Landtag zu Kinderarmut in Sachsen-Anhalt

30. September 2016 | Nachrichten, Politik, Soziales | Keine Kommentare

Am 13. Sept. haben wir darüber berichtet. In Halle ist die Kinderarmut auf einem hohen Stand. 33,4 Prozent der Kinder, die in Halle leben, gelten als arm und sind auf Grundsicherung angewiesen (lt. einer akt. Bertelsmann Studie). Heute früh am Fr., 30. Sept., ist dies Thema im Landtag:

Linke: Die Folgen der Kinderarmut

Monika Hohmann, Fraktion Die Linke, berichtete im Landtag über die Folgen der Kinderarmut:

„Welche langfristigen Folgen hat nun Kinderarmut? Zwar wird regelmäßig festgestellt, welche Defizite arme Kinder haben, aber es gibt bisher nur eine Längsschnitt-Studie zu diesem Thema, angelegt über einen Zeitraum von 12 Jahren. Dies ist die ISS- Studie der AWO. Hier wurden Kinder von der KITA, über die Grundschulzeit bis in den Sekundarschulbereich begleitet. Die Ergebnisse dieser Studie sind sehr aufschlussreich und geben Anregungen, welche gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen sind.
Familiäre Armut hat bereits im Vorschulalter bei einem großen Teil der Kinder negative Folgen für die kindliche Lebenssituation und stellt ein zentrales Entwicklungsrisiko dar. Einige Beispiele: mangelnde, nicht kindgerechte sowie nicht zweckmäßige Ausstattung mit Kleidung und Beiwerk (Schuhe, Brottasche..), Kinder werden nicht zu Geburtstagen eingeladen oder haben sprachliche Defizite. Zwar erhalten die KiTa-Kinder und ihre Eltern soziale Hilfen, aber die Passgenauigkeit, also wer welche Unterstützung nutzt beziehungsweise nutzen kann, ist eher gering. Die Lebenswelt von armen und nicht armen Kindern geht  in der Grundschule immer weiter auseinander. „Für arme Kinder zeigt sich vermehrt ein Verlauf des „Fahrstuhl nach unten“, während für nicht Arme eher der Verlauf mit einem „Fahrstuhl nach oben“ gilt. Nicht selten haben beide Gruppen im Alltag kaum mehr etwas miteinander zu tun.“ So das Ergebnis der AWO-Studie.

Arme Kinder sind zehn Jahre später dreimal so oft in den zentralen Lebens- und Entwicklungsbereichen  auffälliger als ihre gleichaltrigen Mitschüler. Sie werden regelmäßig schlechter benotet als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler.
Auch die Bildungsbiografien und -ergebnisse  unterscheiden sich sehr deutlich nach Armut: Arme Jugendliche erreichen nicht nur am häufigsten ein niedriges Bildungsniveau, sie haben auch im Verlauf ihrer Schulzeit häufiger und mehrfach Brüche, Umwege und Wiederholungen erlebt.

Arme Kinder schließen als 16-/17-Jährige die Schule öfter ohne Abschluss oder nur
mit einem Förder- beziehungsweise Hauptschulabschluss ab.
Dort, wo Hilfe für Kinder und Jugendliche in Risikolagen besonders wichtig wäre, ist sie wegen der Finanznot der Kommunen „ besonders schwer zu finanzieren“.  
In der Kinder- und Jugendarbeit sind in den letzten 15 Jahren ein Drittel weniger Beschäftigte zu verzeichnen.  Auch die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse  wie Freiberuflichkeit, Beschäftigung auf Honorarbasis, Leiharbeit und befristete Arbeitsverhältnisse, haben dazu geführt, dass sich gut qualifizierte junge Menschen für andere Berufe entscheiden.“

Sie meint, dass die Landesregierung noch nicht alle Möglichkeiten zur Beseitigung der Kinderarmut wahrnimmt. Eine Stellungnahme liegt dem Hallespetrum auch von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu der Aktuellen Debatte „Kinderarmut“ vor:

Grüne: Kindergrundsicherung

Cornelia Lüddemann

Cornelia Lüddemann

 „Wir können nur an einigen Punkten materielle Armut direkt angehen, aber es bieten sich Möglichkeiten die Schutzfaktoren gegen Armut zu stärken. Also gerade Kinder zu unterstützen, um negative Folgeerscheinungen eines Aufwachsens in einem durch materielle Deprivation gekennzeichneten Haushalt aufzufangen.

Besonders denke ich dabei an die im Koalitionsvertrag vereinbarte Sonderförderung von Kitas in Vierteln mit besonderem Entwicklungsbedarf. Salopp gesagt: Gerade in sozialen Brennpunkten brauchen wir die besten Kitas. Hier existieren besondere Bedarfe.“

 „Kinderarmut in Sachsen-Anhalt ist ein Menetekel unseres Landes. Das Ausmaß der Armut zeigt eine Zahl besonders eindrücklich: Fast 24 Prozent aller Kinder in Sachsen-Anhalt leben in einer Bedarfsgemeinschaft. Das heißt, bei uns in Sachsen-Anhalt leben und wohnen überdurchschnittlich viele Kinder an der Grenze eines soziokulturellen Existenzminimums. Und das oft über Jahre!“

„Schulabbruch muss weit stärker präventiv angegangen werden. Die Strategie von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lautet: Mehr Ganztagsschulen, Mehr Gemeinschaftsschulen. Mehr multiprofessionelle Teams.“

„Ich plädiere seit langem für eine Kindergrundsicherung. Diese würde bedrängende Formen der Kinderarmut schlicht beseitigen. Sie würde die soziale Abwertung und Diskriminierung von ,Hartz-Kindern‘ aus der Welt schaffen.

