In der Redaktion brennt noch Licht

25. Dezember 2017 | Bild der Woche | 10 Kommentare

Irgendwo hier hat sich auch unsere Pflanze versteckt

Heiligabend, ein kühler Hauch weht durch die ausgedehnten Flure des Hallespektrum-Verlags, die Etage der Pflanzen-Redaktion scheint verwaist, der Hausmeister hat bereits die Heizung heruntergedreht, denn auch die Mitarbeiter haben freiwillig das Klimaschutzprotokoll unterschrieben. „Wir wollen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten“, hatte der Chef verordnet. Aber in einem der hinteren Räume am Gang brennt noch Licht. Während über die Dächer Halles der feuchtlaue  Nieselwind die Klänge der Kirchenglocken herüberweht, die zur Christvesper rufen, sitzt im spärlichen Licht der Schreibtischlampe „Herr Nordmann“, wie sie ihn alle nennen, der Volontär, dem die verehrten Kollegen die Aufgabe zugemutet haben, die „Pflanze der Woche“ zu verfassen. „Du hast da ganz freie Hand, Meinor“, hatte Chefchen noch zu ihm gesagt, und ihm gönnerhaft auf die Schulter gehauen. „Es sollte aber etwas Weihnachtliches sein, weißt Du, mit Lametta und so, aber nicht zu einfach diesesmal“, rief er noch einmal in den Flur hinunter, bevor er die Stahlglastür knallen ließ und im Treppenhaus verschwand. Auch die übrigen Redakteure der anderen Abteilungen, also die ganzen Kulturfuzzis, die Pressemitteilungsabtippefuzzis, die Moderatoren und Löschadmins und die Maschinisten aus dem Serverraum hatten sich nacheinander  in den Feierabend verabschiedet.  Der Schichtplan war mit dem Betriebsrat verabredet worden, Familien haben Vorrang, und unser armer Volontär konnte keine solche vorweisen, wenngleich er doch liiert war, und sie auch auf ihn wartete, man wollte es sich doch auch gemütlich machen, aber..

Einsamkeit bei kalter Feuerzangenbowle

Dienst ist Dienst, und von Volontären wird, bei schlechter Bezahlung, dennoch immer dann Verantwortung und Höchstleistung erwartet, wenn die Arbeit kein anderer machen will, also fast immer. So wie jetzt. Nordmann verdrückte eine leise Träne, dann siegte die Wut. Die sollen sich wundern. Denen schüttel ich was aus dem Ärmel, das knall ich auf den Server, ein blödes Archivbild, und raus geht das ganze, pünktlich zu Montag, dem ersten Weihnachtstag. Er wärmte seine klammen Hände an dem Becher lauwarmer  Feuerzangenbowle aus der Thermoskanne, die noch von der ziemlich krampfigen Betriebsfeier übrig war. Er knetete die Finger, bis es knackte, und haute in die Tasten. „Was wir suchen, ist aus dem Weihnachtsbrauchtum gar nicht mehr wegzudenken“. Genau. die Einleitung passt. „Kein Weihnachtsmarkt würde ohne funktionieren,  und ohne sie wäre eine Feuerzangenbowle in der Weihnachtsstube ähnlich deplatziert wie ein Osterlamm ohne Ostereier, und die Kinder verbinden mit unserer grünen Pflanze die Freuden des Weihnachtsfestes seit alters her“, holperte sich unser hoffnungsvoller Volontär in den Text hinein. „Ok, jetzt wird es verräterisch“, denkt er so bei sich, und schreibt: „wir genießen sie natürlich nicht nur im Winter“.  Herr n Nordmanns Finger fliegen über die Tasten, er schlägt bei Wikipedia etwas über die Taxonomie nach, schreibt etwas, streicht es wieder, weil es dann wieder doch zu verräterisch erscheint. Die Pflanze gehört zu einer ziemlich großen Familie, der viele Nutzpflanzen entstammen, das wusste er. Aber gilt das nicht für alle, und hat das was zu bedeuten? Nordmann streicht jetzt ganze Passagen. Er gehört zu den Menschen, die zwar einen gewissen Drang zum Schreiben verspüren, durchaus beim Tastenhacken vom warmen Schauer des Gefühls der Vorstellung eigener Genialität durchströmt werden, was aber jäh gewaltiger Enttäuschung Platz macht, wenn sie dann lesen, was sie da zusammengehaspelt haben.

Herr Nordmann will Verwirrung stiften

Nordmann möchte nun irgend etwas zur Verwirrung einführen: „Man erntet vorwiegend die oberirdischen Teil des Gewächses, dabei ist aber die Wuzel dennoch das Wichtigste.“ Junge Junge, die kalte Feuerzangenbowle knallt aber rein….!“ So, noch was zum Erscheinungsbild“, denkt er sich, und stolpert weiter über die Tastatur: „Ihre Blüten an den langen, spillerigen Zweigen sieht man nur selten, viele menschen wissen nicht einmal, wie sie aussehzen.  Aus den Blüten gehen dann holzige, bräunliche Früchte hervor“.

