Pflanze der Woche: 30. Juni – 6. Juli 2025
Heino schleppte sich durch die Straßen wie ein geschlagener Hahn. In seinem Inneren krabbelte das schlechte Gewissen wie eine Kolonie von Ameisen: gegenüber Dora, gegenüber Nixi, ja sogar gegenüber sich selbst. Der Gockel in ihm – so dachte er – hatte jämmerlich versagt. Seit jener Nacht, in der Dora Ji ihm ein Kräutergericht serviert hatte, war nichts mehr wie zuvor. Ein Schlinggewächs aus fernen Landen hatte seine Lebensgeister nicht geweckt, sondern – im Gegenteil – schmerzhaft verdeutlicht, dass Begehrlichkeit nicht mit Bitterkeit harmoniert.
Seine Schritte führten ihn wie von selbst zur alten Roteiche, jenem Baum, den die Stadt einst zu Ehren irgendeines Jubiläums hatte pflanzen lassen. Um ihn herum: ein gelber Teppich aus Blüten. Die Stadtgärtner hatten es offenbar versäumt, sich um die Baumscheibe zu kümmern. Heino kniete sich nieder, fast andächtig. Inmitten der gedrungenen Stängel und kleinen goldgelben Blüten fühlte er sich wie vor einem Grab – seinem eigenen vielleicht, dem seines Selbstwertgefühls.
„Was bin ich nur für ein Gockel. Ein schlapper Cock.“ Er dachte an das englische Wort, das sowohl Hahn als auch anderes bedeuten konnte. Der Hahn hatte versagt. Und nun kroch er – innerlich wie äußerlich. Bald kroch er, wie diese Pflanze, auf dem Boden umher, fühlte sich eins mit ihr, sein Stängel entledigt aller aufrechten Eigenschaften.
Während er so vor sich hin murmelte, geschah das Unfassbare: Dora Ji trat vor ihn. Doch sie war nicht mehr die Dora, die er gekannt hatte. Ihre Augen, ihre Haltung, die Art, wie sie sich bewegte – alles war anders. Statt der sanften, fast schüchternen Art von Dora war da nun eine Präsenz, die zugleich spöttisch und verführerisch wirkte.
„Man nennt mich Anne“, sagte sie, mit einem Lächeln, das fast schmerzte. „Anne Monin.“
„Dora?“, fragte Heino benommen, aber die Züge der Frau vor ihm waren unverkennbar, die Stimme eine fremde Melodie. War das noch Dora? Die schillernde Verwandlung vor seinen Augen riss ihn aus seinen Gedanken.
„Reizend, nicht wahr?“ Ihre Berührung brannte leicht auf seiner Haut. Da war es wieder: dieses feine Jucken, das Kribbeln, kaum wahrnehmbar, aber da. Und ehe er sich versah, war sie verschwunden – wie eine Erscheinung im Halbschlaf.
Verwirrt hielt Heino einen Strauß der gelben Blüten in den Händen. War das real gewesen? Oder nur eine Verkörperung dessen, was diese Pflanze in ihm ausgelöst hatte? Seine Finger brannten leicht. Er betrachtete seine Füße – sie waren nicht mehr seine. Statt der vertrauten Haut und Zehen wuchsen dort blattartige Gebilde, breit gelappt und mit Adern durchzogen. Auch seine Hände hatten sich verändert. Und auf seinem Kopf… war das ein Kamm? War er wirklich zum Gockel geworden – ein Hahn mit Blattfüßen?
Die Welt schwankte. Kleine Frösche hüpften um ihn herum, eine Pflanze schlang sich um seine Beine. Die Stimmen wurden undeutbar. Und mittendrin: Anne Monin, die lachte, ein Lachen wie ein Kratzen auf der Haut.
Er trat den Rückweg zur Redaktion an, immer noch etwas taumelnd. Dort angekommen, stellte er den Strauß auf Nixis Schreibtisch. Als sie eintrat, hielt sie inne.
