Dichter im Nebel: gegrüßet seist Du, Jungfrau der Jungfrauen….

30. Oktober 2017 | Bild der Woche | 6 Kommentare

 

Im Klostergarten der Ordo Santas Vitales

Ein besonders guter Dichter war Mönch Eusebius nicht, doch seine Brüder lasen gelegentlich seine Gebete in der Abendmessse, wenn die Strahlen der Herbstsonne verblassten und nur noch ein letztes Mal orangerote Flecken über durch das kleine Westfenster der Kapelle auf die Ikonenwand zauberten, um dann endgültig zu verschwinden. Eusebius war vor Sonnenuntergang noch einmal durch den Klostergarten geschlichen, gedankenverloren, sinnierte über das unübersehbare Vergehen der Natur nach, und es fiel ihm ein, dass er doch den Abend noch weiter an dem verunglückten Anfang seiner Hymne an die Mutter Gottes feilen wollte, am liebsten würde er ganz neu anfangen, irgendwie hatte er sich aber nicht einmal durchringen können, welche Worte er finden sollte, gelehrt sollte es klingen, dabei  verfluchte er  innerlich seine mangelnden Kenntnisse der vielen Sprachen, die doch den gebildeten Menschen so leicht daherkamen. Zum Dormitorium hinauf, wo auch er schon vor drei Jahrzehnte seine Zelle bezogen hatte, führten wenige Stufen durch den Garten, der Blick des Mönches fiel auf die verwitterten Reste einer Säule, wohl Reste des alten Heidentempels, der vor unerdenklichen Zeiten da stand, bevor man dessen Reste niederriß, und an seiner Stelle das Kloster der Ordo Vitales errichtete, wo Eusebius  mit seinen Brüdern gegen die Mächte der Finsternis beteten. Das verwitterte Kapitell der Säule zeigte, unklar zu erkennen, einen Mädchenkopf, der aus Blätterwerk hervorlugte, da, wo sich zwei Rankenschnecken trafen. Die Säule war vollkommen überwachsen, aber von lebendigen Ranken, und dieses Zusammenspiel rührte Eusebius an.
Er wollte es also noch einmal versuchen, in seine Zelle zurückgekehrt, schob er die funzelnde Messinglampe etwas zurecht, die schummriges, kaum ausreichendes Licht auf das Stück Pergament warf, das der Mönch nun bearbeitete. Mit feinem Schmirgel und einem Klötzchen schliff er das zuvor Geschriebene herunter, nur das in klaren Farben vor schon langer zeit entstanden, umgebene Rahmenwerk beließ er, grüne und rote Ranken,  zwischen denen bunte Vögel an blauen Beeren pickten. Das gefiel ihm sehr, denn es schien nun noch mehr zu dem zu passen, was er jetzt niederschreiben wollte. „Gelobt seist Du, Jungfrau aller Jungfrauen, die du dein grünes Laub einem Mantel gleich… “ schrieb er, hielt aber inne. “ Das geht nicht. Verde, vergine, virgo… nein, ich schreibe >die du in diesen Tagen Dein erötetes Gewand ausbreitest.<“ Eusebius griff zur Flasche, „rote Mädchentraube“, goss sich ein. „Damit geht es besser „, redete er sich gönnerhaft zu, und fuhr fort: “ scheinst wie ein guter Wein, der uns Menchenkinder wärmt und erfreut,   du bist wie eine leuchtende Ampel (er schrieb tatsächlich „Ampel opsis“ –  das war es, worüber seine Mitbrüder immer so herzlich lachen konnten – des Eusebius Sprachkenntnisse waren katastrophal, aber er versuchte es immer wieder).
„Deine Blätter sind sind der heilige Geist, Vater und Sohn, sie sind drei, aber doch eins…“

Der Wein entfaltete nun nun wirklich eine wilde  Wirkung,  immer wirrer wurden die Zeilen des schreibenden Mönches: „so ewig dauern Deine Blätter wie der Efeu des Parthenon…“

Du heilige Dreifaltigkeit!  Das verunglückte Werk ist natürlich heute nicht mehr erhalten, wahrscheinlich wurde es nie fertig, und abermals bei nüchterner Betrachtung Opfer des Schmirgels.

Wir fragen uns aber:

Welche Pflanze hat unseren Mönch inspiriert?

Im Text kommen mehrfach Anspielungen auf den Namen der Pflanze vor, auch ihre wissenschaftlichen, derer sie in der Vergangenheit schon einige trug. Welche?

Wir nehmen einmal an, dass das Kloster mit dem schreibenden Mönch irgendwo in Europa stand. Wann kann sich die Geschichte frühestens zugetragen haben?

(H.)

Auflösung der letzten Pflanzengeschichte („Lustig, lustig, ihr lieben Brüder“)

Was bei Georg wirklich auf dem Tisch stand

Nach dem die ersten Kommentare recht verhalten begannen, wussten am Ende dann doch mehrere Rätselleute mit Tonic und Sauerkraut Bescheid. Lassen wir also den Dschinn aus der Flasche. Mit Irland verbindet man schon recht schnell den Whiskey und auch ein Bailey’s hat seine Liebhaber/innen – irgendein pflanzlich verursachter Geschmack findet sich dort jeweils, aber zu den oben schon erwähnten Zaunpfählen und den gestellten Fragen passt Wacholder, Wacholder, Wacholder.

Unser Dschinn war/ist also ein Gin – hätte aber auch ein „Verwandter“ sein können (z. B. Crambambuli -da fällt Wolli sicher auch was dazu ein). Zusammen mit dem Tonic-Wasser soll der Gin sich auch Verdienste in der Malariaprophylaxe erworben haben. Warum sich eine in Cottbus in den 1970-er Jahren gegründete Gruppe Wacholder nannte, ist dem Autor nicht bekannt – da sie nach eigenen Worten mit Saufliedern begonnen haben, war vielleicht auch etwas Gin im Spiel, vielleicht war es aber auch Ausdruck einer gewollten Widerstandskraft gegen diverse Widrigkeiten. Immerhin brachten sie es auf zwei „eigene“ LPs bei Amiga, mehrere Liederhefte, und tourten auch später mit nicht gerade anschmiegsamem Folk erfolgreich durch die Lande.

Gemeiner Wacholder, Juniperus communis mit reichen Früchten („Wacholderbeeren“, eigentlich Zapfen)

Zur Systematik lässt sich sagen, dass es sich nach Strasburger und Schmeil-Fitschen um (eine) echte Pflanze/n handelt. In der Familie der Zypressengewächse gibt es die Gattung Wacholder und dort findet sich dann als wichtige Art der Gemeine Wacholder, der gemeinhin die Wacholderbeeren liefert. Und da Hei-Wu bereits mit dem Zapfen gewinkt hat, sei angemerkt, dass die „Beere“ nach der reinen biologischen Lehre ein solcher ist, wenn es von der Anschauung her auch nicht so scheinen mag. Auf unserem Rätselfoto war allerdings ein Kriechender Wacholder in unphysiologischer Ausrichtung zu sehen.

(F.)

Panorama über thessalischer LAndschaft, vom Ossa-Gebirge aufgenommen. In einer Höhe von über tausend Metern wächst der Strauch mit seinen aromatischen Beeren auf dem argen Boden gut. Es ist einer der wenigen großen Gewächse, den die hier oben äsenden Ziegen stehen lassen. Die Zweige sind ihnen zu stachelig.

 

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