Auferstehung aus der Wurzel

30. April 2018 | Bild der Woche | 6 Kommentare

Gesucht: wer oder was verbirgt sich unter diesem kleinen grünen Hoffnungsschimmer?

Lächelnd betrachtete Georg Bauer die grüne Spitze, die sich aus dem alten „Pflanzenrest“ vorkämpfen wollte. Die (kleine) Mühe hatte sich also gelohnt. Beim Auseinanderpflanzen der sich über die Jahre entwickelten Pflanzengruppe war ein trockener „Strunk“ übrig geblieben, der aber noch erstaunlich kräftige Wurzeln hatte. Georg hatte ihn deshalb auch wieder eingepflanzt und nun schien er tatsächlich auszuschlagen.

Er geriet ins Nachdenken … Gekauft hatte er sich die Ausgangspflanze wohl vor 20 Jahren, weil er ein Gewächs für eine dunkle Ecke gesucht hatte, die er dann im Vor-LED-Zeitalter mit Spiegeln ausgekleidet hatte. Aber auch wenn die Pflanze die direkte Sonne nicht mag – zu dunkel war dann doch nicht gut. So begleitete sie ihn schließlich einige Jahre auf der Arbeit in seinem Büro. Seit er sie mit nach Hause genommen hatte, litt sie zumindest im Winter unter der trockenen „Heizungsluft“. Inzwischen las man auch immer mal, dass sie ein guter Reiniger für die Stubenluft sei. Die Idee gefiel Georg, er hatte sich aber noch nicht die Mühe gemacht zu prüfen, ob es dafür auch ernsthafte Untersuchungen gab. Als er sich letztens zu den Standortbedingungen der Pflanze vergewissern wollte, stieß er auch auf einen Link, der die Pflanze mit Harmonie und Frieden in Verbindung brachte. Und ungeprüft sei auch verraten, dass sie erst seit 1870 in Europa Wurzeln schlagen soll.

Wir würden das „sie“ für eine ganze Gattung nehmen und beschränken uns hier auf die Frage nach dieser.

(F.H.)

Auflösung der letzten Wochenpflanze ( Husteblume, Pusteblume, Tussiblume):Huflattich, Tussilago farfara

Huflattich blühend und fruchtend. Schutthaufen auf der Deichbaustelle Peißnitz

Elfriede hat bei des Rätsels Lösung ganze Arbeit geleistet, und uns die  komplette Lösung auf den Tisch geworfen. Huflattich heißt diese Art von „Pusteblume“, die zwar mit dem Löwenzahn, der gemeinhin „Pustesamenbälle“ ausbildet, darüber verwandt ist, dass er auch ein Korbblüter ist, aber sonst mit ihm nicht näher gemein ist.  Huflattich gehört zu den Frühblühern, seine Blütenstände erscheinen oft schon im Februar. Dass wir ihn im April erst angetroffen haben, liegt an der „Russenpeitsche“, die den vergangene Winter recht lang werden ließ. Huflattich verwendet einen Trick, um seinen möglichst frühen Nektarauftritt im Jahr zu meistern. Über das Jahr speichert die Staude Nährstoffe in ihren tiefen Pfahlwurzeln. Mit der gesammelten Energie treibt sie im zeitigen Frühjahr – noch lange vor den Blättern – die Blüten an langen Schäften aus, aus denen sich dann die Bälle mit den Flugamen bilden. Die kleinen Fallschirmchen werden vom Wind fortgetrieben und so  kilometerweit verbreitet. Huflattich ist eine Pionierpflanze, er ist ein Erstbesiedler von Schuttplätzen, Ödland und anderweitig „gestörten“ Standorten. Aber was ist mit den Blättern? die schiebt er erst nach, wenn die Tage lang sind und die Sonne hoch am Himmel steht: Erst Ende Mai erscheinen die handtellergroßen, hufförmigen, gezähnten  Blätter, und sammeln die Energie für das nächste Lebensjahr ein. Um derart Energie in kurzer Zeit nachtanken zu können, ist er auf sommersonnige Standorte angewiesen.

Der Gattungsname „Tussilago“ ist alt, er wird schon vom römischen Enzyklopädisten Plinius verwendet, und setzt sich zusammen aus „Tussis“ für Husten , (l) ago für vertreiben und bezieht sich darauf, dass man schon in der der Antike die hustenlindernde Wirkung der Heilpflanze kannte. Ursache dafür sind unter anderem Schleimstoffe, die in Blättern und Blüten enthalten sind. „Farfara“ (auch schon bei Plinius belegt), bezieht sich auf die lateinische Bezeichnung „Farina“ für Mehl“ und scheint ein Hinweis auf die wie bemehlt aussehende, silbrig  schimmernde Unterseite der Blätter zu sein. Der seidige Effekt der Blattunterseite rührt von feinen Wollhärchen her. Sie verleihen dem Blatt einen angenehm weiche Haptik – weswegen das Blatt auch als „des Wanderers Klopapier“ bezeichnet wird –  und auch schon in vorgeschichtlichen Latrinen gefunden wurde.

Huflattichblätter. Ober- und Unterseite. (Wikipedia)

Pyrrolizidinalkaloide bringen alte Heilpflanze in Verruf

1994 wurde Huflattich zur „Heilpflanze des Jahres“ gekürt. Wenige Jahre zuvor war er jedoch in Verruf geraten. Biochemiker fanden in Huflattich – wie auch in vielen anderen Pflanzen, die lange Zeit schon vom Menschen als Gewürz- und Teepflanzen verzehrt wurden, die unaussprechlichen Pyrrolizidinalkaloide (PA genannt). Das sind Substanzen, die für die zumindest im Tierversuch mutagene und krebserzeugende sowie leberschädigende Wirkung nachgewiesen wurden. Das Ende vieler Naturheilmittel schien zu drohen, als der „SPIEGEL“ mit dem Titel „Giftige Arznei -Verbot von Naturheilmitteln“ 1988 erschien. “ Das Bundesgesundheitsamt hat 2500 pflanzlichen Heilmitteln „vorläufig“ die Zulassung entzogen – Anfang vom Ende der Naturheilkunde?“ schrieb das Blatt. Heilpraktiker vermuteten sogar einen „Komplott der Pharma-Lobby“. Ganz so schlimm wurde es dann nicht: zugelassen sind Huflattichblätter aus speziellem Anbau besonders Alkaloidarm gezüchteter Sorten. Die damalige Gattin des Bundespräsidenten, Veronika Carstens, hatte sich damals mit an die Spitze der Heilpflanzenfront gestellt:  „Von PA hat bisher noch keiner was gehört“, wurde die studierte Medizinerin zitiert, und „wenn Huflattich verboten wird, dann pflanze ich Huflattich in meinem Garten.“

(HW)

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