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Verhandlungen über die Große Koalition



Verhandlungen über die Große Koalition. Die Deutsche Volkspartei grundsätzlich bereit, die Sozialdemokratie noch ablehnend. Zwischenstadium.

(Heute vor 99 Jahren: Hallische Nachrichten, 8. Dezember 1925.) Berlin, 8. Dezember. Die Beratungen der Fraktionsführer mit dem Reichspräsidenten haben nahezu den ganzen gestrigen Tag ausgefüllt. Es galt, die beiden Möglichkeiten der Regierungsbildung – Minderheitskabinett oder Große Koalition – zu sondieren. Hindenburg ließ sich, nach allem, was man über den Verlauf der einzelnen Gespräche hört, von dem Gedanken leiten, dass nach dem Ausscheiden der Deutschnationalen die Bildung des neuen Kabinetts auf möglichst breiter Basis versucht werden müsse. In diesem Sinne machte er sowohl bei der Deutschen Volkspartei als auch bei den Sozialdemokraten seinen Einfluss geltend, mit dem Teilerfolg zunächst, dass die Volkspartei dem Reichspräsidenten ihre prinzipielle Bereitschaft zu einer Aussprache mit den anderen Parteien über die Große Koalition erklärte.

Feier zum 3. Jahrestag der Verfassung im Reichstag 11 August 1922. (Original 1922, nachcoloriert)

Die letzte Entscheidung behielten die Herren Scholz und Curtius, was ja selbstverständlich ist, der Fraktion vor, die am Mittwoch zusammentritt und die Voraussetzungen für ihre Beteiligung an einem Kabinett der Großen Koalition fixieren wird. Weit zurückhaltender verhält sich die Sozialdemokratie. Auch sie verweist darauf, dass ihrer Fraktion, die sich ebenfalls am Mittwoch versammelt, das letzte Wort zustünde, macht aber gleichzeitig, wie wir dem „Vorwärts“ entnehmen, kein Hehl daraus, dass in der Fraktion gegen die Bildung einer Regierung der Großen Koalition nach den Erfahrungen, die man im Herbst 1923 und seitdem gemacht habe, „sehr starke Bedenken“ bestehen. Bisher habe der Vorstand der Deutschen Volkspartei in den Vorbesprechungen nicht zu erkennen gegeben, dass er überhaupt die Große Koalition wolle.

Der Reichspräsident ersuchte schließlich um einen schriftlichen Bescheid, der ihm zugesagt wurde. Den Vertretern des Zentrums und der Demokraten legte der Reichspräsident nahe, ihre vermittelnde Tätigkeit ungeachtet des bisherigen Misserfolges fortzusetzen. Die Unterhändler beider Parteien erklärten sich gern bereit, weiter mit den Flügelfraktionen Fühlung zu unterhalten. Sie setzten sich im Übrigen warm für den Gedanken der Großen Koalition ein. Die Herren Marx und Bell sollen außerdem, wie noch berichtet wird, zu verstehen gegeben haben, dass das Zentrum keinen Wert darauf lege, den nächsten Kanzler aus seinen Reihen zu stellen. Sie ließen durchblicken, dass von ihrer Seite gegen eine zweite Kanzlerschaft Luthers keine Einwendungen erhoben würden.

Die Vertreter der kleineren Parteien, also der Wirtschaftlichen Vereinigung und der Bayerischen Volkspartei, deuteten an, dass die Haltung ihrer Fraktionen sehr wesentlich von der Regelung der Personalfragen abhängen würde; auch sie haben ihre Entscheidung für Mittwoch in Aussicht gestellt. Auf diesem Stand sind die Dinge vorläufig geblieben. Es wird sich nun herausstellen müssen, ob die für die Große Koalition in Frage kommenden Parteien sich auf ein Wirtschaftsprogramm einigen können. Der Auftrag zur Regierungsbildung wird vom Reichspräsidenten wohl erst gegeben werden, wenn einige Klarheit über die Absichten der Fraktionen herrscht.

Hier und da nimmt man neuerdings an, dass Hindenburg zunächst nicht Luther mit der Kabinettsbildung betrauen wird. Mehr und mehr setzt sich die Auffassung durch, der wir hier von Anfang an Ausdruck gegeben haben, dass die schwersten Hemmungen für die Bildung der Großen Koalition bei der Sozialdemokratie liegen. Auch das „B…“ ist endlich zu dieser Erkenntnis gekommen. In ernsten Sätzen führt das Blatt heute der Sozialdemokratie zu Gemüte, dass diese bei einer Weigerung, in die Regierung zu gehen, die Verantwortung für alles Kommende indirekt mittrüge.

