Mannesfrucht

27. August 2018 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Gesucht: Früchtchen von einer männlichen Pflanze

Connys Eimer war schon halb voll, sie war begeistert von der Ernte dieses Jahr. Seit erst einer halben Stunde war sie damit beschäftigt, die rundlichen, rotglänzenden Früchte von den Zweigen zu ziehen und in das Behältnis gleiten zu lassen. Sie wusste: jetzt, Ende August, sind sie noch nicht vollreif, denn dann werden sie eher schwärzlich rot, fallen dann aber so leicht vom Baum, dass sie kau noch zu sammeln sind. Und sehr süß. Conny liebte die zusammenziehende, krachige Säure der noch nicht ganz reifen, aber schon durchaus weichen Kernobstes. Für ihre Zwecke genau richtig: So lässt sich besser Marmelde (Konfitüre, wie denn nun) herstellen, bei Chefkoch.de  wimmelt es von Rezepten, besonders angetan hatten ihr die Kombination der sauren Teile mit eher süßlich-milden Obst, wie etwa Banane, Birne oder Pfirsich.  (Conny war diese Internetseite eigentich suspekt, mehr liebte sie „Worstofchefkoch.de“, aber wenn man nach Lebensmitteln googelt, landet man halt immer auf dieser Seite, wo perverse Hobbyköche ihre merkwürdige Neigung, unschuldige Lebensmittel zu misshandeln,  präsentieren) . „Jo mei, Dirndl“ hörte sie hinter sich jemanden rufen, erschrocken drehte sie sich um. Ein Südländer stand vor Ihr, erkennbar an Sprache und Trachtenhut. „Was erlauben Sie sich, in unserem Kulturkreis werde ich nicht von wildfremden Männern mit „Dirndl“ angesprochen, Sie.. ..“

Weiter kam Conny nicht, denn der Typ im Trachtenjanker hob an: “ Na I meinte doch net Sie, sondern ihre hübschen Früchtchen. Aber entschuldigen Sie den Sexismus, weil eigentlich sind die ja mas, äh maskulin“ ?

Conny verstand die Welt nicht mehr. Der Typ, Hartmut Riegel, wie er sich vorstellte, erzählte ihr dann noch stundenlang etwas über das Geschlecht von Pflanzen, dass man bis zu Ende des 18. Jahrhunderts Pflanzen männliche und weibliche Eigenschaften zuschrieb, ohne etwas von Bienen und Blüten zu wissen.

Für Euch, liebe Pflanzenfreunde, die Ihr auch mit modernen Genderdebatten sicherlich vertraut seid, mag das alles verwirrend vorkommen. Und in das ganze durcheinander fragen wir nun hinein:

  1. Was hat unsere Conni da gesammelt?
  2. Was ist so männlich an diesen Dirndln?
  3. Mit welcher Superlative unter den heimischen Gewächsen kann unsere Pflanze sonst noch punkten?

Auflösung der letzten Wochenpflanze („Auf dem Weg vor die Nase gekommen)

Schwarzbraun ist die Haselnuss

Die Gemeine Hasel (Corylus avellana) war eine der ersten Pionierpflanzen nach der letzten Eiszeit im nördlichen Europa. Während der Eiszeit wäre sie beinahe ausgestorben, nur auf der iberischen Halbinsel konnte ein kleiner Bestand ihr Überleben und erneutes Ausbreiten sichern. Als unmittelbarer Begleiter der Birke wurde sie bald, in der sog. Haselzeit, sogar ihr Verdränger. Für die steinzeitlichen Siedler war die Hasel, im Gegensatz zur Birke, ein Segen aufgrund vielerlei Nutzmöglichkeiten: Als Nahrung (die fette Nuss, aber auch die Blätter), als wärmespendendes Feuerholz, sicherlich auch zur Riesenhirsch-Jagd mit Pfeil und Bogen – wie bei Yakari, dem Indianerjungen aus dem Fernsehen.

