Junkerland in Bauernhand: was macht die Ananas im Saalekreis?
16. Mai 2022 | Bild der Woche | 4 Kommentare
Pflanze der Woche: diese "Ananas" suchen wir.
Die Ananas kommt gemeinhin in unseren Gegenden lediglich im Supermarkt vor. Dort seit der Wende zuweilen auch häufiger, während sie zu DDR-Zeiten ein sehr seltenes Gewächs war. Neulich waren wir zu einem kleinen Ausflug in die mitteldeutsche Kornkammer ausgerückt. Dort, wo wie jedes Jahr gerade die ersten Spitzen des beliebten Bio-Gas-Maises aus der frühsommerlichen Erde sprießen, begleiten Gräben die staubigen Fahrwege zwischen den Feldern. Diese schmalen Randstreifen in der bis zum Horizont „vermaisten“ Landschaft sind die einzigen Rückzugsgebiete für wildlebende Pflanzen, Insekten und höhere Tiere. Das Auge des Wanderers gleitet diesen schmalen Biotopen entlang und bleibt plötzlich hängen. Falscher Film? auf dem ersten Blick sieht das, was wir erblicken, aus wie eine Ananas am Stil. Die fadenartigen Blätter des eigentümlichen Gewächses erinnern etwas an – Lilien? Spargel? Zur Ordnung der Spargelartigen gehört sie, in die Familie der „Grasbaumartigen“ ebenfalls.
Was macht sie aber hier? so richtig einheimisch ist sie nicht. Möglicherweise hat jemand hier im Graben seine Gartenabfälle entsorgt. Die Gattung passt aber zum Standort, wenn man die riesigen, ehemaligen LPG-Felder vor sich hat: der Name der Pflanze erinnert an die Bodenreform, an den Schlachtruf „Junkerland in Bauernhand“.
Aber wie heißt die Pflanze? und wo kommt sie her? Mögen Primaten eigentlich Dill?
Auflösung der letzten Pflanze der Woche („verwirrendes asiatisches Stangengemüse“): Rheum rhabarbarum, Gemeiner Rhabarber.
Trotz der etwas verunklärenden Darstellung im Text: Gemüsekennerin Elfriede hatte es schnell heraus gefunden: wir suchten den gemeinen Rhabarber.
„Blaba=Rhabarber“
Nach dem „Blabla“ hatten wir gefragt. Rhabarber ist eine „Verballhornung“ aus einem spätlateinischen Wort, das wiederum vom griechischen Rheon barbaron abstammen soll. Rha war die griech. Bezeichnung für die Wolga, an deren Ufern die Pflanze gewachsen haben soll. Barbaron = das von den Barbaren. Barbar wiederum ist wohl lautmalereisch: es bezeichnete Menschen, die eben nur „blabla“ von sich gaben, also kein verständliches Griechisch sprachen.
Oxalsäure macht die Zähne stumpf
Wir fragten, wovor man sich bei Rhabarber in Acht nehmen muss: Es ist die Oxalsäure, eine einfach gebaute organische Säure, die in größeren Mengen die Knochen schädigt und dem Körper das Calcium blockiert, mit dem es eine enge Verbindung (Komplex) eingeht. Man merkt es übrigens, wenn man Rhabarberkompott ist: wenn danach die Zähne „stumpf“ sind, lag das an der Oxalsäure. Behelfen kann man sich, wen man Sahne zugibt: das enthaltene Calcium fällt die Oxalsäure aus.
Gemüse oder Obst?
Aber ist Rhabarber nun ein Gemüse oder Obst? Man kann über die Definition streiten. Gängig ist die, die Elfriede ansprach: Gemüse ist alles, was einjährig wächst, Obst alles, was mehrjährig wächst. Aber leider: keine Regel ohne Ausnahme, dagegen spricht der Spargel (ist mehrjährig, aber keiner nennt ihn „Obst“). Oder die Melone, die würde man schon dem Obst zurechnen. Wächst aber einjährig.
Eine andere gängige Definition unterscheidet nach der Verwendung. Da heißt es dann, Obst ist alles, was süß gegessen wird, Gemüse, ist, was eher salzig-deftig zubereitet wird. Kann man gelten lassen, aber was ist dann mit dem Obst im schlesischen Himmelreich? oder den Äpfeln in der Weihnachtsgans?
