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Apotheker fürchten um ihren Gewinn

Heilberufe sehen freiberufliche Honorarordnung in Gefahr

EuGH-Urteil zur Zulässigkeit von Boni bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch ausländische Versandhändler greift in nationales Gesundheitssystem ein

Magdeburg, 07.11.2016. Kammern und Verbände der Heilberufe in Sachsen-Anhalt kritisieren das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Zulässigkeit von Boni bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch ausländische Versandapotheken. Der EuGH setzt sich damit über das Recht der Mitgliedsstaaten hinweg, eigenständige Regelungen zur Organisation des nationalen Gesundheitswesens treffen zu können. Die Arzneimittelpreisbindung ist integraler Bestandteil des Sachleistungsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie dient der Qualitätssicherung, der Markttransparenz und dem Verbraucherschutz. Und sie sichert für alle Versicherten den gleichen Zugang zu von Ihnen benötigten Arzneimitteln – unabhängig davon, wie viel das Medikament tatsächlich kostet. Kein GKV-Versicherter muss in finanzielle Vorleistung gehen. Das Urteil verschafft jedoch Patienten, die von Arzneimittel-Zuzahlungen befreit sind, eine Einnahmequelle. Über Boni von ausländischen Versandapotheken werden damit Fehlanreize zulasten der Solidargemeinschaft gesetzt. Rosinenpickerei durch ausländische Versandhändler schädigt das flächendeckende Netz der vollversorgenden wohnortnahen Apotheken. Viele drohen unkontrolliert vom Markt zu verschwinden.

Eine verlässliche Arzneimittelpreisbildung für verschreibungspflichtige Arzneimittel macht viele Gemeinwohlleistungen, die nur von den Apotheken vor Ort erbracht werden, erst möglich. Dazu gehören vor allem die persönliche Beratung, die ausreichende Vorratshaltung und schnelle Lieferfähigkeit, die individuelle Rezepturanfertigung sowie der Nacht- und Notdienst.

„Wer denkt, die Probleme haben nur die Apotheker, sollte über den Tellerrand schauen. Denn schon morgen kann es Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten treffen, die in ihrer freiberuflichen Tätigkeit eingeschränkt werden“, erklärt Mathias Arnold, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt.

Dem deutschen Souverän wird durch das Urteil die Gestaltungsmacht über einen Kernbereich des nationalen Gesundheitssystems entzogen. In der Folge steht zu befürchten, dass auch in Deutschland die Arzneimittelpreisbindung und damit erstmals die Honorarordnung eines freien Heilberufes zu Fall gebracht wird.

Die Diskussion um das Urteil hat gerade erst begonnen. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint den Heilberufen in Sachsen-Anhalt die von verschiedenen Gesundheitspolitikern und Bundesländern angeregte Einschränkung des Versandhandels von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln als eine zielführende Option. Der Versandhandel mit diesen Medikamenten ist aktuell in 21 von 28 EU-Staaten nicht zugelassen. Der Handel mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bleibt davon unberührt.

Eine hohe berufliche Qualifikation, persönliche und eigenverantwortliche Arbeit sowie Gemeinwohlorientierung sind Kennzeichen der freiberuflichen Tätigkeit gerade auch von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und Apothekern. Diese bewährten Strukturen für eine flächendeckende, kontinuierliche und effiziente Versorgung der Bevölkerung überstehen auch wirtschaftlich schwierige Zeiten, wie die jüngste Finanzkrise in Europa zeigte. Undifferenzierten Forderungen nach vermeintlich segensreichen Liberalisierungen – insbesondere seitens der Europäischen Kommission – wird von den Kammern und Verbänden der Heilberufe in Sachsen-Anhalt eine klare Absage erteilt. Gemäß den EU-Verträgen soll es ohnehin der Souveränität der EU-Mitgliedstaaten selbst überlassen sein, ihr Gesundheitswesen eigenständig auch im Hinblick auf den Patientenschutz zu gestalten.

Die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist Teil einer freiberuflichen Honorarordnung. Sie schützt die Bürger vor einer Übervorteilung und ermöglicht es, die Interessen von Patienten und Kostenträgern einerseits sowie Apothekern andererseits ausgewogen auszugleichen. „Wer sagt denn überhaupt, dass Wettbewerb nur dem Vorteil der Patienten dient. Das Gegenteil kann genauso eintreffen, wenn demnächst weniger Apotheken mehr Patienten versorgen. Dann kann der Preis für Arzneimittel auch nach oben – statt wie gewünscht nach unten – gehen. Die Industrie macht es bereits vor. Immer dort, wo eine Konzentration weniger Anbieter besteht, steigen die Preise“, erklärt Dr. Jens-Andreas Münch, Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt.