Jeder kennt den raschwüchsigen Haselstrauch mit seinen schlanken Stangen und biegsamen Ruten. Er wächst meist strauchartig, jedoch auch als kleiner Baum bis in 8 m Höhe mit einem Stammdurchmesser von etwa 20 cm. Das Holz eignet sich aufgrund der guten Spaltbarkeit und der hohen Elastizität hervorragend als Werkstoff: Für Flechtwerk, Zaunbau, Speere und Armbrust, bereits seit der Steinzeit für Pfeilschäfte, aber auch als Bauholz für Lehmbauten und für Dächer. Das Holz ist mittelhart mit gering ausgeprägter Maserung und ebenso geringer Dauerhaftigkeit aufgrund nur wenig ausgebildeter, natürlicher Resistenzen gegen Pilze und Insekten.

Die Nüsse sind ab August essbar, richtig haselnussbraun und aromatisch sind sie dann im September. Beliebt bei Haselmaus, Siebenschläfer und Nachbarskindern. Drei Handvoll Nüsse sind ein nahrhaftes Frühstück, das als Vorrat durch die Möglichkeit des Röstens das ganze Jahr über zur Verfügung steht. Das kann jeder selbst machen: Dazu die Nuss im Freien auf dem Boden auslegen, mit wenigen Zentimetern Sand bedecken, ein Feuer darüber entfachen und einmal abbrennen lassen. Den Nüssen dann mit einem Stein auf die Spitze schlagen, und schon springt die Schale auf. Heutzutage ist es jedoch einfacher, im Supermarkt zuzugreifen: 70 Prozent der weltweiten Ernte stammen aus der Türkei. Das Art-Epitheton „avellana“ leitet sich aber von einer italienischen Stadt in Kampanien nahe des Vesuvs ab, wo Haselstauden seit der Antike angebaut wurden. Benannt wurde sie erst später, durch Carl von Linné. Heutzutage wird überwiegend Corylus maxima, die Lambertshasel, geerntet, das ist eine von 18 Arten der Gattung Corylus aus der Familie der Betulaceen (Birkengewächse). Wie die Birke besitzt auch die Hasel Pollen mit hohem Allergiepotenzial, das lässt die Nase schon im zeitigen Frühjahr jucken und laufen. Schuld daran ist die Windbestäubung, wobei die federleichten Pollen kilometerweit davongetragen werden, um die weiblichen Blüten anderer Haselsträucher zu befruchten – mit hoher Redundanz beim Pollenangebot, um diese Fremdbestäubung erfolgreich zu machen. Die Kätzchen eines Strauchs bilden rund 200 Millionen Pollenkörner! Auch Schwellungen im Mundbereich nach Genuss der Nuss sind Ärgernisse, die 37 Prozent aller Nahrungsmittelallergiker kennen, bzw. ca. 11 % aller Erwachsenen. Ist man davon nicht betroffen, bietet die Haselnuss in Form von Mozartkugeln, Nougatcremes, Müsli oder Pesto einen Hochgenuss. Und das bei 647 kcal pro 100 g.

Die halbmagische Seite der Hasel

Genossen wurde die Nuss auch bei Krankheiten. Pfarrer Künzle empfahl sie als Hustenmittel, zerstoßen und in Milch gekocht. Die Blätter der Hasel sollen als Tee entwässernd wirken. Im Mittelalter galt die Nuss als Mittel gegen Haarausfall. Dazu benötigte man aber Bärenschmalz, Speck und die zu Asche gebrannte Nuss als Salbe. Hildegard von Bingen dagegen wetterte gegen die Nuss („Der Haselbaum ist ein Sinnbild der Wollust, zu Heilzwecken taugt er kaum.“) und wies damit indirekt auf deren Wirkung als Aphrodisiakum hin. In Mecklenburg sah man dennoch eine weitere Heilwirkung, man konnte Fieber senken. Dazu musste man die Nuss teilen und den Kern entfernen. Stattdessen wurde eine lebende Spinne in die Schalen gesperrt, die Schale mit einem Faden dreimal verknotet und als Amulett um den Hals gehängt. So, dass die Nuss gerade die Herzgrube berührte. Nach zwei Tagen warf man das Amulett in einen Bach und das Fieber war weg. Heutzutage gibt es Haselnussöl zur kosmetischen Anwendung als Anti-Aging-Mittel. Sie soll auch Substanzen enthalten, die Cholesterin und Blutfette senken.

