Erkenne Dich selbst

25. September 2017 | Bild der Woche | 4 Kommentare

Wir sehen grüne Blätter unserer neuen Wochenpflanze. Es ist eine verholzende, nicht einheimische Pflanze, der bei uns besonderen Schutzes bedarf. In alten Mythen wurden ihre Zweige auf bestimmte Weise getragen, um Kummer und Schmerz bei nicht erwiderter Liebe symbolhaft auszudrücken. Der spielende Eros war an dieser Geschichte nicht unschuldig. Dem weiterhin daran beteiligten Gott wurden später Tempel gewidmet, die mit gebundenen Besen dieser Pflanze ausgefegt wurden. Und seine Angebetete? Verwandelt in einen Strauch.
Unzählige Geschichten ranken sich um unsere Pflanze, nicht nur im alten Griechenland, auch im Mittelalter, im Renaissance-Humanismus, in christlichen Bräuchen und neuzeitlichen Sportereignissen wurde munter weitergesponnen. Wir ehren sie häufig als Heil- und Gewürzpflanze, mögen Blatt und Frucht.

Pflanze der Woche: Sie wird heute gesucht.

Wir wollen also wissen: Wie heißt die Pflanze? Wovon leitet sich ihr Name ab?

Auf welche Weise wurde im oben erwähnten Mythos die Pflanze getragen?

Für Literaturfreunde



: Warum verachtete Goethe die symbolhafte Verwendung dieser Pflanze?

Und zum krönenden Abschluss: Selbst dem Trekkie ist sie ein vertrautes Symbol. Wofür steht es?

(AS)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Asiaten machen sich im Kleingarten breit“) :

宁夏 枸杞

Knapp vorbei ist auch vorbei – dass das gerade unserem Agricola das passieren musste! Nein, wir suchten nicht nach Wu Wei Zi, nicht nach Hei Wu Pi oder Ai Weiwei. Rellah lag richtig. Die wundertätige Superfoodbeere namens Goji  枸杞   (ausgesprochen wird sie etwa so, wie der Bitterfelder See: Gotschi). Genauer gesagt,  宁夏枸杞, was bedeutet „Goji aus Ningxia“. Denn unsere Pflanze mit dem wissenschaftlichen Namen Lycium barbarum hat in China noch eine Verwandte, die auch als Goji gegessen wird. Lycium chinense, die etwas größere Beerenfrüchte gibt. In Ningxia (宁夏) werden besonders gute und teure Goji (枸杞) angeboten, deshalb also heißen sie  宁夏 枸杞 . Diese stammen von Lycium barbarum, der Pflanze, das bei uns oft als unverwüstliches Autobahngebüsch gepflanzt wird, und so manchen Kleingärtner zur Verzweiflung bringt. Die Werbung in den Gartencentern ist ja verlockend: „Pflanzen sie sich das Superfood in den Garten, das Geheimnis der traditionellen chinesischen Medizin“ usw.  Also wird das unscheinbare Pflänzchgen mitgenommen, in den Garten zu den Beerensträuchern gesetzt, gepflegt und.. verflucht. Es wird schnell groß, wuchert mit seinen Ausläufern, die herabhängenden Zweige bewurzeln wieder: was für ein Spaß.

War gesucht: Lycium barbarum, Goji, Wolfsbeere. Zweig mit Frucht und Blüte.

Wo das Nachtschattengestrüpp, das sich in etlichen Gegenden in deutschen Landen verbreitet hat, eigentlich herstammt, ist nicht genau bekannt. Um 1740 wurde es  schon in Gärten gepflanzt, und erste „Auswilderungen“ sind aus Thüringen um 1840 beschrieben. Deutsche Namen sind Chinesischer Bocksdorn, Chinesische Wolfsbeere, Gemeiner Teufelszwirn. Der Strauch blüht im Sommer mit unscheinbaren, kleine, violetten Blüten, aus denen dann unzählige kleine, 1-2 cm lange rote Früchte entstehen. Die Früchte können, je nach Wetterlage, bis zum Dezember am Strauch hängen bleiben. Der Geschmack ist etwas sortenabhängig, die Palette reicht von „süß-fad“ bis „bittersauersüß“.