Natürlich bleiben derlei Argumentationen, wo man entschlossen ist, Parteivorteile als das höchste Gesetz zu betrachten, wirkungslos. Der „Vorwärts“ formuliert von Neuem das Gesetz, nach dem die Sozialdemokratie zu handeln entschlossen ist, wie folgt: „Die Sozialdemokratie kann sich an den Rettungsversuchen doch nur dann beteiligen, wenn die Rettungsmethoden, die man anwenden will, den Massen des arbeitenden Volkes nach ihrer Überzeugung wirklich Hilfe versprechen. Mit den Sozialdemokraten kann man den innerpolitischen Kurs nicht fortsetzen, den man bisher mit den Deutschnationalen zusammen verfolgt hat.“ Das ist Unsinn. Es handelt sich nicht um den Kurs, den man bisher mit den Deutschnationalen verfolgt hat, sondern lediglich darum, ob unsere devastierte Wirtschaft Experimente vertragen kann, wie sie in den Forderungen, die von Gewerkschaften und der Partei in den letzten Wochen vorgebracht wurden, niedergelegt sind (Quellentext Ende)

Historische Einordnung und Einschätzung:

Der Artikel beleuchtet die schwierigen Verhandlungen zur Bildung einer Großen Koalition, die politische Lager wie die Deutsche Volkspartei (DVP) und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) einbinden sollte. Der Kontext ist entscheidend:

  1. Politische Instabilität: Nach dem Ausscheiden der Deutschnationalen (DNVP) war das politische Zentrum unter Druck, eine breite und handlungsfähige Regierung zu formen. Der Reichspräsident, Paul von Hindenburg, setzte auf eine Große Koalition, die die politische Polarisierung verringern und Stabilität schaffen sollte.
  2. Soziale Spannungen und Wirtschaftskrise: Die wirtschaftlichen Probleme, verstärkt durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929, erhöhten den Druck auf die Parteien, ein tragfähiges Wirtschaftsprogramm zu entwickeln. Die SPD zeigte sich jedoch skeptisch gegenüber einer Beteiligung, da sie fürchtete, den Rückhalt in der Arbeiterschaft zu verlieren, sollte sie unpopuläre Maßnahmen mittragen.
  3. Ideologische Differenzen: Die DVP und die SPD standen für unterschiedliche wirtschafts- und sozialpolitische Ansätze. Die DVP vertrat liberale Wirtschaftsinteressen, während die SPD stärker die Forderungen der Gewerkschaften und der Arbeiterschaft einbrachte.
  4. Die Rolle Hindenburgs: Hindenburgs Einflussnahme zeigt seine ambivalente Position. Einerseits wollte er eine breite Regierung bilden, andererseits wurde seine spätere Rolle in der Aushöhlung der Demokratie bereits hier sichtbar, da er eher konservative Kräfte favorisierte.

Die Verhandlungen verdeutlichen, wie schwierig es war, in der polarisierten Weimarer Republik konsensfähige Regierungen zu bilden. Diese Schwierigkeiten trugen langfristig zur Instabilität der Republik bei und ebneten den Weg für das Scheitern der Demokratie in Deutschland.

Die Abkürzung „B.T.“ im Text steht wahrscheinlich für die „Berliner Tageblatt“, eine der einflussreichsten liberalen Tageszeitungen der Weimarer Republik. Das Berliner Tageblatt war bekannt für seinen investigativen Journalismus und seine kritische Haltung gegenüber den politischen Entwicklungen in der Republik. Es sprach oft Themen an, die von nationaler Bedeutung waren, und äußerte sich regelmäßig zur politischen Lage.

In diesem Kontext wird das „B.T.“ vermutlich zitiert, weil es ähnliche Schlüsse über die Verantwortung der Sozialdemokratie in Bezug auf die Regierungsbildung gezogen hat. Die Erwähnung zeigt, dass selbst eine prominente und politisch nicht sozialistische Zeitung zur Einschätzung gelangte, dass die Haltung der SPD eine entscheidende Rolle bei der Verzögerung der Bildung einer Großen Koalition spielte.

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