Pflanze der Woche, 12.-18. Mai 2025
Es war einer dieser Frühlingstage, an denen selbst die Luft innehielt. In Dora Jis Küche im Mühlwegviertel lag der Duft von Sesamöl und frisch geschnittenem Gemüse. Nixi war gekommen, um zur Ruhe zu kommen. Eine Pause vom Alltag. Einfach nur kochen, reden, essen.
„Bibimbap“, sagte Dora und schob das Schneidebrett auf den Tisch. „Du erinnerst dich?“
„Natürlich“, sagte Nixi. „Bimbap macht bimbam.“
Dora lachte. „Es hat tatsächlich etwas mit Glocken zu tun. Manche sagen, der Name kommt vom Klang der Zutaten im heißen Stein.“
Auf dem Tisch lag auch eine Wurzel. Rötlich, trocken, leicht verästelt – fast wie ein kleiner Zweig.
„Was ist das?“ fragte Nixi.
„Eine Heilwurzel aus der TCM“, sagte Dora. „In Korea kommt sie oft in die Küche, besonders ins Bibimbap. Ihr Name ist schwer zu übersetzen.“
Nixi schnitt ein kleines Stück ab, kostete. Bitter. Erdiger Nachklang. Etwas streng, fast medizinisch.
„Man sagt, sie entgiftet den Körper“, erklärte Dora. „Sie hilft, Druck loszuwerden.“
Nixi hob die Augenbraue. „Druck?“
„Ja. Wie ein Ballon, der langsam steigt. Wenn zu viel Spannung da ist, muss sie raus – sonst platzt er.“
Sie unterbrach das Gespräch, als draußen in der Luft sich etwas bewegte. Nixi trat ans Fenster. Hoch über dem Park schwebte ein Heißluftballon. Heino war mit seinen Freunden unterwegs, das hatte er erzählt – eine Tour über die Saaleauen, Start am früheren Gaswerk. Von hier sah man ihn deutlich, der Ballon stieg ruhig in den blauen Himmel.
„Heino ist da oben“, sagte Nixi. „Sieht friedlich aus.“
Dora nickte, ohne aufzusehen. „Ein gutes Bild. Der Aufstieg, der Druck, die Balance.“
Dann fuhr sie fort: „Die Wurzel wird in der chinesischen Medizin auch bei schweren Krankheiten eingesetzt. Bei Krebs zum Beispiel. Natürlich ist das kein Ersatz für eine Therapie, aber es gibt Menschen, die schwören auf ihre Wirkung.“
„Und du?“ fragte Nixi.
Dora zuckte die Schultern. „Ich glaube an das, was hilft. Manchmal ist das Wissen alt. Manchmal still. Aber nicht nutzlos.“ In der koreanischen Volksmusik besingt das ein berühmtes Lied nicht nur die Pflanze, sondern auch die Sehnsucht und das tiefe Gefühl der Heimat. Da heißt es dann, dass „Jungfrauen, die die Wurzel ziehen, hätten eine so elegante Handhaltung.“ Ihre Form vor dem Aufblühen steht sinnbildlich für Spannung, Erwartung – und die Notwendigkeit, irgendwann loszulassen.
Im Hintergrund war plötzlich ein Knall zu hören. Dumpf, nicht laut, aber spürbar. Nixi trat erneut ans Fenster. Der Ballon hatte einen Riss an der Spitze. Die Hülle blähte sich ungleichmäßig. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Dann sackte der Ballon. Nicht im freien Fall – eher wie ein Tuch, das die Luft verlässt. Die Gondel kippte, fing sich, sank schneller, dann wieder langsamer. Die Hülle, halb geplatzt, legte sich wie eine Glocke über die Insassen. Es sah gefährlich aus. Aber es ging gut aus.
„Der Ballon“, sagte Nixi leise. Dora stellte die Pfanne ab. „So ist es. Wenn der Druck zu groß wird, muss er irgendwohin. Aber wenn man das rechtzeitig erkennt, kann man den Aufprall abfangen.“
Nixi nickte. „Wie diese Wurzel.“
„Genau.“ Das Bibimbap war fertig. Es dampfte, die Farben leuchteten. Nixi probierte. Die Würze war kräftig, das Gemüse knackig, der Reis mild. Und mittendrin – die Wurzel. Scharf. Bitter. Irgendwie gut.
Fragen an unsere Leserinnen und Leser:
– Welche Pflanze ist es, deren Wurzel im Bibimbap ihen eigentümlichen Geschmack entfaltet, und die in der TCM als Heilmittel gegen Blockaden gilt?
– war es gut, ein Stück der Wurzel roh zu kosten?
– Und wie heißt das koreamische Volkslied?
Auflösung der letzten Pflanze der Woche (Dämmerung im Auenwald): Goldnessel (Lamium galeobdolon)
NhuDeng löste die Frage, indem er schrieb: Gesucht wird vermutlich die Silberblättrige Goldnessel. Ich kenne sie gut aus meinem Garten. Erklärungsversuch mit KI
„Die silbernen Flecken auf den Blättern der Goldnessel (Lamium galeobdolon) sind nicht bei allen Goldnessel-Arten zu sehen, sondern eher bei der Silberblättrigen Taubnessel (Lamium argentatum) oder in geringerem Ausmaß bei anderen Unterarten. Diese Flecken entstehen durch eine Lichtreflexion an einer Luftschicht zwischen Oberhaut und Gewebe.“
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Bis auf das hier: Weitere „Pflanzen der Woche“ findet Ihr in unserem Archiv – alle, seit 2016
2 comments on “Ein Spiel von Luft und Wurzeln”
Da winkte wieder mal Heino aus einem Ballon! Einfacher war die Suche, wenn man sich bei Dora Jis um sieht, nicht in ihrer Küche im Mühlwegviertel, sondern im Namen, Dorajis. Doraji ist der koreanische Name sowohl für die Glockenblume (Platycodon grandiflorus) als auch für deren Wurzel. In der Chinesischen Traditionellen Medizin wird die Wurzel frisch oder getrocknet als Heilmittel verwendet. Kosten kann also nicht schädlich sein.
Doraji Taryeong wird mit Sicherheit nicht mein Einschlaflied, aber wem es gefällt!!!
Die Ballonglockenblume habe ich in meinem Garten.
Das habe ich gerade rausgegoofelt, dieses „Einschlaflied“. Für mein westeuropäisch geprägtes Ohr die Hölle.