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Kohldampf

Pflanze der Woche, 31. März – 6. April 2025

7:55 Uhr
Heino bemerkte, dass es langsam wieder hell wurde. Er wollte sich aufs Fahrrad schwingen, doch dann fiel ihm auf, wie sich Mitte März dieses Unkraut ausbreitete. Ein Unkraut, das er nicht kannte.

„Muss weg“, murmelte er und riss ein paar Stängel aus. Was war das für ein Zeug? Als Pflanzredakteur sollte er es wissen, aber privat war privat. Und sein Vorgarten? Sein Problem. Jedes Frühjahr tauchte es auf, breitete sich flach aus, mit Blättern, die wie ein Geigenkasten aussahen. Wie es später aussah, wusste er nicht – er hatte es immer schon vorher ausgerissen. Trotzdem steckte er ein ausgerissenes Pflänzchen ein und nahm es mit ins Büro. Vielleicht wusste ja Nixi, was es war.

„Dienstlich und privat muss man trennen“, war Heino klar. Bei „Trennen“ dachte er an Elfriede, und der Gedanke fühlte sich gut an. Bei „Dienstlich und Privat“ hingegen dachte er beides Mal an Nixi. Das war ein Widerspruch, dem er sich nicht widersetzen konnte. Kann man Widersprüche aushalten? dachte Heino und beschloss, es auszuprobieren. Er würde ihr einfach das Unkraut zeigen. Vielleicht würde dann was irgendwie zwischen dienstlich und privat entstehen.

9:30 Uhr, Büro
Heino klopfte zaghaft an Nixis Tür. Sie war schon da.

„Schau mal“, sagte er und legte die Rosettenpflänzchen auf ihre Schreibunterlage. „Das wächst bei mir im Garten. Scheiß Unkraut. Was ist das eigentlich?“

„Kenn ich“, sagte sie. „Aber ich weiß nicht, wie es heißt“.

„Kriegst du das raus?“, fragte Heino.

„Keine Ahnung. Vielleicht. Ich wollte dich sowieso fragen, ob wir diese Pflanzengespräche auch außerdienstlich fortsetzen könnten. Rein botanisch, historisch, weißt du? Komm doch heute mal zum Abendessen vorbei. Meine Heizung funktioniert wieder.“

Heinos Herz hüpfte. Doch dann kam der Nachsatz. „Rainer kommt auch.“

„Rainer?“ Heinos Freude sank von 180 plus auf knapp über den Gefrierpunkt. Scheiße, die hat einen Macker.

19:30 Uhr, Nixis Wohnung
Heino klingelte. Die Tür stand offen, eine Holztreppe führte hinauf. Es roch nach Altbau und Kohldunst. In der dritten Etage saß er dann: Rainer.

Formell angezogen, steif, sein Blick abwesend und durchdringend zugleich. Heino dachte: Was für ein Typ. Aber Nixi musste ja irgendwas an ihm mögen.

„Habt ihr euch schon kennengelernt?“ fragte sie, als sie aus der Küche kam.

Auf dem Tisch stand eine grau-grüne Pampe. Rainer begann zu erklären – und hörte nicht mehr auf. Er sprach von den alten Römern, die dieses Gewächs in den Wäldern fanden. Von mittelalterlichen Bauern, die es als Armeleuteessen betrachteten. Von Cäsars Legionen, die nur überlebten, weil sie sich davon ernährten. “ sie hätten bei Dyrrachium von Lapsana leben müssen“, zitierte Rainer, als sei das gestern gewesen.

Er zitierte lateinische Quellen, alte botanische Texte. Heino und Nixi fanden keine Möglichkeit, seinen Redefluss zu unterbrechen. Sein Blick wurde dabei intensiver, seine Sprache präziser, aber er merkte nicht, dass er sein Publikum längst verloren hatte. Widerspruch oder Ablenkung schien für ihn nicht zu existieren – seine Welt war dieser eine Faden aus Fakten, den er weiter und weiter spann.

