Botanische Hieroglyphen

8. März 2021 | Bild der Woche | 4 Kommentare

 

Heinos Arbeitsplatz in der Pflanzen-Redaktion

Schon seit einigen Tagen sah man den jungen Mitarbeiter der Pflanzenredaktion in seinem Büro mit Papier, Klebstoff und einer Nagelschere beschäftigt. Heino schnippelte Pflanzenbilder aus dem Repro eines betagten botanischen Werkes aus, setzte sie wieder zusammen, kritzelte merkwürdige Zeichen daran. Es sollte etwas Rätselhaftes werden, die „Pflanze der Woche“ für den begonnenen März. Das vollendete Klebewerk würde er dann zu seiner Freundin Elfriede bringen, die eine Etage weiter oben als Redaktionsassistentin und „Mädchen für alles“ arbeitete. Die dann das Gekrikel und Gefummel in eine druckbare Form umsetzen sollte. Mit Rubbelbuchstaben und alten Reprokameras, die – wir schreiben mittlerweile das Jahr 2021 – von der übrigen Redaktion als ziemlich „oldschool“ belächelt wurden. Schon munkelte man hinter vorgehaltener Hand – jetzt, wenn der „Neue“ sich hier durchsetzte, würde der dem Treiben ein Ende bereiten. Der „Neue“, das war Abteilungsleiter „August“ Willhelm Eichler, der, von der Direktion mit vielen Vorschusslorbeeren versehen, vor einigen Tagen seinen Dienst angetreten hatte.

Gerade wo Heino gerade seine Schnipselsammlung einsammeln und zu Elfriede rübertragen wollte, platzte genau dieser Dr. Eichler in Büro. Der war gerade dabei, seine Antrittsrunde durchzuziehen, von Dienstzimmer zu Dienstzimmer „Für jeden Mitarbeiter 10 Minuten, dann bin ich hier nach dem Vormittag durch“, hatte der sich ausgerechnet. Eichler liebte Systematik, und noch mehr: Ordnung.

Er liebte Punktsymmetrien, und die Uhr hatte es ihm besonders angetan. Damit ließen sich Tage klassifizieren, fand er. Der Sonntag war ihm wegen ein sehr urwüchsiger Tag, ein bequemer Tag. Den konnte man durch drei teilen, das bedeutete, dass die Stunde in Einheiten von zwanzig Minuten zerfiel, und drehte man das innere Ziffernblatt um weitere 60 Grad, erhielt er sechs Zeiteinheiten von je zehn Minuten. Eichler nannte den Montag den „Monokotyledonen-Tag“, und für ihn stand dieser Tag am Beginn der Schöpfung der Blütenpflanzen. Muss man das verstehen? Normalsterbliche sicher nicht. Auch nicht, dass ihm der heutige „Rosen-Montag“ überhaupt Unbehagen bereitete. Seine Mutter soll irgendwann berichtet haben, der Junge habe sich auf jedem Geburtstag schreiend auf dem Boden gewälzt, als seine Torte in fünf gerechte Stücke geschnitten werden sollte. Da habe sie sie zum ersten Male bemerkt, das Kind sei etwas besonderes.

Herr Eichler versucht verzweifelt, unserem Jung-Redakteur etwas zu erklären.

Zurück in die Redaktion. Eichler fegt die losen Blattfetzen von Heinos Besucherstuhl, lässt sich nieder, fixiert sein Gegenüber, der lackblaue Anzug knistert.

„Hören Sie mal zu, Junger Mann. Über das, was Sie hier machen, sind wir seit bald 150 Jahren hinaus, beginnt der neue Abteilungsleiter ganz locker das Gespräch. Derweil er Heino eine ziemlich dicke, alte Schwarte aus seinem Aktenkoffer über den Schreibtisch schob. „Lesen Sie das, junger Mann !“ 

„Es ist eine feine Idee, Blüten zu zerzupfen, wie Sie das hier machen, und dann irgendwie zusammen zu sortieren. Aber es reicht nicht, die Blätter zu zählen. So haben alle mal angefangen. Da müssen Sie aber auf mehr achten. Symmetrie zum Beispiel. So kommt System rein. Aber das können Sie alles nachlesen. Das, was Sie hier treiben, ist Pseudowissenschaft“

„Was sollen denn dagegen hier Ihre Zahlen und Kürzel bedeuten, Herr Heino ?“

„Das sollen unsere Leser doch eigenverantwortlich herausfinden“, entgegnete Heino etwas kleinlaut „Es ist keine richtige Wissenschaft“. Die Unterhaltung zog sich noch eine Weile hin, Heino gewann langsam Respekt vor dem verschrobenen Blumen-Mathematiker, und man einigte sich darauf, dass Heinos Blatt – natürlich einen sauber Satzspiegel vorausgesetzt – in den Druck gehen könnte, denn rätselhaft, wenn auch absonderlich, ist es ja.  Unter der Bedingung: Der Direktor drückt höchstpersönlich seinen Stempel darauf, auch wenn Heinos Blätter ziemlich verstaubt sind.

Heino und Elfriedes Bild, mit dem Stempel des Direktors drauf. (Zum Vergrößern draufklicken).

So geschah es dann – und unsere Leser stehen nun vor einem Berg von Fragen-Schnipseln:

– Welche Pflanze hat Heino zerschnippelt?  (Bitte artgenaue Bestimmung, Heino hat sie in Elfriedes Grafik codiert) ?

– Wer ist dieser seltsame Abteilungsleiter?

– Und um welch merkwürdige Uhrzeiger-Symmetrien geht es hier?

(HW)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche (Schmarotzer in Dreierbeziehung): Vogelnest-Orchidee (Neottia nidus-avis)

Gesucht war die Bräunliche Nestwurz, ein fast blattgrünloser, durch und durch gelb-brauner Schmarotzer. Sie bezieht ihre Nahrung von Pilzen, die abgestorbenes Pflanzenmaterial zersetzen. In den Blüten der Bräunlichen Nestwurz ist Nektar, obwohl die Blüten nicht verlockend aussehen. Die Blüten können sich auch selbst bestäuben. Ihre Wurzeln sind vogelnestartig verflochten (Name!)

(Hans Ferenz)

 

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