Mit etwas Verspätung von ein paar Tagen soll hier doch noch an den 60. Todestag von Zither-Reinhold erinnert werden.
Viele der älteren Hallenser werden sich noch an ihn erinnern, an Zither-Reinhold, der mit bürgerlichen Namen Reinhold Lohse hieß. Mit seinem Musikinstrument hockte er fast über ein halbes Jahrhundert vor den Kaufhäusern, Geschäften oder Cafés der Saalestadt und erfreute die Vorübergehenden mit seinem Spiel.
Er war das, was man heute wohl einen Straßenmusikanten nennt. Ob Sommer oder Winter, Reinhold zog erst mit einem Leierkasten, später dann mit seinem Lieblingsinstrument, der Zither, durch die Stadt – daher auch sein Kosename „Zither-Reinhold“. Dabei nahm er es mit den Jahreszeiten nicht so genau, da spielte er schon einmal Weihnachtslieder mitten im Sommer, im heißen August ertönte auf dem Marktplatz „Stille Nacht“ oder im Winter erklang „Im Prater blühn wieder die Bäume“.
Reinhold lebte von den Groschen, die die Leute ihm zusteckten. Manchmal wurde er auch eingeladen zu einer Tasse Kaffee oder einem kleinen Imbiss. Dankbar war er auch für einen Zigarettenstummel, denn dieser – kalt und schief im Mundwinkel – war nach der Zither sein zweites Markenzeichen. Alkohol lehnte er stets ab.
Reinhold Lohse wurde am 12. Oktober 1878 in Halle (Thalgasse) geboren. Er war das dritte Kind von Herrmann und Franziska Lohse, die im September 1874 in der Marktkirche getraut worden waren. Hier wurde auch der kleine Reinhold getauft. 1886 wurde er in die Glauchaer Schule eingeschult. Seine musikalische Begabung fiel schon während der Schulzeit auf. Als Neunjähriger erkrankte Reinhold schwer an Unterleibstyphus. Körperlich wieder vollkommen gesund, hatte die Krankheit aber schwere Auswirkungen auf sein Gehirn und so blieb er zeitlebens auf der geistigen Stufe eines Kindes. Daher verließ er auch bald die Schule.
Da sich die Familie durch weitere Kinder (insgesamt elf) ständig vergrößerte, musste sie mehrfach umziehen (u.a. Breite Straße, Mansfelder Straße, Moritzkirchhof, Meckelstraße, Martinstraße, Schimmelstraße). Erst 1913 wurde die Familie in der Liebenauer Straße etwas sesshafter; immerhin wohnte sie hier bis 1947. Genauer gesagt Reinholds Schwester Margarete, bei der Reinhold eine Bleibe hatte, denn die Eltern waren bereits 1904 verstorben.
Wie das Verhältnis der beiden Geschwister untereinander war, darüber ist wenig überliefert. Nach dem Kriegsende 1947 lebte Reinhold bei seiner Nichte Erna, der Tochter Margaretes, in der Lange Straße (später am Hallorenring). Ihr wird nachgesagt, dass sie die Einnahmen ihres Onkels (immerhin bis zu dreißig Mark am Tag) mit ihrem Mann „durchgebracht“ hat.
Es gibt auch zahlreiche Belege und Zeugen, dass Reinhold daneben in verschiedenen sozialen und kirchlichen Einrichtungen ein Zuhause hatte. Außerdem war er sehr gläubig, so hatte er über viele Jahre ein inniges Verhältnis zum Pfarrer Wilding von St. Georgen. Zwiespältig war Reinholds Umgang mitunter mit Kindern. Häufig wurde er von ihnen gehänselt oder sie entwendeten, wenn Reinhold schlief, seine Mütze mit den Einnahmen. Einmal sollen sie seinen Leierkasten sogar mit Pferdemist gefüllt haben. Er rief ihnen dann zwar „Mischtstigge“ oder „Wurschtlawwe“ hinterher, doch richtig böse konnte Reinhold seinen kleinen Zuhörern selten sein, er drohte ihnen höchstens mit seinem Lieblingsspruch „Wenn das der Pastor sieht …“.
In den vielen Jahren, ja Jahrzehnten, seiner Straßenmusik hatte Reinhold natürlich auch einige Lieblingsplätze in der Stadt, z.B. vor dem ehemaligen Bekleidungshaus Hollenkamp, unter den Arkaden des alten Ritter-Kaufhauses oder vor der Bäckerei „Pfau“ (heute Rolltreppe). Am Händel-Denkmal oder vor dem Eselsbrunnen ließ er sich ebenfalls gern nieder. Wenn Markttag in Halle war, war Reinhold häufig am Bahnhof Klaustor der Hettstedter Bahn anzutreffen, denn bei den abreisenden Bäuerinnen aus der Umgebung saß der Groschen dann locker.
Um die Mittagszeit am 5. November 1964 wollte Reinhold Lohse den Franckeplatz überqueren, dabei wurde er von einem Bus erfasst und erlitt einen Schädelbasisbruch, an dessen Folgen er am 16. November in der Chirurgischen Universitätsklinik verstarb. Unter großer Anteilnahme der halleschen Bevölkerung wurde er eine Woche später auf dem Gertraudenfriedhof beerdigt, wobei der Sarg von Halloren getragen wurde.
Fast vierzig Jahre später setzten die Hallenser ihrem „Zither-Reinhold“ ein Denkmal und zwar an einem seiner Lieblingsplätze, vor dem alten Ritter-Kaufhaus. Und die Entstehungsgeschichte dieses Denkmals (ein Wasserspiel) beweist, wie beliebt „Zither-Reinhold“ immer noch bei den Hallensern ist. Als der Quedlinburger Bildhauer Wolfgang Dreysse Anfang 2000 seinen ersten Entwurf vorstellte, gab es eine heftige Debatte. Die Figur, barhäuptig und barfuss zum Himmel blickend, entsprach ganz und gar nicht ihren Vorstellungen. Die Hallenser hatten den Straßenmusikanten in ganz anderer Erinnerung: an einer Straßenecke sitzend, tief über seine Zither gebeugt und mit einem Zigarrenstummel im Mundwinkel. Sie wollten eine möglichst realistische Plastik. Also musste sich der Künstler noch einmal in sein Atelier zurückziehen und den Entwurf überarbeiten. Statt einer Figur entstanden nun zwei: eine, die dem Entwurf glich, und eine zweite, die dem „echten“ Zither-Reinhold nahe kam. Sie ist wesentlich kleiner und sitzt zu Füßen der größeren Figur. Die Bürger hatten ihren Willen durchgesetzt. Darüber hinaus ist es Ironie des Schicksals, dass dieser liebevolle Kauz direkt vor dem Eingang der Deutschen Bank seinen Standort gefunden hat.
2 comments on “Erinnerung an ein hallesches Original”
Klasse Artikel, vieles davon wusste ich nicht, so z.B. über den Hintergrund der zweiten Figur.
Mein Kommentar ist beim Nachbarn einsehbar.