„Ist an Johanni schönes Wetter, so gibt es viele Haselnüsse und viele Kinder“

Nicht nur Hoffnung und Glauben ist mit Nuss und Strauch verwoben, auch im Aberglauben sind sie breit vertreten. Früher gingen unverheiratete Mädchen zum „Haselnuss-Schütteln“. Wer danach 6 Haselnüsse an einem Stiel fand, würde bald ein Brautkleid tragen, hieß es. Auch heute noch geht man zum Beispiel in Bayern „in die Haseln“, wenn man ein (heimliches) Date hat. Manch einer sogar „alle 11 Minuten“. Und hier sind wir schon beim Motiv des schwarzbraunen Mädels, das in vielen Volksliedern seit dem 16. Jahrhundert eine Rolle spielte. Im Unterschied zur unnahbaren, „spröden, blonden Frau“ aus meist sozial höheren Kreisen ist das dunkelhaarige Mädchen eher das zupackende, „einfache Mädchen aus dem Volk“, das einem Flirt und der körperlichen Liebe stärker zugewandt ist. Manchmal ist dabei sogar ein uneheliches Kind „aus einer Haselstaude entsprungen“.

Noch mehr Aberglauben

Aschenputtel musste am Grab ihrer Mutter, wo sie in ihrer Trauer einen Haselzweig angepflanzt hatte, nur einen berühmten Spruch aufsagen: „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich.“. Hier fand sie nicht nur Zuflucht vor der bösen Schwiegermutter, sondern auch ihr Glück. Zwei Kleider erhält sie hier, drei dagegen bei der tschechischen Abwandlung des Märchens, das hierzulande als weihnachtlicher Kultfilm seit 1973 für die meisten Frauen zur Weihnachtszeit gehört.

Ein paar Worte zur Haselhexe, ein unchristliches Motiv seit der Antike. Die spätere Sage geht ungefähr so: Hexen kochen eine Magd und verspeisen sie. Ein Knecht beobachtet das und nimmt einen Knochen mit. Als die Hexen die Magd wieder zum Leben erwecken, ersetzen sie diesen Knochen mit einer Haselrute. Als der Knecht die verhexte Magd wiedersieht, beschimpft er sie als Haselhexe, mit dem Wissen, dass sie daraufhin tot umfallen würde, was auch geschieht. Nun ja.

Wünschelrutengänger (c )Wikipedia 2018)

Wir wollen noch die Wünschelruten aus Haselzweigen erwähnen, mit denen Wasseradern (???) und Metallgänge aufgespürt werden. Auch hier sind wir tief im Reich des Aberglaubens. So wird das Wünschelrutengehen nicht einmal als Parawissenschaft anerkannt. Und trotzdem: Vermutlich haben es viele der Leser selbst schon einmal versucht und eventuell sogar Wasseradern erfolgreich aufgespürt und ihr Bett daraufhin umgestellt?
Metaphorisch steht die Haselnuss für vollendete Erkenntnis, so auch in den Stillleben z.B. der großen niederländischen Meister. Hier ein Gemälde eines späteren, deutschen Meisters dieses Genres: Johann Wilhelm Preyer (1803-1889).

Johan Willhelm Preyer, Stilleben. Copyright Victoria and Albert Museum / Supplied by The Public Catalogue Foundation

 

 

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