Fass mich nicht an (haptisch nicht so !)

23. August 2021 | Bild der Woche | 4 Kommentare

Wieder einmal geht es um eine Pflanze, die eigentlich bei uns nicht heimisch ist. Dieser Neophyt büxte, wie so manche eingeschleppte Pflanzenart, vor ca. 200 Jahren aus Botanischen Gärten aus und fand in unseren schattigen Laubwäldern gute Lebensbedingungen. Direktes Sonnenlicht mag sie nämlich nicht. Sie lässt dann die Blätter hängen, richtet sie aber im Schatten wieder auf. Merkwürdig, wo es doch sonst heißt: Blätter zur Sonne zur Freiheit, Blätter zum Lichte empor!

Mit einer Wuchshöhe von nur einem halben Meter und kleinen, etwa 1cm großen gelbweißen Blüten, die einen längeren Dorn haben, wirkt die aus Asien stammende Pflanze recht unscheinbar.  Das einjährige Balsaminen-Gewächs hat viele Verwandte, darunter eine großwüchsige Form, deren Blüten zwar eine gute Bienenweide sind, die aber als bei uns als Unkraut bekämpft wird. Genießbar ist unser unbekannter Neophyt nicht. Bitterstoffe lösen Übelkeit und Erbrechen aus. Schwebfliegen stört das nicht; sie mögen den Pollen dieser Pflanze.

Zur flotten Verbreitung der Pflanze trägt ein Explosionsmechanismus bei, durch den die reifen Samen aus den Kapselfrüchten meterweit geschleudert werden. Man bezeichnet das als Ballochorie (griech. ballein – werfen ; chora griech. Gebiet). Bei unserer Pflanze handelt es sich genau genommen um eine Saftdruckschleuder. Bei der Fruchtreife steigt der Zellsaftdruck, wodurch die  Fruchtwände schlagartig aufreißen, wenn ein bestimmter Maximaldruck erreicht ist. 

Welches ballernde Kraut suchen wir?

(H.J. Ferenz)

 

Auflösung der letzten Pflanze der Woche ( „Tragos Wiesen-Pogo“) Trogopogon pratensis oder Tragopogon dubium? Wiesen-Bocksbart oder großer Bocksbart.

Wahrscheinlich hatte @Rati recht. Er tippte auf den großen Bocksbart, Tragopogon dubium. „Dubius“ ist lateinisch und bedeutet: zweifelhaft. Und so erging es wohl auch unserer Redaktion: denn als wie die Pflanze in den Feldrainen des Saalekreises in Massen fanden, schien alles nach dem gewöhnlichen Wiesenbocksbart, Tragopogon pratensis, auszusehen. Gegen den „großen“ Artverwandten sprach: er soll eigentlich nur ganz selten sein, allenfalls mal an besonders warmen Standorten. Aber vielleicht hat hier schon ganz massiv der Klimawandel zugeschlagen ?

Was für den „großen“ spricht: der keulenartig verdickte Übergang von Stängel zum Blütenkörbchen. Egal: alle Bocksbärte kann man essen, und zwar mit „Stumpf und Stil“, wenn sie jung sind. Nicht nur die Türken essen sie als „Yemlik otu“ (wörtlich übersetzt:  Futtergras), und zwar im Zustand junger Rosetten.

Kann man im Video, das wir verlinkt hatten, sehr schön sehen (in dem Video geht es übrigens darum, dass ein Türke seinen Landsleuten erklärt, wie man das Gemüse auch in Deutschland finden kann).

Wir fragten noch nach den alt- und neusprachlichen Versatzstücken:

Tarif, Tarifler (tr): Rezept(e)

Tragos= Der Bock (Altgr)

Pogon= Bart

Was ist an der Pflanze tragisch? „Das Wort „Tragödie“ entstammt dem Theater der griechischen Antike und bezeichnet einen „Bocksgesang“ (tragodía).
Beim Dionysoskult wurde ein „Komos“ veranstaltet, ein festlicher Straßenumzug oder eine Prozession mit Gesang, verkleidet mit Maske und Bocksfell (griech. Tragos), zur Darstellung des Gottes selbst oder der ihn begleitenden Satyrn. Eine „Tragödie“ ist eigentlich nur ein Lied, so wird das Wort auch heute noch Griechischen benutzt („Tragoudi“)- keineswegs nur für Stücke mit schicksalhaftem Ausgang, sondern auch für Liebeslieder und  Schnulzen und Schlager aller Art.   Welch höhere Weisheit verbirgt sich  doch in der Wurzel mancher Wörter.

Der dem Hallenser phonetisch gleichklingende Vorname „Drago“ hat mit dem Bock allerdings kaum etwas zu tun: er  ist abgeleitet vom slawischen drag (liebteuer) und bedeutet „Geliebter“, „Liebster“, „Schatz“.

(HW)

Noch mehr „Pflanzen der Woche“ findet Ihr übrigens in unserem Archiv. Seit 2016, jede Woche ein Gewächs.

 

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