„Dà huáng tang“, die traditionelle chinesische Rhabarbersuppe
Rhabarber wird in aller Regel süß zubereitet. Schon deshalb, weil er recht sauer ist. In der Regel. Aber – man kann auch anders. Zwar kommt unser gemeiner Rhabarber aus Asien, dem Himalaya-Gebiet, wo auch eine Vielzahl anderer Rhabarber-Gewächse aus der Gattung „Rheum“ zu Hause ist. Beispielsweise der „Arznei-Rhabarber“ (Rheum palmatum), aus dem (und wohl einigen anderen Arten der Gattung) eine Wurzeldroge gewonnen wird, die früher verbreitet als Abführmittel verwendet wurde.
Auf chinesisch heißt Rhabarber (auch unser Gemüserhabarber) Dà huáng“. Die beiden chinesischen Zeichen 大黄 bedeuten „Großes Gelb“. Beide Zeichen bestehen jeweils nur aus einem „Radikal“. Das erste Zeichen verdeutlichte einst einfach einen Menschen, der die Arme weit ausbreitet, um das „Große“ zu fassen. Zusammen gelesen steht das „Große Gelb“ auch für die gesuchte Pflanze.
Warum gelb? Die Wurzel vieler Rhabarberarten enthalten Anthrachinonfarbstoffe, mit denen sich auf gebeizter Wolle und Seide intensive Gelbtöne die erzeugen lassen. Die Pflanze wurde nicht nur als Heilmittel, sondern auch in der Färberei verwendet.
In China verwendet man unseren „Gemüse-Obst-Rhabarber“, der die gesuchte Pflanze der letzten Woche war, offenbar gar nicht. Aber es könnte doch sein.
Und so haben wir uns ein sehr traditionelles chinesisches Gericht ausgedacht. Es ist eine sehr kräftigende, pikante, süß-sauer-scharfe Suppe aus Rhabarber, einigen Nudeln und etwas Hühnchenfleisch. Wer es es „asiatisch scharf“ mag, sollte sie unbedingt probieren. Man kann sie auch als Heilmittel verwenden.
Rezept: „Dà huáng tang“ (大黄 汤) , eine feurig-scharfe, süßsaure Rhabarbersuppe.
Zutaten (für 4 Personen):
100 ml Erdnussöl, Sonnenblumenöl geht auch (falls vorhanden )
200-300 g Hähnchenfleisch (Brust)
75 g Tomatenmark
1/2 große Zwiebel
6 Stangen Rhabarber
100-200 ml scharfe asiatische Chilisoße, falls nicht vorhanden: etwas Chilipulver (Schärfe nach Geschmack)
Kleine Handvoll frische Kräuter, falls vorhanden: Toona-Blätter, Liebstöckel, Knoblauchgrün, Persilie
3 Zehen Knoblauch
50 ml Soja-Soße
50 g trockene chinesische Suppennudeln
1-2 Esslöffel 5-Gewürze-Pulver
50 g Zucker
Zubereitung
Öl erhitzen, Hühnerfleisch darin kurz anrösten und herausnehmen. In dem Öl Zwiebeln und Tomatenmark anschwitzen. Rhabarber in kleingeschnittenen Stücken 2-3 cm lang) und gehackten Knoblauch zugeben. kurz mit braten. Mit Chilisoße ablöschen (oder Chilipulver + 100 ml Wasser zugeben). Sojasoße und Zucker zugeben.
Mit Wasser auf etwa 700 ml auffüllen und kochen lassen, bis Rhabarber weich ist. 5-Gewürzepulver zufügen, Nudeln und angeröstetes Hühnerfleisch wieder zugeben und 5 min ziehen lassen.
In kleinen Suppentassen heiß servieren.
(Hei-Wu)
Noch viel mehr Pflanzen findet Ihr in unserem Archiv. Seit 2016 jede Woche ein neues Gewächs in unserem Lustgarten.
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„DDR-Ananas“ – waren das nicht süßsauer eingelegte Kürbisstücke?
(bäh)
Deutsche Ananas wurde eigentlich die Kohlrübe genannt, meine Oma machte noch eine vorzügliche Kohlrübensuppe.
„Blüten mit süßem Geschmack, die Wurzeln gebacken und gekocht haben einen nussigen Geschmack.“
Hab ich auch noch nicht gewusst.
Mit „wechselnden Vornamen“ könnte unsere Junkerblume einen beträchtlichen Teil der Zierpflanzen stellen und die Bauern kriegen auch eine ab.