Pflanze der Woche,5.-11. Mai 2025
Es war eine jener Dämmerstunden, in denen der Auenwald sich von seinem Tagewerk zu lösen scheint. Das Blau der sich neigenden Nacht legte sich wie ein weiches Tuch über das moosige Erdreich, und nur hier und da stahlen sich warmgelbe Blüten hervor, als wollten sie den Abschied des Tages aufhalten.Nixi und Heino gingen schweigend den schmalen Pfad entlang. Über ihnen flüsterte das Laub der Eschenahorne und Pappeln. Zu ihren Füßen spannte sich ein Teppich samtiger, eiförmiger, teils herzförmiger Blätter, fein gesägt, als habe ein träumerischer Zeichner sie mit zarter Feder umrissen.
Nixi blieb stehen und beugte sich vor. „Fühl’ den Stängel“, sagte sie leise. „Vierkantig und fein behaart – ein sicheres Merkmal der Lippenblütler. Und sieh, wie in den blattnahen Knoten dichte Ähren sitzen, voll zierlicher,gelber zweilippiger Blüten: die Oberlippe schützt, die Unterlippe lädt ein wie ein kleines Podest.“
Heino hob sacht ein Blatt an, ließ das Licht der blauen Stunde darüber gleiten. „Und siehst du die silbrigen Zeichnungen? Fast wie flüchtige Adern aus Mondlicht, die im Dämmer schimmern.“
Nixi nickte. „Genau. Diese nesselartigen Blätter tragen ein zartes Muster aus hellem Silber – als Erinnerung an den Tau, der sich hier frühmorgens niederlässt.“
Ringsum leuchteten die gelben Blüten wie kleine Lampen auf dunklem Waldboden. Sie standen in dichten Gruppen, zwischen Wurzeln und Moos, und schienen das goldene Nachleuchten des Tages aufzufangen. In ihrem warmen Schein spiegelte sich das Licht des Horizonts wider – jenes letzte, orangegelbe Aufglimmen der untergegangenen Sonne, das sich in der Tiefe des Waldes verirrte und in den Blüten ein neues Zuhause fand. Über all dem spannte sich das Blau der einbrechenden Nacht – ein Dunkel, das die Gelbtöne nicht verschlang, sondern umso leuchtender hervortreten ließ.
Heinos Blick verlor sich einen Augenblick in jenem Schimmer. In seinem Innern regte sich leise Sehnsucht, doch er schwieg, hielt das Gefühl zurück wie einen kostbaren Schatz, der noch zu jung war für die Welt. „Rosa Lippenblüten“, dachte er, „würden mehr versprechen als Gelb. Aber dieses zarte Gold im silbernen Kleid…“
Die Abendsonne war längst hinter dem Horizont verschwunden, doch ein Rest von Glanz lag noch auf den Baumwipfeln. Das orangegelbe Leuchten, das durch den Wald drang, war im Begriff, sich ohne Hast und ohne sichtbaren Übergang in das tiefe Blau der Nacht aufzulösen. Heino wollte etwas sagen – über Farben, über Übergänge, vielleicht auch über sich selbst. Doch Nixi kam ihm zuvor:
„Sag mal – du weißt das vielleicht: Wenn sich dieses Gelb sanft mit dem Blau mischt – müsste da nicht irgendwo auch Grün entstehen? Aber ich sehe kein Grün.“
Heino zuckte die Schultern. „Frag ich mich auch manchmal. Damals im Kunstunterricht – ein Tropfen Blau im Gelb, und alles wurde eine grüne Katastrophe. Aber am Himmel bleibt’s beim Spiel mit Licht und Ahnung.“
Sie gingen weiter, und kein weiteres Wort fiel.
