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Verantwortungskultur statt Überregulierung: Leopoldina fordert Entbürokratisierung des Wissenschaftssystems

Das deutsche Wissenschaftssystem leidet zunehmend unter wachsenden Regulierungen und Dokumentationspflichten. Diese Entwicklung schadet nicht nur der Wissenschaftsfreiheit, sondern führt auch zu einem immensen Verwaltungsaufwand in Forschungseinrichtungen. Ein aktuelles Diskussionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina setzt sich nun für eine umfassende Entbürokratisierung ein und plädiert für eine Rückbesinnung auf eine Verantwortungskultur.

Unter dem Titel „Mehr Freiheit – weniger Regulierung: Vorschläge für die Entbürokratisierung des Wissenschaftssystems“ schlagen die Autorinnen und Autoren konkrete Maßnahmen vor, um die Handlungsspielräume für die Forschung zu erweitern. Besonders im Fokus steht die Abschaffung unnötiger Berichts- und Kontrollpflichten, die in den vergangenen Jahren stetig zugenommen haben. Die Wissenschaftseinrichtungen sollen sich wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können, anstatt sich in administrativen Prozessen zu verlieren.

Ein zentraler Punkt des Diskussionspapiers ist die Feststellung, dass nicht nur externe, sondern auch interne Regulierungen die Autonomie der Wissenschaftseinrichtungen beeinträchtigen. Aus Angst vor Fehlern haben viele Einrichtungen eigene Abläufe derart stark reguliert, dass die Flexibilität und Eigenverantwortung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeschränkt wird. Die Autorinnen und Autoren fordern daher, dass Wissenschaftseinrichtungen ihre internen Vorgaben kritisch hinterfragen und freiwillige, nicht gesetzlich vorgeschriebene Berichtspflichten abschaffen.

Zudem kritisiert das Papier, dass von Wissenschaftseinrichtungen oft erwartet wird, sich zu gesellschaftlichen Themen wie Umweltweltschutz, Wirtschaftsförderung oder Diversität zu positionieren. Diese Anforderungen führen zu weiteren administrativen Auflagen und lenken von der eigentlichen Forschungsarbeit ab. Die Autorinnen und Autoren sprechen sich dafür aus, dass Wissenschaftseinrichtungen selbst entscheiden sollten, inwieweit sie solche Themen freiwillig berücksichtigen. Sie schlagen vor, dass gesellschaftliche Nebenzwecke nicht in Antrags- und Vergabeverfahren für Forschungsprojekte einfließen sollten.

Ein weiterer Schwerpunkt des Papiers ist die Finanzierung des Wissenschaftssystems. Obwohl das Wissenschaftsfreiheitsgesetz eine flexible Nutzung von Personal-, Sach- und Investitionsmitteln sowie die Übertragung von Haushaltsmitteln über mehrere Jahre hinweg ermöglicht, wird diese Autonomie bislang nur eingeschränkt gewährt. Die Leopoldina fordert daher, den Wissenschaftseinrichtungen mehr finanzielle Selbstbestimmung zu gewähren. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass der Wettbewerb um Drittmittel eine Hauptursache für die zunehmende Bürokratisierung ist. Um den ursprünglichen Zweck der Drittmittelförderung – nämlich die gezielte Unterstützung innovativer Forschungsvorhaben – wieder besser zu erfüllen, sollten die Verfahrensweisen und Finanzierungszyklen grundlegend überarbeitet werden.

Das Diskussionspapier „Mehr Freiheit – weniger Regulierung: Vorschläge für die Entbürokratisierung des Wissenschaftssystems“ wurde von der Leopoldina-Arbeitsgruppe „Verantwortungskultur statt Überregulierung“ erarbeitet. Beteiligt sind Expertinnen und Experten aus den Rechts-, Sozial- und Verwaltungswissenschaften sowie Vertreterinnen und Vertreter des deutschen Wissenschaftssystems. Die Arbeitsgruppe wird von Leopoldina-Präsident Prof. (ETHZ) Dr. Gerald Haug und Leopoldina-Vizepräsident Prof. Dr. Thomas Krieg geleitet.

Den Auftakt zur intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema bildete der Leopoldina-Workshop „Überregulierung der Wissenschaft“, der am 7. Juni 2024 stattfand. Hier diskutierten Vertreterinnen und Vertreter des Wissenschaftssystems und der Wissenschaftspolitik über Ursachen und Folgen der Überregulierung.

Als Nationale Akademie der Wissenschaften leistet die Leopoldina unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Themen. Sie vereint rund 1.700 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und setzt sich für eine evidenzbasierte Beratung der Politik ein. Mit ihrem aktuellen Diskussionspapier liefert sie wichtige Denkanstöße für eine nachhaltige Reform des deutschen Wissenschaftssystems.

Das vollständige Diskussionspapier ist auf der Website der Leopoldina abrufbar: www.leopoldina.org/ueberregulierung

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