Notruf: Vierjähriger packt orange Beeren aus und isst sie

16. Oktober 2017 | Bild der Woche | 2 Kommentare

Unsere diesjährige Pflanze der Woche in einem japanischen Farbholzschnitt der Edo-Zeit

„Wie sahen denn die Beeren aus, die Ihr Sohn gegessen hat? Die Dame am anderen Ende der Leitung in der Giftnotrufzentrale versuchte ruhig zu sprechen, denn Sandra Lampe, Mutter des vierjährigen Dennis, wirkte am Telefon fassungslos und aufgeregt. Sie war kaum in Stande, den Zusammenhang richtig wiederzugeben. Das lag auch daran, dass sie mehrfach versucht hatte, überhaupt jemanden ans Telefon zu bekommen. Ständiges Warten in der Warteschleife, was aber der Tatsache geschuldet ist, dass um diese Zeit im Herbst, wo die Pilze sprießen, ständig Notrufe eingingen – die meisten stellten sich glücklicherweise als vergleichsweise harmlos heraus. „Die waren etwa groß wie Kirschen, aber orange, ganz orange, so ein bißchen rot“.

„Wo hat er die denn gefunden?“

„Bei meinen Eltern im Garten, ich mache mir solche Vorwürfe“, er hat ganz viele davon mitgebracht, er hat gesagt, die hat er alle ausgepackt, eine Hand voll hat er gegessen, das habe ich aus ihm rausbekommen“

„Ausgepackt“?

„Ja ausgepackt und gegessen“.

„Hat er erbrochen“

“ Ja, mehrfach“.

„Oh!“

„Habe ihm ja den Finger in den Hals gesteckt“

„Ach so. Sagen Sie: Sie haben keine Ahnung, was das für Früche sind?“

„Nein, nie gesehen“.

„Sind welche übriggeblieben?“

„Ja, die habe ich gleich in den Müll geworfen“

„Holen Sie bitte mal welche wieder da raus, wenn das geht“.

„Moment… “

… Pause, man hört Geklapper …

„Ja, hören Sie?“

„Ja, können Sie die  näher beschreiben?“

Sagte ich doch, wie Kirschen, aber mehr so orange, und ganz weich“

„Zerdrücken Sie mal eine – was sehen sie?“

„Matsche mit Kernen, wie kleine Tomaten“

„Probieren sie bitte eine, ganz vorsichtig“

„Bäh, bitter süß und sauer“

„Ich denke, Sie sollten zur Sicherheit mit ihrm Sohn zum Arzt gehen, nur zur Sicherheit. Wahrscheinlich ist es nichts. Ob das, was Ihr Sohn gegessen hat, wirklich giftig ist, ist umstritten. Manche Menschen essen das unbeschadet, und ein naher Verwandter dieser Früchte wird auch als Partysnack verkauft, da ist sogar jede Menge Vitamin C drin. Aber sicher ist sicher – es sind immerhin Nachtschattengewächse“.

Die Giftzentrale von Hallespektrum fragt:

1.: Um welche Pflanze handelt es sich?

2.: Kann man die essen?

3.: Was macht man gewöhnlich damit?

4: wie heißt der sicher essbare „Doppelgänger“?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Liebe ist meine Religion“)

Helianthus annuus: nach Jamaika mit der Kraft der Sonnenblume

Helianthus annuus, die Sonnenblume, mit ihren charakteristischen nickenden Blütenkörben, ist eine Blume in Schwarz-Gelb-Grün, die wohl jedem gefällt. Das sind die Landesfarben Jamaikas, dem Mutterland des Reggaes mit seinem berühmten Vertreter Bob Marley. Der „Kopf“ der Sonnenblume besteht meistens aus gelben, langen Zungenblüten als Kranz und vielen braunen (okay, eigentlich nicht schwarzen) Röhrenblüten im Zentrum. Diese Röhrenblüten sind spiralförmig angeordnet, ihre Ausrichtung folgt mehreren Spiralfragmenten im Verhältnis 3:5, und damit den Prinzipien des Goldenen Schnittes. Jedes Kind lernt diese Pflanze ausführlicher kennen, jeder hat sich wahrscheinlich schon mal ausgesät und hochgezogen, den Blütenkorb mit seinen Sonnenblumenkernen genauer betrachtet. Und bewundert, wie diese einjährige Pflanze bis in beinahe 5 Meter Höhe aufsteigen kann (bzw. 9 Meter im Guinness Buch der Rekorde), dabei einen Stängel mit bis zu 10 cm Durchmessern ausbildend. Verankert wird sie mit einer Pfahlwurzel, doch bei starkem Wind kippt sie trotzdem leicht.

Meine Sonne, ich will immer nach dir blicken – Echte oder verschmähte Liebe?

