Pflanze der Woche (16.–22. Juni 2025)
Sie schob die Tastatur ein Stück von sich weg. Es war wie jedes Mal: Die Deadline rückte näher, und ihre Gedanken waren woanders. Genauer gesagt: bei Dora Ji. Noch genauer: bei Heino. Er verbrachte seine Abende nun regelmäßig bei Dora. Zumindest sagte man das in der Redaktion mit jenem Tonfall, den man verwendet, wenn Klatsch durch den Kopierraum weht. Es waren Gerichte, von denen die Rede war – asiatisch, aromatisch, verführerisch. Und davon, dass Heino seitdem wie ein gezähmter Ochse durchs Büro stapfe.
Sie tat, als interessiere es sie nicht. „Soll er doch“, murmelte sie, während sie das Fenster schloss. Doch während sie den Pflanzensteckbrief aufrief, merkte sie, wie ihre Gedanken zurückwanderten. Nach Andorra. Zurück zu jenem Feld hinter dem Haus ihres Großvaters, auf dem eine Pflanze wuchs, die eigens für den Esel bestimmt war. Rosa Blüten in dichter Ähre, länglich gefiederte Blätter, wie bei einer Wicke. Die Tiere stürzten sich mit einer eigentümlichen Gier darauf – Esel, Pferde, selbst die Ziegen wagten sich an die festen Stängel.
Sie begann zu tippen:
„Die Pflanze, um die es in dieser Woche geht, ist ein ausdauernder Schmetterlingsblütler mit gefiederten Blättern und aufrechten, rosa Blütenständen. Sie wächst auf mageren, kalkreichen Böden und ist besonders an trockene Standorte angepasst. Ihre Wurzeln dringen tief in den Boden, wodurch sie auch auf nährstoffarmen Flächen gedeiht. Die Pflanze blüht zwischen Mai und Juli und bietet eine wichtige Nektarquelle für Insekten, insbesondere für Wildbienen. In früheren Jahrhunderten war sie eine bedeutende Futterpflanze in der extensiven Weidetierhaltung – besonders geschätzt von Eseln, deren Vorliebe sich im wissenschaftlichen Namen niederschlägt.“
Sie hielt inne. Ob Heino das lesen würde? Ob er merken würde, dass er gemeint war? Sie schüttelte den Kopf. Nein, wahrscheinlich nicht. Und doch stellte sie sich vor, wie er morgens in die Redaktion kam und den Strauß auf seinem Schreibtisch vorfand – ein paar Stängel der rosa Pflanze, sorgfältig in eine Glasvase gestellt. Ein Zeichen. Oder vielleicht ein stilles Spottbild.
Und trotzdem: Irgendetwas in ihr weigerte sich, ihm ganz die Zuneigung abzusprechen. Auch wenn sie sie sich selbst nicht eingestand. Vielleicht war er wirklich nur ein Esel. Aber vielleicht ja auch ein treuer.
Dann schrieb sie die abschließenden Fragen:
– Um welche Pflanze handelt es sich?
– Warum spielt der Esel im Namen der Pflanze eine Rolle?
– Wo kann man sie heute noch in Halle (Saale) blühend finden?
– Ist sie essbar?
Auflösung der Pflanze der Woche (PiS-Nelke): Der Pyrrenäen-Storchschnabel
Zunächst eimal geht ein großes Lob an Nhu-Deng, weil er sich gute Gedanken gemacht hat, und auf die ständige Verwechslung von Geranien und Pelargonien hinwies, er schrieb: „Das Foto macht es uns einfach, es handelt sich um Geranien (Geraniaceae) . Zur gleichen Familie gehören die fälschlich bezeichneten Geranien, welche wir in Balkonkästen kultivieren, bei diesen Pflanzen handelt es sich aber um Pelargonien. Geranien begeistern duch ihre Hartnäckigkeit, was den Standort berifft und die schönen zarten Blüten. Wenn sie verblüht sind sieht man auch den Storchschnabel, der der Pflanze den bekannten Namrn gab. Hat also Nichts mit einer gewissen Beatrix von zu tun.
Piss-Nelke, bis jetzt ist mir der Ausdruck unbekannt und auch nicht schön. Gemeint soll der Löwenzahn sein.
Ja, wo her stammt diese schöne Pflanze? Der junge Arzt und Botaniker Paul Hermann (1672) soll für die niederländische Ostindien-Kompanie nach Ceylon (heute: Sri Lanka) reisen und sich dort medizinisch um die Angestellten des Unternehmens kümmern. Er stimmt zu, denn er möchte unbedingt in diese tropischen Breitengrade – vor allem, um die dortige Pflanzenvielfalt zu erforschen. Doch er hat die Reise unterschätzt, sie ist sehr anstrengend. Um sich von den Anstrengungen der Reise zu erholen, legte man eine Pause in Südafrika ein. Dort, in der Nähe des Tafelbergs sah er die zauberhaften Blumen und ihm gelang es Ableger in die Niederlande zu schicken und dort – sowie im restlichen Europa – intensiv gezüchtet.
