

Interessant ist, wie die Samen des Ginkgo entstehen, sie gehen einen sehr eigentümlichen, umständlichen Weg der Befruchtung. Wie bei allen Samenpflanzen ist das, was wir vom Ginkgo sehen, also der Baum, der Sporophyt. Seine Zellen haben den doppelten Chromosomensatz.

Ginkgo ist zweihäusig – der eine Baum ist weiblich, eine andere männlich. Die weibliche Pflanze bildet zunächst einen haploiden, weiblichen Embryosack in den Samenanlagen (Blüten). Der teilt sich erst einmal zu einem größeren Gebilde, bis er aus oft einigen hundert Zellen besteht. Diesen Klumpen nennt man auch Gametophyt. Diese Pflänzchen in der Pflanze hat nur noch den halben Chromosomensatz, es ist ein entwicklungsgeschichtliches Relikt. Der männliche Baum tut etwas ähnliches, entlässt aber zum Schluss viele kleine, mehrzellige Pollenkörner, ebenfalls haploid, es sind also auch kleine Gametophyten, also männliche Minipflänzchen aus Zellen mit halbem Chromsomensatz. Die werden nun vom Winde verweht, und mit etwas Glück landen sie auf einem Zweig eines weiblichen Baumes in der Nähe einer Samenanlage.

Die sondert jetzt kleine Tröpfchen ab, und das auskeimende Pollenkorn schlüpft da durch, bis es die weiblichen Anlage findet, dringt dort ein, und lebt nun erst einmal von den weiblichen Zellen. Erst Monate später, wenn es satt geworden ist, schickt es dann selbstständig bewegliche Spermien los, eines davon trifft die weibliche Eizelle – den Rest kann man sich denken. In Wahrheit ist das dann alles noch viel komplizierter, viel komplizierter als eine Mondlandung jedenfalls. Dass unser Ginkgo noch die sehr urtümliche Art der Befruchtung behalten hat, macht ihn einzigartig.

So schöne Früchte: kann man die essen?

Die Samen, die daraufhin heranwachsen, werden im Spätherbst reif. Sie gelten im asiatischen Raum, der Heimat des Ginkgo, als Delikatesse, aber nicht die weiche Samenhülle, sondern nur der „Kern“. Das gelbe „Fruchtfleisch“ nämlich ist hautreizend, schmeckt nicht, und: stinkt erbärmlich, wenn es reift und sich als „Fallobst“ auf dem Boden zersetzt. Dann nämlich setzt es chemische Substanzen ab, vor allem Capronsäure und die übel riechende Buttersäure, jene Substanz, die ja auch gerne zu Stinkbombenattentaten verwendet wird.

Diese beiden Übeltäter waren es, die in unserer einleitenden Rätselgeschichte den Gestank nach Hundekot und Schweiß verursachten. Einen Ginkgobaum riecht man zur Samenreife oft mehrere hundert Meter weit gegen den Wind. Regelmäßig gibt es dann Zeitungsberichte [http://www.sueddeutsche.de/panorama/faellung-stinkender-ginkgos-ekliges-in-essen-1.2174322] über genervte Anwohner, die Stadtverwaltungen geben dann irgendwann nach, und rücken den Urweltrelikten mit der Kettensäge zu Leibe. Das ist schade, denn ein Ginkgo muss mindestens 20 Jahre alt werden, um Samen zu bilden. Baumschutz hin oder her – in einer deutschen Kommune darf es nicht nach Verwesung riechen.

In Asien aber wird der vom stinkenden Fleisch befreite Samenkern geröstet, und als Gewürz beispielsweise Reisgerichten zugegeben. Das Aroma erinnert etwas an Nüsse oder Maronen. Deshalb werden in Asien vornehmlich weibliche Ginkgobäume gepflanzt – bei uns ist es umgekehrt. Der samentragende, weibliche Ginkgo ist somit in Halle eine Seltenheit. Unser Exemplar steht im Gimritzer Park, und entging bislang dem Kettensägenmassaker.

Aber wozu produziert der Ginkgo diesen Gestank? Forschern gab das bislang Rätsel auf, bis man versteinerte Saurier fand, die Unmengen von Samen einer urweltlichen Ginkgoart im Magen hatten. Möglicherweise hat der Baum Aas fressende Saurier angelockt, die so für die Verbreitung der unverdaulichen Samenkerne sorgten.

