Die schwarzen Früchte des Jupiter

15. Juni 2020 | Bild der Woche | 4 Kommentare

Die grünen Früchte hatte Maria die letzten Tage vor Johanni, wie es eine alte Tradition vorschreibt, vom Baum ihrer Familie geerntet. Der Baum war schon recht alt, trug aber immer noch reichlich. Opa Giovanni soll ihn noch selbst gepflanzt haben, als er ein junger Mann gewesen ist. Nun saß Maria am Küchentisch, vor sich eine riesengroße Schüssel mit grünen Früchten. Die Feriengäste aus Deutschland hatten etwas verwundert geschaut und sie gefragt, warum sie denn jetzt schon ernte, die seien doch gar nicht reif. Doch Maria lächelte und tat, als verstünde sie nicht. Maria stach jedes der Früchte einzeln mit einer spitzen Gabel mehrfach an. Als die zeitraubende Arbeit beendet war, kamen sie in mehrere große Einmachgläser, und Maria gab Wasser hinzu, bis alle bedeckt waren. „Oma hatte immer auch noch Asche hinzu gegeben, aber es geht auch ohne, dann dauert es eben länger“. Ohnehin: Zeit würde sie sich nehmen müssen. Maria beobachte, wie das Wasser sich langsam bräunlich verfärbte, und auch ihre Fingerspitzen wurden langsam braun. „Die Leute werden es für Nikotinflecken halten“, grinste die Nichtraucherin in sich hinein. „Jetzt darf ich nicht vergessen, täglich das Wasser wechseln, sonst vergammelt das Zeug“.

Nach den vierzehn Tagen, also eine Woche nach Johannis, wo man die Früchte nicht mehr ernten kann, kommt der nächste Arbeitsgang. Mittlerweile sind sie vollkommen schwarz geworden. Das Wasser wird ein letztes Mal gewechselt, dann wird aufgekocht, und wieder abgegossen. In einem großen Topf wird dann aus einem weißen Kristallpulver eine wässrige, konzentrierte Lösung gemacht, die man aufkochen und wieder erkalten lässt. Die ausgelaugten Früchte werden darin dann eingelegt, gerne gibt man noch Gewürze und etwas Zitronensaft hinzu, und abermals heißt es: warten und warten….

Marie hatte einmal, da war sie noch ein Kind, von den grünen Früchtchen gekostet, als sie noch nicht die reinigende Auslauge-Prozedur durchgemacht hatten. Sie erinnert sich noch heute mit Schaudern an den ätzenden, gallebitteren Geschmack. Die Art, wie Maria die Früchte einlegt, ist in Deutschland weithin unbekannt, mit Ausnahmen, entsprechende Rezepte sind noch aus der Pfalz überliefert.  Bei uns isst man sie eher im Herbst und Winter, und zwar in einer vollkommen anderen Art uns Weise. Die Maria übrigens auch durchaus bekannt ist.

So weit zu Marias Küchengeschichte. Unseren Lesern müssen wir vielleicht noch ein paar Zusatzinformationen geben. Der Baum, um den es geht, stammt aus dem Mittelmeerraum, schon in der Antike wurde er hoch geschätzt. Der Baum war dem Götterchef Jupiter zugeordnet, und aus den Samen presste man ein recht schmackhaftes Öl, das auch heute noch in der Küche sehr beliebt ist.  Das Öl schätzten auch Künstler seit der Antike: als Bindemittel für ihre Farben, es gehört nämlich zu den so genannten „trocknenden Ölen“.

Der Baum liefert übrigens eines der teuersten Hölzer Europas, man verwendet es für besonders edle Möbelstücke.

Und nun, liebe Leser, beginnt die Fragerunde:

  • Um welchen Baum handelt es sich ?
  • Warum müssen die Früchte gewässert werden?
  • Warum erntet Maria sie nicht ein paar Wochen später?
  •  Das weiße Kristallpulver ist genau was?
  • Und warum wurden Marias Finger braun?

Und sputet Euch mit der Lösung, denn St. Johannis ist bald….

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Heilsame Hohlköpfe“): Matricaria Chamomilla L., echte Kamille

Unser User „Rati“ hat wahrscheinlich nicht geraten, sondern recherchiert oder er wusste gleich Bescheid. Und in Chemie hat er auch aufgepasst: „echte Kamille (Matricaria chamomilla) Chamazulen – Es handelt sich um Kohlenstoffringsysteme mit konjugierten Doppelbindungen -> Aromaten -> PAK.“

Richtig: in der Kamille sind Vorstufen einer farbigen Verbindung enthalten, des Chamazulen. Dies ist die substituierte Variante des Grundkörpers Azulen, der nach der „Hückel-Regel“ einen Aromaten darstellt, obwohl er sehr „asymetrisch“ und mit Ringspannung aufgebaut ist. Das führt dazu, dass das aromatische System stark polarisiert ist, die Folge: es kann durch sichtbares Licht angeregt werden, und so erscheint die Verbindung blau (das Wort Azulen“ stamm aus dem Wort „azur“ für blau). Die Verbindung ist gar nicht in der Pflanze selbst enthalten, entsteht aber aus einer Vorstufe (dem Matricin), die in der Blüte enthalten sind, beim starken Erhitzen oder eben beim Destillieren des Öls. Der Wirkstoff der Kamille, die nachweislich entzündungshemmend, nervenberuhigend und leicht antibakteriell wirken, sind das (–)-α-Bisabolol, ein Sequiterpenalkohol.

Genug Chemie. Wo finden wir Kamille zur Zeit, wenn nicht im Teebeutel aus der Apotheke? Jetzt ist Zeit, Kamille zu sammeln. Am besten orientiert man sich an den blühenden Klatschmohn-Brachflächen. Wo der wächst, wächst meistens auch die nährstoffmeidende echte Kamille. Dann muss man einen Test durchführen: ist es auch die echte Kamille? Von anderen, wirkungslosen oder gar allergieauslösenden Arten unterscheidet sich die echte durch den Blütenkopf: der ist bei der echten Kamille hohl. Und auch der „Duft“,, oder sagen wir besser „Geruch“, ist bei der echten Kamille charakteristisch. Früher wie heute sammeln erfahren Kräuersammler die Kamillenblüten nicht einezeln mit der Hand: sie haben dafür „Kamillenkämme“, mit denen sie über die blühende Pflanze fahren und die Köpfe einsammeln. Man lässt die Kamille zügig an einem gut belüfteten, aber nicht sonnenbeschienenem Ort im Hause trocknen, ws etwa 14 Tage dauert.  Die Kamille ist übrigens die in Apotheken und Drogerien bis heute meistverkaufte Teeheilpflanze.

Der Herkunft des Pflanzennamens „Kamille“ ist unbekannt. Manche Volksetymologen leiten das vom angeblich griechischen Namen „Chamomila“ her, was „niedrige Äpfel bedeutet. Aber mit Äpfeln hat Kamille nichts zu tun.

(H.W.)

 

 

 

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