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Stadtbrachen als Insekten-Oasen: Unterschätzte Rückzugsräume mitten im Beton

Neue Studie zeigt: Unbewirtschaftete Flächen in Städten sind für Wildbienen und andere Bestäuber oft wertvoller als Schutzgebiete

Stadtbrachen sind mehr als nur verwilderte Flächen zwischen Beton und Asphalt – sie sind ein Paradies für Insekten. Eine neue Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), veröffentlicht im Fachjournal Basic and Applied Ecology, zeigt: Blütenreiche, ungenutzte Flächen in Städten beherbergen genauso viele – teilweise sogar mehr – Insekten wie ausgewiesene Naturschutzgebiete. Besonders Wildbienen fühlen sich hier offenbar wohl.

Das Forschungsteam um Prof. Dr. Robert Paxton und Dr. Panagiotis Theodorou verglich insgesamt 18 Standorte in Sachsen-Anhalt: Neun blütenreiche Flächen in Natura-2000-Schutzgebieten und neun städtische Brachflächen wie überwucherte Parkplätze, alte Industrieanlagen oder ungenutzte Grünflächen. In allen Gebieten wurden standardisierte Insektenfallen aufgestellt und Pflanzen gezielt auf ihre Bestäubungsleistung hin untersucht.

Überraschendes Ergebnis: Stadt schlägt Schutzgebiet

Während in den Schutzgebieten mehr Schmetterlinge nachgewiesen wurden, fanden die Forschenden auf den Stadtbrachen nicht nur eine größere Vielfalt an Wildbienen, sondern auch eine effektivere Bestäubung. Die im Rahmen des Versuchs ausgesetzten Pflanzen produzierten in der Stadt mehr Samen als auf dem Land – ein klares Zeichen für eine hohe Bestäuberaktivität.

„Stadtbrachen bieten vielen Bestäubern mindestens genauso gute Bedingungen wie ausgewiesene Schutzgebiete“, erklärt Dr. Theodorou. Ein möglicher Grund: Die offenen Bodenflächen, das Totholz und die ungepflegte Vegetation bieten ideale Nistmöglichkeiten und vielfältige Nahrung – genau das, was Wildbienen benötigen.

Artenschutzpotenzial bislang unterschätzt

Die Ergebnisse werfen ein neues Licht auf den städtischen Raum als Lebensraum für Insekten. Bislang gelten vor allem ländliche Schutzgebiete wie die Natura-2000-Flächen als Rückzugsorte für die Artenvielfalt. Doch wie Prof. Paxton betont, sind diese Flächen nicht automatisch effizient: „Es gibt viele Naturschutzgebiete, aber bislang weiß man relativ wenig darüber, wie gut sie wirklich funktionieren. Gleichzeitig zeigen unsere Daten, dass Brachflächen ein enormes ungenutztes Potenzial haben.“

Gerade mit Blick auf den fortschreitenden Rückgang vieler Insektenarten liefert die Studie wichtige Hinweise für einen effizienteren Artenschutz. Paxton fordert daher, Wildbienen und andere Bestäuber stärker in Schutzpläne einzubeziehen – insbesondere bei der Pflege von Natura-2000-Gebieten.

Fazit: Vielfalt braucht keine Ordnung

Die Studie macht deutlich, dass Unordnung in der Stadt für die Natur durchaus wertvoll sein kann. Statt jede freie Fläche zu versiegeln oder „aufzuräumen“, könnten Kommunen gezielt Brachflächen als Insekten-Oasen erhalten oder sogar neu anlegen. Denn wie die Forschenden zeigen: Der Schutz der Artenvielfalt beginnt manchmal genau dort, wo scheinbar nichts mehr wächst – auf dem wilden, unbeachteten Stück Stadt.

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