Vignette aus dem bahnbrechenden Opus des Erfinders

OK, jetzt noch etwas zur historischen Bedeutung. Eigentlich einfach, fand Nordmann, und schrieb etwa folgendes: Dass der Durchbruch erst so richtig im 19. Jahrhundert kam, und in jedermanns Haushalt zu finden war. Und Kinderaugen zum Leuchten brachte. Weil man zuvor  auf andere Quellen der Weihnachtsfreude zurückgegriffen hatte. Die Preußen spielten bei der ganzen Geschichte eine große Rolle, ein Chemiker, der eine kluge Idee auf einer königlichen Akademie vortrug. Dabei war dieser Chemiker ein Hans-Dampf-in allen Gassen.

Harziges, Erdiges, Gummiartiges an Fraktur und Rockockoschnörkeln

Initiale und Titelvignitte

Nordmann blätterte mittlerweile in einem Digitalisat eines zweibändigen Werkes, in dem der Hans-Dampf-Chymikus seine Entdeckungen, Versuche und deren Interpretationen in loser Reihenfolge der Fachwelt publik gemacht hatte. Er glaubte, den muffigen Geruch des faserigen Papiers durch den Bildschirm zu riechen und bewunderte die in Kupfer gestochene Titelvignetten, deren Roccailes und das Blütenwerk eine harmonische Einheit mit der spätbarocken Frakturschrift bildeten. „Das ist nun wirklich keine Nazitypo“, sah er ein. Was aber hatten die ornamentales Vignetten aus dem Setzkasten mit dem Inhalt des Artikels zu tun?  „Nichts“, befand Nordmann, nichts Anderes als unsere blöden Polizeiautofotos, mit denen wir routinemäßig langweilige Pressemitteilungen aufhübschen.

Nordmann fand heraus, dass dieser Chymikus, dessen Eltern schon eine Apotheke betrieben hatten, irgendwie alles untersucht hatte, was  ihm irgendwie unter den Nagel kam. Erden, Steine, Pflanzen, aus allem versuchte er, etwas zu extrahieren, was irgendwie nützlich oder wenigstens interessant schien. Nordmann stieß nun auf das Kapitel über dessen bahnbrechende Entdeckung:  „Dass in den Pflanzen und ihren Teilen außer den harzigen , erdigen, gummiartigen, schleimigen und wässrigen, sich auch salzige befinden, wird niemand leugnen…. “

Wie so oft im Leben, hat die Früchte der Entdeckung erst jemand anderes geerntet. „In unserem Falle war es  sein Schüler und Freund, der die Entdeckung erfolgreich vermarktet und industriell erstmals umgesetzt hat. Dieser Schüler stammte aus einer  ausländischen Flüchtlingsfamilie…“  Nordmann korrigierte, machte neue Fehler, strich Wortwiederholungen, baute neue ein…. und irgendwann glaubte er, fertig zu sein… Ob er noch über das ausschweifende Sexualleben dieses „Startup-Unternehmers“ erzählen soll, fragte er sich., „Ach was, das ist jetzt schon alles zu lang hier,  und bezahlen tut es mir niemand  !“ durchfuhr ihn ein Schwall von Unlust und Wut,  schob den ganzen Text auf den Server. Fertig.  Ach, ein Bild brauchte er noch. Mein Gott, da kann man eigentlich irgendwas nehmen. Ein Handybild, Fotoshop-Effektfilter, etwas dazugekrizzelt. Mach ich zuhause am Küchentisch, das dürfte ja wohl reichen. Basta und Frohe Weihnachten“.

So, liebe Spektrum – Leser, nun habt Ihr einen Einblick, wie solche Pflanzentexte entstehen. Wie immer, haben wir viele Fragen zu dem Text, damit könnt Ihr Euch dann „zwischen den Jahren“ beschäftigen:

– Wie heißt unsere Pflanze? (botanischer Name der Art)
– Welche Pflanzenfamilie?
– Welche Zuchtformen der Art gibt es?
– Gibt es sie auch in rot?
– Wer war der Chemiker mit der klugen Idee, und wem hat er sie vorgetragen?
– Wer war der  geschäftstüchtige Typ mit Migrationshintergrund und dem ausschweifenden Sexualleben ?
– Welcher große und traditionelle Wirtschaftsbetrieb unserer Stadt steht historisch unmittelbar in Zusammenhang mit  unserer Pflanze ?

(red;nordmann)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche (Marschlied, Mutter und Friedhöfe): Calluna vulgaris, Besenheide

Gesucht wurde das Heidekraut. Es gehört zur Gattung der Ericaceen. Das gibt es  bei uns als Beesenheide (Calluna vulgaris), Glockenheide (Erica tetralix) und als Schneeheide (Erica herbacea). Heidekraut wird gern als Bodendecker auf Gräbern gepflanzt. Bekannt ist das Volkslied: „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein und das heisst Erika; Heiss von hunderttausend kleinen Bienelein wird umschwärmt, Erika …“. Zur Nazizeit wurde das Lied als Soldatenlied missbraucht.

(Hans Ferenz)

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