Neophyt verhindert Ausreisewelle

31. Juli 2017 | Bild der Woche | 5 Kommentare

Die Blüte dieses giftigen Zuwanderers: sieht doch ganz verführerisch aus.

Dieses Mal ist wieder ein Neophyt zu erraten, offensichtlich eine sehr aggressive Pflanze. Anfänglich in europäischen botanischen Gärten als Zierpflanze angepflanzt (wohl auch wegen der schönen Blüte, siehe Foto), hat sie sich (wurde sie?) weltweit verbreitet. Dabei enthält die Pflanze giftige Alkaloide und Kathleen Seidensticker-Messerschmitt sollte die Kontakte von klein Julian gut überwachen. Keime, Blüten, Früchte, Blätter – alles mehr oder weniger giftig. Ein „ziemlich militanter“ König/Kurfürst in deutschen Landen soll die Kultivierung der Pflanze in seinem Herrschaftsbereich geradezu befohlen haben – sicher auch weil er sich militärische Vorteile davon versprach. Mit ihrem Wachstum ließ sich in der Vergangenheit mindestens eine große Auswanderungswelle verbinden. Aber all dies hatte nichts mit ihrer Giftigkeit zu tun, sondern eher mit ihrer nährenden Seite, oder sollte man besser sagen, mit ihrer „Unterseite“?

Wie heißt die Pflanze?

Welches ist/sind ihr/e Gift/e?

In welcher Größenordnung bewegt sich die jährliche Produktion?

(F.H.)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („holla, die Waldfee“)

Artemisia absinthium, Zweigspitzen und Blatt

Aricola, Gondwana, Lou – sie wussten alle Bescheid, „vermoutheten“ das Richtige. Micha06 wahrcheinlich auch, wollte sich aber nicht vordrängeln. Doch dafür hatte er noch an den bunten Läusebeinen zu knabbern. Der Reihe nach:

Es ging um den Wermut, Artemisia absinthium. Dies ist ein Korbblüter, was man nicht denkt, auf den ersten Blick, wenn man die graue Pflanze mit den winzigen, gelbliche, knopfartigen Blütenknubbeln so sieht. Das sieht man erst ab einer gewissen Vergrößerung, was wir hier auch gerne zeigen wollen.

Die Pflanze gehört zu der Gattung Artemisia, Schwesterarten sind der – in Deutschland merkwürdigerweise als Gewürz verwendete Beifuß (nein, Hasso, nicht bei Fuss, sitz!), aber auch der Estragon, und der Einjährige Beifuss, Artemisia annua, die in letzter Zeit als preisgünstiges Malariamittel in das zentrum der Pharmaforschug gerückt ist.

Wermut ist eine mehrjährige Pflanze, ein niedriger, oft fingerdick verholzender Strauch. Die gefiederten Blättchen sind mit einem feinen Haarfilz überzogen, deshalb schimmert das Laub leicht silbrig.

Wie man so eine Pflanze mit Petersilie verwechseln kann, fragte Micha06. Doch, kann man, wenn man klein und doof ist, und vom älteren Bruder hinters Licht geführt wird. Im Stadium als Jungpflanze, wenn die gefiederten blättchen noch nicht so silbrig behaart sind, geht das. Blöder Scherz, denn der Geschmack der Blättchen ist natürlich widerwärtig bitter.

Makroaufnahme eines Blütenkörbchens von Wermut

Die Pflanze ist in Mitteleuropa in trockenen gegenden heimisch, deshalb findet sie sich tatsächlich in Halle weit verbreitet, auf Schuttplätzen, an Straßenrändern und Ruderalflächen. In feuchteren Lagen Deutschlands fehlt er dagegen als Wildpflanze.

„Artemisia“ war in der klassischen Antike der Göttin Artemis geweiht, der Göttin des Waldes, aber auch Beschützerin der Frauen und Mädchen. Ihre lateinische Entsprechung war Diana, und so war se gewissermaßen die Waldfee. „Grüne Fee“ nannte man aber auch ein Getränk, den Wermutschnaps, der insbesondere unter der Pariser Boheme  großer Beliebtheit erfreute. „Absinth“ nannte sich das Teufelszeug, das von Inhaltsstoffen des Wermutkrautes intensiv grün gefärbt war, und außerdem noch Anis, Angelika und andere Gechmackstoffe enthielt, und natürlich jede Menge Alkohol (Ein guter Absinth mußte weit über 50 Umdrehungen haben).