Andorra ist ein bewegender Roman von Max Frisch, der Vater verbietet eine Eheschließung der Tochter mit dem Ziehsohn, eigentlich aber Halbbruder.“
Das stimmt alles, und man sieht, Nhu Deng hat Max Frischs „Der andorranische Jude“ lesen (Das war übrigens Pflichtlektüre in westdeutschen Gymnasien). Hier auch?
Ansonsten: die „Pissnelke“, die wir hier suchten, war aber ausnahmsweise keine Geranie, sondern tatsächlich ein „Storchschnabel“. Verwirrend ist dir Begriff „Storchschnabel“ und „Geranie“ in sogar für Altsprachler. „Geranos“ (Γερανός) bedeutet (auf Alt- und Neugriechisch) „Storch“. „Pelargos“ (πελαργός) aber auch. Botaniker hatten zwischen Pelargonien und Geranien eine Verwandtschaft gemeint zu erkennen, die aber nicht wirklich eng ist, wie man heute weiß.
Was den Ausdruck „Pissnelke“ betrifft: die Herkunft ist unklar, das lassen wir mal die Schimpfwort-Etymologen einer kleinen rheinschen Bouleward-Zeitung zu Wort kommen: Pissnelke: Was Löwenzahn mit dem Schimpfwort zu tun hat | Express . Warum der autor die Pflanze „Pissnelke“ nannte? weil sie gerne da wächst, wo der Autor sie bei seiner „Erleichterung“ entdeckt hat – und weil sie tatsächlich da am liebsten wächst, wo Hunde und Menschen gerne überschüssigen Stickstoff absetzen.
Wir suchten eine echte Geranie:
Herkunft und Familie:
Der Pyrrenäen-Storchschnabel (Geranium pyrenaicum) stammt ursprünglich aus den Pyrenäen, einer Region, die durch ihre rauen, windgepeitschten Landschaften und karge Böden bekannt ist. Diese Pflanze bevorzugt Orte, die durch tierische oder menschliche Abfälle angereichert werden, was sie besonders an den Rändern von Städten und belebten Gebieten gedeihen lässt.



Besonderheiten:
Trotz ihres einfachen Aussehens gedeiht der Pyrrenäen-Storchschnabel prächtig auf nährstoffreichen, aber oft unsauberen Böden, die von Überschüssen durch Abfälle oder Urin beeinflusst sind. Die Pflanze kann in Städten verwildern, was ihre Fähigkeit symbolisiert, auch in schwierigen, ungeordneten Verhältnissen zu überleben – eine Metapher für Nixi selbst, die zwischen den traditionellen Erwartungen ihres Vaters und ihrem eigenen Wunsch nach Unabhängigkeit hin- und hergerissen ist.
Literatur: https://leopard.tu-braunschweig.de/receive/dbbs_mods_00001636
Weitere „Pflanzen der Woche“ findet Ihr in unserem Archiv – alle, seit 2016.
4 comments on “Eselfutter”
Wieso erinnern mich diese KI-Bilder an süßliche, idealisierende Darstellungen aus der
deutschen Romantik ? Grauslig.
Weil es gewollt ist? Satire?
Übrigens: 98% der Menschen stehen auf Schweinchenrosa, pink und hellblau. Sonst wäre Barbie und der entsprechende Film nicht so ein Renner gewesen.
Diese „Ästhetik“ wird ihnen nur irgendwann, ähnlich wie der Hang zu Süßigkeiten, ausgetrieben. So wie NS-Kunst und Sozialismus jegliche Verweichlichung der Kunst ausgetrieben haben:
Aber klar, sowas geht auch: https://sportmuseum.hypotheses.org/files/2024/02/Unbenannt.png
Diese schöne Pflanze ist mir völlig unbekannt, es handelt sich um die Saat-Esparsette (Onobrychis viciifolia). Ich finde eine Ähnlichkeit mit Lupinen und die Blätter erinnen an Wicken. Was mich bestärkt, denn im 2. Teil des Namens „viciifolia“ wird man ja auch darauf hingewiesen. Und den Esel im Namen finden wir auch leicht, denn Onobrychis setzt sich aus griech. onos = Esel und brychein = zerbeißen, verschlingen, fressen zusammen. Eßbar zwar, also nicht giftig, aber mal ehrlich – ist die Esparsette nicht einfach viel zu schön, als dass man sie wie ein gieriger Esel verspreisen wollte? Diese nette Bemerkung stammt aus dem Blog Pflanzenlust von Karin Greiner.
keine Ahnung wo sie in Halle wächst.
Die wächst und blüht gerade „überall“, @NhuDeng, also fast überall da, wo die Stadt Blumenwiesen ausgesät hat, man kann die eigentlich gar nicht übersehen.