Kraut zum Heilen und Färben

7. Dezember 2020 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Unsere Rätselpflanze ist im mittleren Europa weit verbreitet. Sie hat wegen ihrer langen traditionellen Anwendung als Heilpflanze viele volkstümliche Namen. Der offizielle deutsche Name hat aber nichts mit dem Grenzfluss zu Polen zu tun. Man findet sie an sonnigen Standorten wie Waldränder und Halbtrockenrasen. Auf den ersten Blick ähnelt der Blütenstand der Pflanze einer Königskerze. Das zur Familie der Rosengewächse zählende, winterharte Gewächs hat einen circa 100 cm hohen, abstehend behaarten Stängel. Die zahlreichen goldgelben 5-8 mm breiten Blüten stehen in langen Ähren am Stängel Ende. Die Blüten einer Ähre erblühen von unten nach oben, so dass sich im unteren Ährenbereich schon Früchte bilden, während die Blüten im oberen Bereich noch leuchtend gelb blühen. Mit ihrem Pollenangebot locken die Blüten Fliegen, Bienen und Schwebfliegen zur Bestäubung.Die Früchte sind mit vielen Haken versehen. Damit krallen sie sich klettartig an Fellen und Kleidung fest und werden so verbreitet. Blütezeit ist Juni bis August.

Die Pflanze galt im Altertum als Heilpflanze der römischen Schutzgöttin Minerva. Zur Behandlung von Geschwüren, Leberleiden und gegen die Ruhr empfahl der griechische Arzt Dioskorides (um 50) insbesondere das Kraut der Pflanze. Ganz in der Tradition der antiken Heilkunde standen auch die Gelehrten des Mittelalters, die die Heilpflanze in Klostergärten kultivierten. Die Benedictinerin Hildegard von Bingen empfahl die Pflanze bei Gedächtnisschwäche. Hieronymos Bock schreibt in seinem Kräuterbuch (1539) über die äußere Anwendung u.a.: „… diß kraut ist im brauch so jemand ein glid verzockt oder verrenckt hat…“ In der heutigen Volksmedizin wird sie vor allem bei Magen- und Darm- Katarrhen, Entzündungen der Mund und Rachenschleimhaut, zur unterstützenden Behandlung bei Leber- und Galle-Beschwerden verwendet. Sie enthält Gerbstoffe, die für die leicht zusammenziehende, entzündungshemmende Wirkung verantwortlich sind. Weitere wirksame Inhaltsstoffe sind Bitterstoffe, ätherische Öle, Triterpene und Kieselsäure.

Unsere Rätselpflanze diente auch als Färberpflanze. Mit den tiefverwurzelten unterirdischen Pflanzenteilen (Rhizome) oder der ganzen Pflanze wird auf mit Alaun vorgebeizter Wolle ein gelber Farbton erzielt. Die licht und waschechte Heiligkeit dieses Farbtons auf Wolle und Baumwolle ist mittelmäßig.

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Pferdefutter im Trendyfood“):  Luzerne oder Alfalfa, Medicago sativa.

Richtig, Elfriede, es handelt sich um Luzerne, auch Alfalfa genannt. Es ist ein Schmetterlingsblütler und gehört in die Schneckenklee-Familie. Die heißen nicht etwa so, weil sie gerne von Schnecken gefressen werden, sondern weil sie schneckenartig aufgerollte Samenschoten tragen. Wie eine Vielzahl von Schmetterlingsblütlern ist die Pflanze in der Lage, durch Symbiose mit Knöllchenbakterien Stickstoff aus der Luft zu binden, und damit sich und auch den Boden mit wertvollem Dünger zu versorgen. Das macht die Pflanze für die Landwirtschaft so nützlich. Sie braucht kaum Pflege, sie düngt den Boden, was den Einsatz teurer und umweltschädlicher Stickstoffdünger unnötig macht.  Das Grün dient als wertvolles, weil eiweißreiches Viehfutter, nicht nur für Pferde. Und auch Menschen essen Luzerne, und zwar die gekeimten Samen. Sie sind das, was man beispielsweise in Asia-Läden als „Soja-Sprossen“ angeboten bekommt: mit Soja haben die nichts zu tun, außer der entfernten Verwandtschaft zu den Hülsenfrüchten. Bei „Sojasprossen“ kann es sich auch um die Keimlinge der Mungbohne handeln. Unterscheiden kann man Alfalfa-Sprossen von Mungbohnenkeimen durch die schwarzen Samenhüllen, die nur Alfalfa hat.

Die Blüten verfügen einen gemeinen Mechanismus. Wenn ein Insekt kommt, bekommt es von den unter Spannung stehenden Staubfadenröhren einen leichten Keulenschlag. Größere Insekten wie Hummeln stört das nicht, und so sind sie die „ausgewählten“ Befruchter. Honigbienen stört das schon eher, aber dafür haben sie ein Trick gelernt: sie saugen den Nektar seitlich mit ihrem Rüssel ab, wodurch es allerdings nicht zur Befruchtung kommt – und es dann keinen Samen gibt. Den Bauern, die die Luzerne nur als Futterpflanze nutzen, kann das verhältnismäßig egal sein: Die Luzerne ist eine mehrjährige Staude, wenn sie einmal wächst, ist sie da, und kann immer wieder gemäht werden.

Der Name „Alfalfa“ hat mit dem griechischen „α„nichts zu tun. Er soll aus dem Arabischen stammen und so viel wie „Vater aller Nahrung“ bedeuten. So liest man das auf vielen Trendfood-Seiten. Klingt gut, denn die Luzerne liefert ja nicht nur Keimsprossen, sondern sie ist als Futterpflanze auch Mutter  vieler saftiger  Steaks. Der Nachteil an der Erklärung: sie ist wohl falsch. Vielmehr ist das Wort  im Arabischen schon aus dem Aramäischen entlehnt, אַסְפַּסְתָּא‎ (ʾaspastā) und bedeutet schlicht „Luzerne“. Aus dem Nahen Osten stammt die Pflanze auch ursprünglich, gelangte aber schon in der Antike über Persien, Griechenland und Rom in den Westen.

Woher stammt der Name Luzerne? Das „Etymologische Lexikon“ von Wolfgang Pfeifer sagt:

Der Name der vielfach angebauten Futterpflanze ist eine Entlehnung (18. Jh.) von frz. luzerne, das seinerseits wahrscheinlich aus prov. luzerno stammt. Dieses ist eigentlich ein Name für das ‘Glühwürmchen’, der dann (wohl beim Samenhandel) auf die glänzenden Samenkörner der Pflanze übertragen wird. Vorauf geht aprov. luzerna ‘Leuchte, Lampe’, aus (zu lat. lūcēre ‘hell sein, leuchten, glänzen’ gebildetem) lat. lucerna (über vlat. *lūcerna mit gelängtem Vokal nach dem Vorbild des Verbs). Lat. lucerna wie die daraus herzuleitenden roman. Formen werden mehrfach auf in der Sonne hell leuchtende bzw. auf phosphoreszierende Tiere (Eidechse, Fisch, Glühwürmchen, s. oben) übertragen.“

(HW)

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