Unterwegs in Halles Süden

21. August 2016 | Nachrichten, Veranstaltungen | Keine Kommentare
Kreuz in der armenischen Kirche

Kreuz in der armenischen Kirche

Hallespektrum auf der Suche nach den (Kirchen-)Juwelen: Wer die Wahl hat, hat die Qual. So geht es mir auch mit dem Programm für die 16. Hallesche Nacht der Kirchen. Insgesamt 50 Angebote stehen im Programm, Orte, die kleine und große Geschichten erzählen, mit Menschen, die sich für kleine und große Probleme engagieren. Wahrzeichen von Halle, die jeder kennt und verborgene Kleinode, die meistens verschlossen sind und auf ihre Entdeckung warten. Und überall engagierte Menschen, die in dieser Nacht ihre Kirchen öffnen und auf neugierige und interessierte Besucher warten. Bei dieser Vielfalt gilt es, eine Entscheidung zu treffen. Wir entscheiden uns in diesem Jahr für Halles Süden und beginnen unsere Tour in Ammendorf, bei der Armenischen Gemeinde. Sie besteht seit dem Jahr 2000 und hat 2006 ihre Heimat und ihr Gemeindezentrum in der ehemals katholischen Kirche St. Hedwig in Ammendorf gefunden. Etwa 50 Familien mit insgesamt ca. 160 Mitgliedern gehören zur Gemeinde.

Erinnerung an den Völkermord

romanische Bauteile in der Wenzelskirche

romanische Bauteile in der Wenzelskirche

Unter den anwesenden Gemeindemitgliedern sind auch armenische Christen aus Syrien, die erst seit kurzem in Halle leben. Sie mussten erneut ihre Heimat verlassen, in die ihre Familien vor 100 Jahren geflohen waren. Auf dem Kirchhof steht ein Weihestein, der an den Völkermord von 1915 erinnert.

Unsere nächste Station ist die evangelische St. Wenzel-Kirche in Radewell – eine echte Entdeckung. Die kleine Kirche mit dem imposanten Wehrturm stammt im wesentlichen noch aus romanischer Zeit (Ersterwähnung ca. 1160). Davon zeugen die dicken Mauern und niedrigen Rundbögen, an deren mit Schachbrettmuster verzierten Kapitellen liebevoll Teelichte aufgestellt wurden. Jemand spielt an der Orgel und wir werden mit Sandkuchen und Tomatenbutterbrot empfangen. Hier war es richtig gemütlich. Wir fühlten uns wie zu Besuch bei Freunden. Wir genießen einen Augenblick der Stille, bevor wir uns für den nächsten Programmpunkt entscheiden.
Unser Weg führt uns anschließend in den Saalekreis zum 12 km entfernten Ort Osmünde.

Einstürzende Kirchtürme

Der eingestürzte Turm von Osmünde

Der eingestürzte Turm von Osmünde

Die evangelische St. Petrus-Kirche ist ähnlich alt wie St. Wenzel in Radewell und sah wohl einmal ähnlich aus. Heute fehlt der große Turm, lediglich eine Seitenwand steht noch und wird von Sicherungsbalken gehalten. Beim Einsturz im Jahre 1986 wurden auch die großen Glocken verschüttet, die jetzt im Eingang und in überdachten Gestellen auf dem umgebenden Friedhof zu sehen sind. Seit 1992 kümmert sich ein Förderverein (heute Förderkreis) um den Erhalt und die Sanierung des Bauwerks. Auch in Osmünde erwartet uns ein kleiner Imbiss, die Orgelmusik haben wir verpasst. Aber wir besichtigen noch die Empore und den Keller mit der alten Fußbodenheizung. Der Bürgermeister schaut nach dem Rechten und begrüßt die wenigen Gäste, die sich bis hierher verirrt haben, mit Handschlag. Wir sind froh, es bis hierher geschafft zu haben. Wann hält man an solchen Orten noch inne?

Nach diesem Abstecher in den Saalekreis kehren wir zurück in den Süden von Halle. Die katholische Kirche St. Marien ist nicht älter als der sie

St. Marien an der Silberhöhe

St. Marien an der Silberhöhe

umgebende Stadtteil Silberhöhe. Der moderne achteckige Bau stammt aus dem Jahr 1980. Auch hier gibt es Schnittchen, Lichtinstallation und Orgelmusik, alles wirkt etwas professioneller und lebendiger als in den beiden Dorfkirchen. Mir persönlich gefällt dieser Ort sehr gut, moderne Architektur kann auch Großzügigkeit, Harmonie und Wärme ausstrahlen. Inzwischen ist es draußen ganz dunkel, so dass wir die Glasfenster nicht mehr sehen können. Sehr schade!
Wir haben Musik oder auch Stille auf uns wirken lassen, jetzt schaffen wir nur noch eine weitere Station. Wir entscheiden uns für die Kirche St. Elisabeth in Beesen. Ein lichtergesäumter Weg führt uns zum Eingang des Bauwerks, das ebenso wie die Kirchen in Radewell und Wörmlitz im Jahr 1184 dem Moritzkloster in Halle übereignet wurde. Wir bekommen eine Führung mit kunsthistorischer Erläuterung der Schätze: Altar, Orgel, Malereien auf den Emporen. Dann
besteigen wir den Turm. Und hier erwartet uns der Höhepunkt unserer diesjährigen Tour durch Halles Kirchen: Im Glockenturm gibt es 3 Glocken aus den Jahren 1422 bis 1497.

Die drei spätmittelalterlichen Glocken von Beesen

Die drei spätmittelalterlichen Glocken von Beesen

Glocken, die rocken!

Im Gegensatz zu vielen anderen Glocken haben sie seitdem alle Kriege überstanden, ohne zu Kanonen eingeschmolzen zu werden. Bis heute werden sie von Hand geläutet, und das können wir um 22 Uhr miterleben. Während unten im Kirchenschiff die Nachtandacht beginnt, stehen wir auf dem Turm, dicht an die Außenmauern gedrückt, auf dem der Glöckner mit seinem ganzen Körpergewicht die 500-700kg schweren Glocken bewegt und zum Schwingen und Klingen bringt – ein gewaltiger Klangsturm, der sich durch die hohen Fenster in die Nacht ausbreitet. In dem Zusammenhang haben wir gleich eine Bitte: An einer der historischen Glocken sind kleinere Arbeiten zu verrichten, die Gemeinde wäre für eine (kleine) Spende dankbar.

Überwältigt von diesem Eindruck beenden wir unsere „Nacht der Kirchen“ und fahren zurück in die Stadt. Noch viele Menschen sind unterwegs, als wir den Glauchaer Platz und den Hallmarkt passieren. In der Innenstadt ist deutlich mehr los als in Halles Süden. Aber wir haben bewusst die Außenbezirke gewählt, in denen es noch vieles Unbekannte zu entdecken gibt. Nächstes Jahr ist Halles Norden dran, nehmen wir uns vor.

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