„Okay“, sagte Heino, als Rainer endlich Luft holte. „Es ist ein Kohl. Alle diese Kohl-Arten sind Kreuzblüter.“

„Ja, das ist doch sicher“, sagte Rainer. Doch dann sah er Heinos mitgebrachtes Unkraut. „Aber diese Pflanze hier, die deine alten staubigen Freunde als ‚Wald-Kohl‘ bezeichnen, ist keiner!“

Rainers Blick verfinsterte sich. Sein ganzer Körper spannte sich an. Widersprüche waren ihm unerträglich.

„Woher willst du das wissen?!“ schrie er plötzlich, sprang auf und stieß seinen Stuhl um. Nixi war peinlich berührt, begann, den Tisch abzudecken.

Heino blieb ruhig. Er riss ein Blatt von der Pflanze ab. Michsaft tropfte aus dem Stiel.

„Kennst du einen Kreuzblüter, der Milch gibt, hä?“ fragte Heino ruhig.

Rainers Augen weiteten sich. „Das sagst du mir nicht, dass ich keine Ahnung habe!“ Er atmete schwer, sein Gesicht verzerrte sich, er warf die Arme in die Luft, als ob er sich aus einem unsichtbaren Netz befreien müsste.

„Sag ich gar nicht“, entgegnete Heino. „Aber das ist kein Kohl. Es gibt keine Kreuzblüter, die Milch geben.“

Die Stille war laut. Dann sagte Nixi bestimmt: „Rainer, ich denke, das reicht.“

Er zuckte zusammen, sammelte sich und zog sich wortlos zurück.

23:30 Uhr, Sofa
Nixi und Heino, beide mit einem Glas Wein in der Hand.

„Sag mal, ich dachte erst, der ist dein Macker. Hast du was mit dem?“

Nixi schmunzelte. „Nee. Mein Vetter. Mein Schutzbefohlener. Man sagt, er sei irre. Asperger, oder so. Aber manchmal hilft er auch.“

Heino lehnte sich zurück, spürte die Wärme ihrer Schulter neben sich. Die Säfte stiegen auf.

„Lass uns dienstlich werden, so schön es jetzt auch gerade ist“, sagte Nixi und stand auf. „Morgen früh müssen wir raus. Ich werf dich jetzt mal raus. Den Text für das neue Pflanzenrätsel schaffen wir morgen.“

Heinos Euphorie sackte in sich zusammen, wie ein welk gewordener Ableger. Aber immerhin – die Fragen an die Leser standen am nächsten Morgen:

9:30 Uhr, Redaktion
Die Grafikabteilung hatte das Bild geliefert. Die Fragen standen fest:

  • Um welche Pflanze geht es?
  • Haben Kreuzblüter eigentlich Milchsaft?
  • Gehört das komische Unkraut nicht in eine ganz andere Pflanzenfamilie?
  • Was hat es mit diesem Dyrrachium auf sich, wo liegt das heute, und wie spricht man es aus?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Mal ordentlich den Kopf gewaschen„): Cardamine hirsuta „Behaartes Schaumkraut“.

Nhu Deng hatte die richtige Pflanze gefunden: das behaarte Schaumkraut. Logisch, bei so viel Haaren und Schaum in der Geschichte zwischen Nixi und Heino.
Das behaarte Schaumkraut (Cardamine hirsuta) ist eine kleine, einjährige Pflanze aus der Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae). Es wächst vor allem in feuchten, nährstoffreichen Böden und ist häufig in Gärten, Ackerflächen und an Wegrändern zu finden. Aufgrund seiner schnellen Vermehrung und Ausbreitung gilt es oft als Unkraut. Die Pflanze hat essbare, scharfe Blätter, die in der Küche als Wildgemüse verwendet werden können. Zudem enthält sie Senföle, die antibakterielle und antioxidative Eigenschaften besitzen.