Ovid dichtete über das Mädchen Clytia aus der griechischen Mythologie, das sich in den Gott Apoll(on) verliebt hatte. Er aber verschmähte ihre Liebe. Sie hörte auf zu essen, verfiel in Jammer, entkleidete sich und setzte sich nackt auf einen Felsen. Neun Tage lang soll sie Apollon beobachtet haben, wie er seinen Sonnenwagen über den Himmel bewegte. Im Zuge dieser Depression verließ sie ihre körperliche Sphäre und verwandelte sich in eine Sonnenblume, die ihren Kopf weiterhin stets nach Apolls Wagen, die Sonne, ausrichtete. Dass diese mythische Blume jedoch nicht unsere Sonnenblume sein kann, ergibt sich daraus, dass Sonnenblumensamen erst viel später nach Europa gelangt sind. Die imposante Sonnenblume stammt nämlich aus Amerika, bei uns ist sie seit der Neuzeit bekannt.

Ihre umkränzenden Zungenblüten leuchten wie das Licht der Sonne – genau dieser drehen sich Knospen und Blätter der Pflanze immer zu, das nennt man Heliotropismus. Nachts folgt die Neuausrichtung nach Osten, bis die Sonne dort wieder aufgeht und sie in ihren Bann zieht. Photorezeptoren und eine „innere Uhr“ steuern die Drehbewegung von Sonnenblumen. Die „innere Uhr“ erzeugt ein An- und Abschalten bestimmter Gene, sodass deren Zellen im Tagesverlauf auf zwei Stängelseiten unterschiedlich rhythmisch wachsen (- man könnte exakter von Streckungshormonen, den sog. Auxinen, sprechen). Das ist die Ursache, dass sich der Stängel neigt und die Blüte sich ausrichtet. Mechanisch wird die Bewegung durch Motorzellen in einem gelenkartigen Segment des Stamms direkt unterhalb der Knospe, dem Pulvinus, übertragen. Diese Zellen können mittels Kaliumionen ihren Zelldruck, den Turgordruck, ändern, was ein Ausdehnen oder Zusammenziehen bewirkt, sodass sich der flexible Pulvinus bewegt. Wenn sich bei der Sonnenblume die Knospen öffnen, erblühen, hat es mit dem Heliotropismus ein Ende, denn für „die Erwachsene“ ist die maximale Ausnutzung des Sonnenlichts nicht mehr notwendig. Die Pflanze richtet ihre Blütenkörbe nun dauerhaft nach Osten aus.

Von der Rohstoffpflanze zur gekochten Blume…

Klassische Sonnenblumen-Länder sind China, die USA, Russland und Ukraine, dort wird auf Feldern bei mehr als 15 °C Jahresdurchschnittstemperaturen und mehr als 500 mm Jahresniederschlag vor allem zu Ölgewinnung kultiviert. Der Ölgehalt wurde auf über 50 % züchterisch angehoben. Das Öl enthält bis zu 80 % essentielle Linolsäure, was es für den Menschen gesund macht. Für technische Zwecke zählt dagegen der Ölsäuregehalt, und zur Biogasgewinnung wurden biomassereiche Sorten gezüchtet. Von den 19.000 ha Sonnenblumenanbaufläche in Deutschland dient knapp die Hälfte der Gewinnung technischer Öle, unbedeutend ist die Sonnenblume dagegen als Substrat für die Biogasproduktion. So liefert die High-Oleic-Sonnenblume mit bis zu 90 % Ölsäure im Unterschied zur gewöhnlichen Sonnenblume, die nur 15-40 % Ölsaure aufweist, ein stark trocknendes Öl als Grundstoff für Farben und Lacke bzw. als raffiniertes Öl für Treibstoff und Weichmacher.
Wer die Pflanze lieber isst, sollte die Stängel wie Spargel zubereiten, die Blütenkörbe wie Artischocken, d.h. alles bis auf den Blütenboden mit den Kernansätzen entfernen, in Butter ca. 5 Minuten weichgaren, salzen, mit gelben Blütenblättern verzieren, alles zusammen essen. Zu bedenken ist vom Koch dabei, dass Sonnenblume sich gut zur Bodendekontamination eignen: Sie hat eine hohe Aufnahmekapazität für Giftstoffe aus dem Boden. Vom Altlastenstandort sollte der Koch daher besser nicht ernten – dann schon lieber der Liebhaber, der seine Schöne beglücken möchte.

Die noch nicht geöffneten Knospen kann man gekocht essen – wie Artischocken.

…und zum Symbol

Die prächtige Blüte symbolisiert das Leuchten eines wunderbaren Sommers, sie steht für Fröhlichkeit, Hoffnung und Liebe. Schon daher war sie das Symbol der Hippiebewegung, auch für eine friedensvolle Welt. Und wie sieht es nun eigentlich nach der Wahl in Deutschland politisch aus? Gibt es farbige, kraftvolle, handlungsaktive Koalitionen, nützt den Grünen „die Kraft der Sonnenblume“?

Logo der Partei „Bündnis 90 – die Grünen“

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