Ein bisschen Paloma, ein bisschen Chi-Chi

Was macht man in Asien sonst noch mit Ginkgo? Als buddhistischer Tempelbaum wird er besonders von den Damen verehrt: vielleicht wegen des Chi-Chi: so nennt man im Japanischen die buckelartigen Auswölbungen („Nippel, Titten“), die sich spontan an älteren Stämme entwickeln. Irgendwann wächst aus diesen Nippeln ein dicker Zapfen, wie Stalaktiten, in Richtung Boden, um dort Luftwurzeln zu bilden. So alte Ginkgos gibt es bei uns allerdings nicht.

Aber was kann der beflissene Europäer mit dem Baum anstellen, wenn seine Blätter nicht gerade als Stichwortgeber für Göthegedichte oder als Bastelmaterial in der Grundschule herhalten müssen? Ginkgo wird in der traditionellen Chinesischen Medizin vielfältig genutzt, und was dort Wunder bewirkt, muss auch – wie Ginseng, Akupunktur und Feng-Chui – leidenden Europäern Linderung verschaffen. Tatsächlich enthalten die Blätter von Ginkgo biloba ein ganzes Arsenal von Chemikalien, vor allem Flavonoide aller erdenklicher Konstitution. Bei allem Chi-Chi, das sich um Ginkgo-Extrakte und – präparate als frei verkäufliche Nahrungsergänzungsmittel rankt, konzentriert sich die schulmedizinische Forschung auf – bislang allerdings uneindeutig ausgefallene – Studien , die sich mit Ginkgo-Extrakten als Medikament zur Hemmung von Demenzerkrankungen beschäftigen. Das ist doch das mindeste, was man dem erdgeschichtlichen Methusalem unter den Bäumen zutrauen sollte.

Oma Frieda, die bösen Buben von Halle und ein neues Pflanzenrätsel.

Schmeißobst, aber harte, Meinor!

Oma Frieda zuckt zusammen. Etwas Hartes hat sie am Kopf getroffen. Und zack – noch einmal, es klatscht gegen die Handtasche, springt weiter davon, über den Parkweg. Erst irritiert, dann verärgert schaut sie sich um: entferntes Kinderkichern, rascheln, dann ist Stille im menschenleeren Park. Ganz weit weg im Nebel sieht sie einen Jungen unter einem Baum etwas aufsammeln, ein Fahrrad hat hat er dabei. Aber der kann es nicht gewesen sein, zu weit weg. Frieda bückt sich mühsam nach den Geschossen, die ihr die „Rotzwänster an die Ömme“ geworfen haben. Komische Kugeln, hart, braun. „Wieder so e auslänsches Jelumpe, wie das Zeich, wo se immor im Spekdrum drüber schreim“, denkt sie sich. Aber die Neugier ist doch zu groß, vielleicht auch die Gier, denn immerhin „jibts des hier for umme“, und so wandern einige der Exemplare in ihre geräumige Handtasche, zwischen „Portemonaise“, Kekskrümeln, Enkelbilder (geene Wänstor!)  und Bemme vom Vordaach.

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Unsere Pflanze des Monats: Hier sehen wir ihre Frucht. Durchgeschnitten.

Zu Hause holt sich Oma Frieda eines ihrer schärfsten Küchenmesser  heraus, ein wahres Schlachterbeil: damit versucht sie, eine der Früchte zu zerteilen: Merkwürdig. Es krackt, es spritzt nicht, krachend fliegen zwei geteilte Hälften des unbekannten Objekts an die Wände. Muss  irgend etwas Teuflisches sein, als sie in das Kerngehäuse der wisenschaftlichen Präparate blickt, die sie hinter dem Toaster links und dem Gipsrelief mit den blauweiß bemalte Windmühlen, das sie damals aus dem Urlaub vor der Mochee ersteigert hatte, also jedenfalls hinter dem janzen Jeschrappel  hervor fischt: mit viel Phantasie erinnert das Bild, das sich ihr unter angeklebten Spinnweben ansticht, an ein Pentagramm. Und ein Biss hinein lässt die Vermutung im Mund zur Gewissheit gerinnen: „Pah!“ Alles zieht sich zusammen, und noch Stunden lang fühlt sich der Gaumen an, wie Pelz und Sandpapier gleichzeitig.

An unsere Leser aber richtet sich nun die Frage: was war das für ein „ausländisches Zeugs“, oder ist doch was Deutsches daran?

Kann man mit den Früchten doch noch was anderes anfangen, als sie älteren Damen an den Kopf zu werfen?

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