Der wissenschaftliche Name des Gewächses ist „Cardamine hirsuta“. Hirsutum bedeutet „behaart“. Woher stammt der Name „Cardamine“ ? Cardamine bilden eine Gattung von Pflanzen, den Schaumkräutern innerhalb der Kreuzblüter. Der Name stammt aus dem Altgriechischen κάρδαμον (kárdamon). Es bedeutete einfach „Kresse“. Das Wort übertrug sich später über ein graeco-lateinisches Mischwort auf die indische Gewürzpflanze Elettaria cardamomum, die zu den Ingwergewäschsen gehört und nichts mit Kressen botanisch zu tun hat. Das nur nebenbei. Im griechischen sind die beiden heute „Kardamo“s Teekesselchen.

Warum Haarshampo den Badeschaum zerstört

Die Frage war, warum sich der schöne Badeschaum auflöst, wenn man sich die Haare mit Shampoo wäscht. Rati meinte, das Shampoo setze die Oberflächenspannung des Wassers herab, weshalb die Bläschen platzen. Das ist jedoch nicht korrekt – im Gegenteil: Schaum entsteht, wenn Wasser Tenside (waschaktive Substanzen) enthält, die die Oberflächenspannung des Wassers herabsetzen. Diese Moleküle haben einen fettfreundlichen, langen „Schwanz“ und einen wasserfreundlichen „Kopf“. Ein klassisches Beispiel sind Seifen. An der Wasseroberfläche (der Grenzfläche zwischen Luft und Wasser) lagern sich die Tensidmoleküle als dünner Film an – die Schwänze zeigen zur Luft, die Köpfe ins Wasser. Diese dünne Molekülschicht verringert die Oberflächenspannung des Wassers, was ermöglicht, dass sich Schaum bildet oder Seifenblasen stabil bleiben.Tenside haben noch eine weitere Eigenschaft: Sie können Substanzen, die eigentlich „wasserscheu“ sind, wie Fette oder Öle, in das Wasser übertragen. Daher werden fettige Haare auch beim Waschen mit Shampoo sauber – nur mit Wasser allein würde das nicht funktionieren. Ist euch schon mal aufgefallen, dass Shampoo beim ersten Waschgang nicht schäumt? Das liegt daran, dass die Tenside im Shampoo zunächst mit den Fetten von Haut und Haar „belegt“ sind und ihre schäumende Wirkung nicht entfalten können. Wenn dieses Fett beim Ausspülen ins Wasser abgegeben wird, kann es auch die Wirkung des Badeschaums stören. Erst beim zweiten Waschgang schäumt das Shampoo dann richtig auf dem Kopf, aber der Schaum in der Wanne ist schon zerstört.

Wirkungsweise von Tensiden beim Waschen: Tenside binden sich in der wässrigen Phase an Fett- oder Ölpartikel und machen diese dadurch im Wasser mobil, dass sie ausgewaschen werden können. Erst wenn die Tenside sich nicht mehr an Öl oder Fett binden können, gehen sie an die Wasseroberfläche, setzen dort die Oberflächenspannung herab, was die Schaumbildung ermöglicht.

Wer also ein richtiges Schaumbad genießen möchte, sollte zuerst die Haare waschen, ausspülen und dann erst die Wanne mit Badeschaum einlassen.

Die Geschichte zwischen Nixi und Heino wird sich wohl noch eine ganze Weile bis zu einer Klärung hinziehen. Dahin wird Heino noch viel von ihr träumen – aber Träume sind nun mal Schäume, nicht wirklich etwas Greifbares, und so manche Blase platzt auch schon mal.


Weitere Pflanzen der Woche findet Ihr in unserem Archiv – seit 2016, ohne Auslassung, jede Woche eine.

One comment on “Kohldampf”

  1. Gemeiner Rainkohl (Lapsana communis) würde ich sagen.

    Ist die einzige Art der Pflanzengattung Lapsana innerhalb der Familie der Korbblütler.
    Korbblütengewächsarten enthalten Milchsaft.
    Dyrrachium liegt im heutigen Albanien, heute ist die Stadt als Durrës benannt.

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