Die Kammern und Verbände der Heilberufe in Sachsen-Anhalt vertreten 16.231 Mitglieder, die mindestens 52.536 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen in Sachsen-Anhalt beschäftigen.

Zahlen der Heilberufler in Sachsen-Anhalt Ende 2015:

In der Ärztekammer waren 12.100 Ärzte registriert. Die Versorgung der Patienten im Krankenhaus wurde durch 4.946 Ärzte sichergestellt. Die Beschäftigtenzahl im nichtärztlichen Dienst betrug Ende 2015 25.150. (Quelle: Stala).

Außerdem gab es rund 3.400 niedergelassene Ärzte mit etwa 17.000 Mitarbeitern.

Die 1.700 Vertragszahnärzte und niedergelassene Zahnärzte hatten 7.386 Beschäftigte in zahnärztlichen Praxen in Sachsen-Anhalt angestellt.

In Sachsen-Anhalt waren 1.900 Apotheker in der Kammer gemeldet. Etwa 600 Apotheken mit 470 Apothekeninhabern (der Rest sind Filialen) beschäftigten rund 3.000 Mitarbeiter.

Außerdem gab es 531 Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.

Unterzeichner:

Apothekerkammer Sachsen-Anhalt                Landesapothekerverband Sachsen-Anhalt

Ärztekammer Sachsen-Anhalt                        Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt

Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt            Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt

Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer

 

8 comments on “Apotheker fürchten um ihren Gewinn”

  1. Ja, wenn es sich um Minderung von Gewinnen handelt, werden alle hellwach.
    Wieviel Apotheken hatte Halle vor der Wende? Wie ist der Schlüssel für Einwohner/ je Apotheke? Pleite ist noch keine gegangen in Halle nach meiner Erfahrung. Aber versuche mal einer abends oder nachts ein Rezept, das man gerade beim Notdienst erhielt, einzulösen und dabei Schmerzen und KEIN Auto zu haben. Es sind so wenig Apotheken dienstbereit, da muss man eine Taxe rufen.
    Jetzt werden weitere Gewinnmöglichkeiten aufgezeigt, die wollen und werden genutzt werden. Oder sollten die Gremien der EU nicht die jeweils geltenden Bestimmungen der Mitgliedsländer kennen? Na, denn Prost Mahlzeit. Den Unterzeichnern
    sollte klar sein, dass wir einen Teil der Verantwortung an die EU abgegeben haben.

  2. In Halle-Neustadthat sich die Apotheke Anzahl verdoppelt die Einwohnerzahl halbiert. Rund um den Markt sind jede Menge Apotheken. Trotzdem müssen viele Medikamente erst bestellt werden, da jede Krankenkasse mit einer anderen Firma Vertrag hat.
    Sinnvoll wa e es, wenn die Verordnungen des Arztes direkt an eine regionale Sammelstelle gingen und von da direkt an den Patienten geliefert wurden, wahlweise an Wohnung, Betrieb, … Die Apotheken können die nicht Rezept pflichtigen Sachen verklickern.

  3. Gewinn geht verloren, ja aber, das ist nix Neues und nicht nur eben bei Apotheken. EU ist eben nicht nur personenfreizügigkeit, sondern auch Warenverkehr. Und Arzneimittel sind nun einmal Waren. Und die kauft der Kunde, wo es ihm am Günstigsten erscheint, egal, ob das Schrauben, Werkzeuge, Hobbyartikel etc. sind. Wenn jetzt Pharmazeuten eine Sonderrolle bekommen, sind das nächstens auch andere Vertriebskanäle, und dann ist Schluss mit Freizügigkeit.

  4. Ja, @ rellah, und jetzt hast du das Fahrrad noch einmal erfunden: Ham wa nämich schon! Diese Aufgabe erfüllen die lieben Versandapotheken und können dafür nichtverschreibungspflichtige Präparate wesentlich günstiger an ihre Kunden abgeben. Und da die richtige, weil günstigste vom Preis usw. zu finden, ist gar nicht so leicht. Aber ich denke, ich bin bei der besten.

  5. Leider trifft allein schon die Überschrift nicht das eigentliche Problem der EuGH-Entscheidung: die Entscheidung besagt nur, dass ausländische Versandapotheken Rabatte auf (die Zuzahlung) verschreibungspflichtige Medikamente gewähren dürfen. Deutsche Apotheken (auch Versandapotheken) dürfen das aber nach wie vor nicht! Das führt zu Chancenungleichheit und fordert definitiv das Handeln der Politik!