Diese Pflanze, die sich im Schatten großer Bäume ebenso wohlfühlt wie am Rande schattiger Wege, breitet sich oft in alten Auwäldern und auf feuchten Standorten aus. Ihr unterirdisches Ausläufersystem erlaubt ihr, ganze Flächen zu besiedeln und den Waldboden mit goldenen Tupfen zu bedecken. In ökologischer Hinsicht ist sie von doppelter Bedeutung: Sie spendet frühem fliegendem Volk – Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen – wichtigen Nektar. Sie ist eine Gärtnerin des Waldes, mit leichter Hand, aber großer Wirkung.
„Sie war liebenswürdig, und Er liebte Sie; Er aber war nicht liebenswürdig, und Sie liebte Ihn nicht.“
(Altes Stück) – Doch aus welchem Werk Heinrich Heines stammt dieses Zitat?
Fragen an unsere Leserinnen und Leser:
– Um welche Pflanze könnte es sich handeln?
– Warum sind ihre Blätter manchmal mit silbernen Flecken überzogen?
– Und weshalb geht das Orangegelb des Sonnenuntergangs so nahtlos in das Blau der Nacht über – ohne einen grünlichen Zwischenton, obwohl Gelb und Blau doch eigentlich Grün ergeben? (Der Autor dieser Zeilen weiß es übrigens nicht, rätselt aber schon seit seiner Jugend darüber)
– Wie wird es mit Heino und Nixi weitergehen? (Der Autor weiß es nicht, hier sollen unsere Leser entscheiden).
Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Romantisch-botanische Bildbetrachtung“): Cymbalaria muralis.
Ganz richtig, NhuDeng, wir suchten das Zimbelkraut, das sich hinter der Dame auf der Mauer schlängelt:



Botanische Einordnung:
Familie Wegerichgewächse (Plantaginaceae), Gattung Cymbalaria.
Beschreibung:
Kleine, kriechende Pflanze mit rundlich gelappten Blättern und zarten violett-gelben Blüten. Wächst an Mauern und Felsen, Blütezeit von April bis Oktober.
Geschichte:
Erstmals erwähnt in den Kräuterbüchern von Lonicer (1582) und Matthiolus (1586) als Heilpflanze. 1644 in den Niederlanden nachgewiesen – vermutlich mit italienischen Skulpturen nach Mitteleuropa gelangt, im Rahmen eines Kunsttransports.
Das Gemälde:
Auf dem Gemälde Flora von Francesco Melzi (um 1520) ist Cymbalaria muralis erstmals in der Kunst dargestellt – die Pflanze windet sich um den Arm der Frühlingsgöttin. Das Bild kam 1688 mit weiteren Kunstwerken nach Amsterdam und befindet sich heute in der Eremitage St. Petersburg.

Verbreitung:
Ursprünglich aus dem Mittelmeerraum; heute in ganz Europa, Nordamerika und Australien verbreitet – vor allem an Mauern, in Städten, an alten Bauwerken.
Verwendung:
Zierpflanze in Steingärten, Mauerbegrünung, pflegeleicht, winterhart.
Name & Bedeutung:
„Cymbalaria“ leitet sich von cymbalum (lat. „Zimbel“) ab – die Blätter erinnern an kleine Schellen. Zimbeln sind Schlaginstrumente und Namensverwandte des „Cembalo“ (clavicymbalum = Tastenzimbel).
Weitere „Pflanzen der Woche“ findet Ihr in unserem Archiv – alle, seit 2016
One comment on “Dämmerung im Auenwald”
Gesucht wird vermutlich die Silberblättrige Goldnessel. Ich kenne sie gut aus meinem Garten.
Erklärungsversuch mit KI
„Die silbernen Flecken auf den Blättern der Goldnessel (Lamium galeobdolon) sind nicht bei allen Goldnessel-Arten zu sehen, sondern eher bei der Silberblättrigen Taubnessel (Lamium argentatum) oder in geringerem Ausmaß bei anderen Unterarten. Diese Flecken entstehen durch eine Lichtreflexion an einer Luftschicht zwischen Oberhaut und Gewebe.