Die Früchte weren in der traditionellen chinesischen Medizin schon seit dem Altertum verehrt. Die kleinen, roten Beeren gelten als lebensverlängernd,  sollen aber auch gegen Anämie, Erkältungen, Erschöpfung, Impotenz, Müdigkeit, Nachtschweiß, Potenzstörungen, Schwäche in Rücken und Knien, Schwindel, Tinnitus, Sehschwäche, Überanstrengung und Unfruchtbarkeit wirken.

Je kleiner, um so gesünder, und deshalb sind die Beeren aus Nyngxiang besonders beliebt. Ningxiang ist eine der ärmsten Provinzeen Chinas, und offenbar ist das Lohnniveau so niedrig, dass es sich dort lohnt, kommerziell die Beeren anzubauen. Dabei ist das Hauptproblem die Ernte: es gibt keine Pflückmaschinen, mit den man die druckempfindlichen Beeren vom Strauch herunterrupfen könnte. Die Dinger müssen alle einzeln mit den Fingern geerntet werden, und dabei machen sich die gemeinen Stacheln der Pflanze unangenehm bemerkbar. Kein angenehmer Job. In der Regel werden die Früchte dann in der Sonne getrocknet, dabei werden sie etwas süßer, der bittere Geschmack reduziert sich etwas. Es werden aber auch Säfte hergestellt, Gelees oder auch Likör.

Superfood und Wundermittel

Handschrift aus der Ming-Dynastie: Aus Goji-Beeren werden alkoholische Getränke gegoren.

In den letzten Jahren hat die Wunderbeere auch in der westlichen Welt einen Hype verursacht. Es gibt genügend Menschen, die an die wunderkraft der TCM glauben, zudem wurden über die Goji-Beere auch viele pseudowissenschaftliche Artikel in den medien verbreitet. So sll die Pflanze „dreitausend mal mehr Antioxidantien und Vitamine“ enthalten als irgendein anderes Lebensmittel, usw.
Besonders viel Mumpitz wird beispielsweise hier verbreitet, dort soll sie sogar das lebenswichtige Element Germanium enthalten (Was kein Mensch braucht, manche Spinner aus der Alternativmedizin glauben das aber).

Selbstverständlich enthält die Beere Antioxidantien.  Das sind weit verbreitete, lebenswichtige Substanzen. Das sind beispielsweise Vitamin C, aber auch viele Gerbstoffe, Flavonoide und Carotinoide. Sie kommen in den meisten Pflanzen vor, und wer nicht gerade sein Gemüse totkocht, hat genug davon.  Antioxidantien wirken reduzierend und als „Radikalfänger“. Es sind lebensnotwendige Substanzen, sogar mit einer antikanzerogenen Wirkung.  Aber die Goji-Beere enthält davon nicht mehr als viele andere Obst- und Gemüsesorten, von denen man im Allgemeinen auch größere Mengen zu sich nimmt. da kann sie noch so gepriesen werden- ein Superfood und Wundermittel ist sie nicht.

„Laut einer Stellungnahme des Leiters des ernährungswissenschaftlichen Instituts der Universität Granada 2010 ist der Verzehr von Goji-Beeren ebenso „gesund“ wie der Verzehr anderer Obst- und Gemüsesorten, darüberhinausgehende positiv erlebte Effekte nach dem Genuss seien lediglich auf eine Placebowirkung zurückzuführen“ (Wikipedia)

„Placebo“ (es bedeutet „ich werde gefallen“) trifft hier voll zu. Der Geschmack der getrockneten Beeren wird von vielen als sehr angenehm empfunden, als Knabber- und Naschzeug sind sie verlockend, und können eine kostspielige Sucht erzeugen.

Lohnt sich der Anbau im eigenen Garten?

Der Verfasser würde eher abraten. Während das Problem des unkontrollierten Verbreitens nicht so groß (immer wieder brutal zurückschneiden, fertig) und der Pflegeaufwand null ist, gestalten sich Ernte und Weiterverarbeitung zu einem Hobby für Masochisten. In einer Stunde hat man  von den dicht behangenen Zweigen vielleicht mal eine Tasse voll Früchte gesammelt, die Hände sind blutig gestochen, der Saft brennt in den Wunden. Da jetzt, Ende September, zur Reifezeit nicht mehr die Sonne so richtig scheinen mag, kann man die Beeren auch nicht an der Sonne trocknen- man braucht einen Backofen oder Dörrgerät.

 

 

(Red)

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