    Natürlich geht es im weiteren Sinne auch um „Gewinne“. Dazu sollte man sich aber zunächst einmal die Preisbildung für verschreibungspflichtige AM in Deutschland ansehen (und welchen Sinn das hat) und das Thema „Querfinanzierung“ (das Herstellen einer Rezeptur z.B. wird nie kostendeckend vergütet, auch muss die öffentliche Apotheke über ein Labor verfügen und betreiben etc), bevor man lospoltert:

    Die Apotheke erhält für ein verschreibungspflichtiges AM 3% auf den Apothekeneinkaufpreis + 8,35€ Honorar + 0,16€ Beitrag zur Notdienstsicherung. Das sind bei einem Medikament, dass der Hersteller mit 100€ anbietet (Händlerabgabepreis) nach dem Aufschlag, den der Großhandel erhebt (3,15% +0,70€) genau 11,63€. Davon werden 1,77€ brutto Zwangsrabatt an die Gesetzliche Krankenversicherung und 0,19€ brutto an den Notdienstfonds abgeführt. Bleiben also 9,97€ Rohertrag. Bei dieser Marge wird es den allermeisten inhabergeführten Apotheken in Deutschland schlicht nicht möglich sein, sich am Preiskampf mit ausländischen Ketten zu beteiligen (selbst wenn sie es dürften).
    Am Endpreis des AM i.H.v. 137,42€ „verdient“ der Apotheker also 9,97€. Der Staat – zum Vergleich – kassiert 21,96€ UmSt…
    Wo wir beim nächsten Punkt der Wettbewerbsverzerrung wären: der Umsatzsteuer. In den Niederlanden beträgt diese für Arzneimittel gerade mal 6%. In Deutschland sind es 19%…

    Um die Krankenkassen zu entlasten und ein Kostenbewußtsein seitens der Patienten aufzubauen, ist in Dtl. das System der Zuzahlung eingeführt worden. Ein Patient zahlt zwischen 5 und 10€ für ein verschreibungspflichtiges Medikament zu, je nach Höhe des Verkaufspreises. (Auch wenn sein Medikament also 5000€ kostet, so zahlt er maximal 10€). Egal, ob im Osten, Norden, Westen oder Süden.

    Hintergrund dieser „Gleichpreisigkeit“ im Gesundheitswesen ist, dass überall in Dtl. – egal ob auf dem Land oder in der Mitte von Berlin – Ärzte, Krankenhäuser, Hebammen, Physiotherapeuten oder eben auch Apotheker für Ihre Leistungen das gleiche Geld bekommen. Dies hat einen einzigen Grund: der Patient soll sich im Falle einer Erkrankung nicht Gedanken machen müssen, ob der nächstgelegene Arzt, das Krankenhaus oder eben die Apotheke vielleicht mehr Geld in Rechnung stellt, als vielleicht die gleiche Einrichtung in der benachbarten Stadt.

    Die Liberalisierung des Gesundheitswesen ganz im Allgemeinen wird mittel- bis langfristig zum Wegfall wichtiger Versorgungsstrukturen führen und die Einflussnahme von Konzernen der Politik vergrößern. Beispiel? Gern: kippt die Preisbindung, so müssen sich auch die Krankenkassen künftig der Vormacht weniger Konzerne aussetzen. Rabattverträge und die Deckelung von Rabatten auf der Handelsebene sind dann nicht mehr zu halten. Sicher nicht die populärsten aber bisher effektivsten Steuerungselemente zur Kostendämpfung im Arzneimittelbereich.
    Gleichzeitig zahlen diese Großkonzerne aus dem Ausland im Inland keine Steuern. Die Katze beißt sich in den Schwanz.

    Die Problematik ist aber deutlich vielschichtiger. Wichtig wäre bei dem Thema, das man es differenziert betrachtet und versucht, die komplexen Hintergründe zu verstehen, bevor man dazu neigt, die Diskussion als reine Habgier der Apotheker abzutun. Aber das ist ja nun mal der „Bild“-Way of life…

  6. Wie sagte bei MDR aktuell ein Verantwortlicher dieser Branche.Es kann einen schwerkranken Patienten kein Kostenvergleich zugemutet werden.Ich brauche zur Zeit 7 verschiedene Medikamente und wohne im Saalekreis.Mit den Auto zuerst zum Facharzt und mit den Rezept zur Apotheke.Von den 7 Pillen sind 6Pillen nicht am Lager.Nächsten Tag wieder mit den Auto zur Apotheke nach Halle und die restlichen Pillen geholt.Wenn ich Windeln brauche oder eine Schönheitscrem werde ich sofort in jeder Apotheke fündig. Ab sofort nutze ich die Post und habe keine Fahrt nach Halle.Muss kein Parkplatz suchen und habe dadurch kein Streß. Alles in allen die perfekte Lösung für mich.

  7. Elfriede, ich weiß dass es Versandapotheken gibt. Früher brauchte man da keine Rezeptgebühr zahlen, das hat aber die Apolobby gekippt.
    Mein Vorschlag ist, dass man beim Arzt keinen Rezeptzettel bekommt, sondern dass das Rezept direkt an eine õrtliche Sammelstelle geht und man von da beliefert wird.

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