Dieser Absinth löste bei vielen Konsumenten Nervenschäden aus, und man hatte einen Inhaltsstoff in Verdacht: Thujon, ein Stoff, der im ätherischen Öl des Wermuts enthalten ist.  Ab 1915 wurde Absinth in den USA und vielen Ländern in Europa verboten. Seit einigenJahren kann man Absinth wieder legal kaufen der gesetzgeber hat die Vorschriften wieder gelockert. Bedingung ist, dass der Absinth maximal 35 mg/l Thujon enthalten darf. Heute ist die Forschung sich weitgehend einig, dass nicht das Thujon, sondern schlichtweg der Alkohol zu den beschriebenen Gesundheitsschäden führte. Wermut ist stark bitter, der Absinth nicht unbedingt. Woran liegt das? Der Überwiegende Teil des Absinths wird destilliert, dabei gehen die ätherischen Öle in das Destillat über, die Bitterstoffe, vor allem das extrem bittere Absinthin, gehen nicht in das Produkt über.

Ein vollkommen anderes Produkt  ist Wermutwein. Besonders italienische Marken sind bekannt, etwa „Cincano“, „Vermouth di Torino“, „Martni“, es gibt sogar eine ostdeutsche Marke: „Gotano“ aus Gotha.
Vermutwein ist ein aufgespritteter Wein, er erhält eine leicht bittere Note, indem man  in ihm verschiedene Kräuter, vor allem aber Wermutkraut, ziehen lässt. Bei diesen eher wässrigen Bedingungen geht wenig Thujon, aber viel an Bitterstoffen in das Getränk.

Ein Rezept für Halleschen Wermut: Man läßt einen Zweig angetrockneten, blühenden Wermuts (jetzt sammeln) ein paar Tage in Weißwein ziehen, nimmt ihn wieder heraus, fügt einen EL Zucker hinzu, fertig. Wem das Ergebnis zu bitter ist, verdünnt einfach mit etwas Wein weiter. Wermutwein wurde Ende de 18. Jahrhunderts in Italien erfunden, um die Fehlaromen missratener Weine zu überdecken.

Hallischer Vermouth

Die medizinische Wirkung von Wermut besteht unzweifelhaft in einer Appetitsteigernden und Verdauungsfördernden Wirkung der Bitterstoffe. Früher setzte man das Kraut – in höheren Dosen – auch zur Therapie von Wurmerkrankungen ein. Ob die Bezeichnung „Wermut, Wormwood“ von derartigen Wurmkuren hergeleitet werden kann, ist allerdings umstritten. Ebenso falsch dürfte die Behauptung sein, Wermutaufgüsse helfen im Garten gegen Blattläuse. Im Gegenteil. Manche schwarzen Blattläuse lieben Wermut, offenbar nehmen sie ihn als Aperitiv.

Relativistische Läuse? Multispektralkamera? Nein. Lebende Tiere auf dem Flachbettscanner !

Dann war da ja noch eine Frage: Warum sind die zappelnden Läuse bunt?

Nein, es hat nichts mit Relativitätstheorie zu tun, und die Pflanzenredaktion hat auch keine Multispektralkamera, wie Micha06 vermutete. Das Aufnahmegerät, mit dem wir den Wermutzweig abgebildet haben, war ein Flachbettscanner. Manche dieser Garäte haben nämlich neben der hohen Auflösung eine beachtliche Tiefenschärfe. Pflanze drauflegen, Deckel nicht zu fest schließen, und Scannen. Das geht gerade mit Pflanzen wunderbar, und wie wir gesehen haben, auch mit lebenden Blattläusen. Wenn die sich nicht bewegen. Falls sie das doch tun, wird es bunt. Unser Flachbettscanner tastet das Bild zeilenweise ab. Und zwar kommt erst eine Reihe roter Sensoren, dann kommt grün dran, dann blau, und so weiter. Trifft nun diese Scannerzeile auf eine ruhende, schwarze laus, melden alle drei Farbsensoren nacheinander: „kein rot, kein grün, kein blau“. Also: Schwarz. Bewegt sich das Läuslein aber, meldet die erste Zeile: kein rot. Nun hat die Laus aber ihr Bein weggezogen, und den weißen Hintergrund freigegeben: die folgenden Zeilen melden also: „grün!, blau!“
Im Ergebnis „denkt“ der Scanner dann, der getroffene Punkt sei türkis. Wenn so eine Laus ordentlich zappelt, während die Scannerzeile über sie hinwegfährt, kann es dann schon mal ganz schön bunt werden.

Noch näher rangezoomt: manche Läuse zappeln offenbar nahezu mit Lichtgeschwindigkeit, dabei kommt es zu Buntverschiebungen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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