„Was ist los?“, fragte sie.
„Da. Für dich“, stammelte Heino. „Ich war irgendwie total woanders. Irgendwie geflasht.“
„Du solltest dich besser nicht mehr mit allzu reizenden Damen einlassen“, sagte Nixi schmunzelnd. „Und deine Finger solltest du waschen.“
Fragen an unsere Leserinnen und Leser:
- Um welche Pflanze handelt es sich?
- Was hat es mit der Figur „Anne Monin“ auf sich?
- Warum sprechen manche von einem Gockel, wenn sie eigentlich etwas anderes meinen?
- Welche Stoffe machen diese Pflanze reizvoll – oder reizend?
Auflösung der letzten Pflanze der Woche: Auflösung der Pflanze der Woche („In den Fängen der Schlingpflanze): Jiaogulan, Gymnostemma pentaphyllum
Die sogenannte „fünfblättrige Rankpflanze“ stammt ursprünglich aus dem asiatischen Raum, insbesondere aus den subtropischen Regionen Chinas, Japans und Vietnams. Ihr wissenschaftlicher Name verweist auf ihre auffällige Blattstruktur: „pentaphyllum“ steht für die fünf Blätter, die meist in Handform um die zentrale Spindel angeordnet sind.
Botanisch zählt die Pflanze zur Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae). In der traditionellen chinesischen Medizin wird sie seit Jahrhunderten hochgeschätzt. Sie gilt dort als Tonikum zur Unterstützung des Immunsystems, zur Regulierung des Blutzuckerspiegels und zur Steigerung der Vitalität.


Moderne phytochemische Untersuchungen zeigen, dass Gymnostemma pentaphyllum reich an Saponinen ist, insbesondere sogenannten Gypenosiden, die in ihrer chemischen Struktur den Ginsenosiden aus dem Ginseng ähneln. Diese Verbindungen werden mit antioxidativen, entzündungshemmenden und adaptogenen Eigenschaften in Verbindung gebracht. Sie wird im asiatischen Raum allgemein als „Stärkungsmittel“ verabreicht.
Die wissenschaftliche Evidenz für konkrete Wirksamkeit im Bereich der Potenz ist allerdings dünn – und wird in Asien auch nicht behauptet.. Gymnostemma kann möglicherweise das allgemeine Wohlbefinden steigern, ersetzt aber weder medizinische Diagnostik noch die Ursachenbehandlung bei erektiler Dysfunktion. In Europa wird die Pflanze gelegentlich als „Jiaogulan“ vermarktet, meist als Tee oder Nahrungsergänzungsmittel. Ein Allheilmittel ist sie jedoch nicht. Und in manchen Fällen, wie Heino schmerzlich erfuhr, bleibt die Wirkung aus..
Weitere „Pflanzen der Woche“ findet Ihr in unserem Archiv – alle, seit 2016.
5 comments on “Ein schlapper Gockel, ein gelbes Feld und die reizende Anne Monin”
Könnte das Windröschen (Anemone) sein. Die Pflanze enthält Anemonin, ein Umwandlungsprodukt des in allen Hahnenfußgewächsen vorkommenden Toxins Protoanemonin.
Als Gockel wird ein eitler, überhebliche Mann bezeichnet und für die engl. Bezeichnung Cock ist vergleichbar mit z. B. der dt. Bezeichnung Schwanz für das entsprechende Körperteil.
Buschwindröschen sind aber nicht gelb, @Rati
Ich habe nicht Busch… geschrieben.
Gelbes Windröschen (Anemone ranunculoides)
„Für das Gelbe Windröschen sind oder waren, zum Teil nur regional, auch die Bezeichnungen Geelögschen (Schlesien), Goldhähnchen (Pommern, Schlesien).. gebräuchlich“ (Wikipedia). Das würde zwar zum „Gockel“ passen, aber die Blätter – so es sich hier um eine halbwegs realistische Darstellung handelt – sehen doch anders aus.