Denn die Kindergrundsicherung bekommen alle Kinder. Sie steht für eine gemeinschaftlich getragene Sorge und Verantwortung für alle Kinder. Oder anders gesagt: Durch sie würde klar zum Ausdruck gebracht: Alle Kinder sind dem Staat gleich viel wert.“

Die Afd forderte „deutsches Geld für deutsche Kinder.“ Die Linke warf der AfD daraufhin vor, mit „billiger Hetze“ und „widerlichem Weltbild“ im Landtag aufzutreten.

SPD: Kinderarmut ist Familienarmut

Für die SPD erklärte die Fraktionsvorsitzende Katja Pähle u.a. :

Katja Pähle

Katja Pähle

„Kinderarmut ist Familienarmut. Und die Armut von Familien hängt an der Teilhabe der Eltern am Arbeitsmarkt – oder der Nicht-Teilhabe.

Deshalb sind eine starke Wirtschaft, eine robuste Konjunktur und eine entsprechende Nachfrage nach Arbeitskräften immer noch das wirksamste Mittel gegen Familienarmut. Doch wie wir alle wissen, ist die Wirtschaft Sachsen-Anhalts noch immer ein gutes Stück davon entfernt, zu der starken wirtschaftlichen Entwicklung aufzuschließen, die Deutschland insgesamt seit Jahren kennzeichnet.

Gute Arbeit – und vor allem: ordentlich bezahlte Arbeit ist die Grundlage dafür, Armutsstrukturen zu überwinden. Der Mindestlohn hat dafür bereits eine Haltelinie nach unten eingezogen. Er wirkt besonders im Osten, und er wirkt besonders in Berufen, die immer noch als typische Frauentätigkeiten angesehen werden: bei Friseurinnen, Gebäudereinigerinnen und in der Gastronomie. Der Mindestlohn ist praktische Politik gegen Familienarmut.

Zu Recht wurde in der aktuellen Berichterstattung zum Thema Kinderarmut auf die besonders hohen Anteile von Kindern in Bedarfsgemeinschaften in Magdeburg und vor allem in Halle hingewiesen. Auch wenn es kontinuierlich kleine Verbesserungen gibt, gilt nach dieser Definition weiterhin jedes dritte Kind in Halle als arm. In bestimmten Stadtteilen liegt der Anteil noch wesentlich höher.Umso wichtiger ist es, den Familien in solchen Vierteln auch jenseits von Transferleistungen so viel Unterstützung wie möglich zukommen zu lassen. Gleichzeitig bieten sich hier Möglichkeiten, um Langzeitarbeitslosen mehr Teilhabe zu ermöglichen.

Es gibt neben den äußeren Bedingungen, die zu Armut führen, auch Gründe, die in der Familienstruktur liegen. Dabei sehen wir: Keine Gruppe ist so stark von Armut bedroht wie die Alleinerziehenden – und damit ihre Kinder. Mit dieser Situation dürfen wir uns nicht abfinden. Denn es darf eben nicht sein, dass Alleinerziehende Berufstätigkeiten unterhalb ihres Qualifikationsniveaus annehmen müssen, weil sie anspruchsvollere Jobs nicht mit ihrem Erziehungsauftrag in Übereinstimmung bringen können. Es darf nicht passieren, dass Alleinerziehende gezwungen sind, in Teilzeit zu arbeiten, wenn sie das nicht wollen.

Das ist in erster Linie eine Anforderung an die Arbeitgeber. Denn mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, mit mehr Heimarbeitsanteilen können mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze für Alleinerziehende erschlossen werden – auch das ein Schutz vor Armutsrisiken.

Es geht aber auch um unsere eigene politische Verantwortung. Wir sehen nämlich an dieser Problematik, warum es so wichtig ist, dass wir nicht nur den Betreuungsanspruch über zehn Stunden in unseren Kitas erhalten, sondern dass auch das Angebot an flexiblen Öffnungszeiten deutlich ausgebaut und verbessert wird.

Wer Kinder vor Armut bewahren will, der muss alleinerziehenden Müttern und Vätern auch auf diese Weise die Chance geben, für sich und ihre Familie ein Einkommen zu erwirtschaften, von dem sie gut leben können.

Ebenfalls ein hohes Armutsrisiko haben Kinder mit zwei oder mehr Geschwistern. Und auch das ist nichts, was Politik gleichgültig lassen sollte. Denn der Mut und die Bereitschaft, Kinder großzuziehen, auch über den Rahmen der klassischen Anderthalb-Kinder-Familie hinaus, sollte von Staat und Gesellschaft belohnt werden. Dazu haben viele die Gelegenheit: Ob Freizeiteinrichtungen, Kulturstätten, soziokulturelle Träger, Restaurants, Urlaubsveranstalter – sie alle haben die Möglichkeit, durch familienfreundliche Preis- und Tarifgestaltungen oder Rabatte das Leben größerer Familien zu erleichtern.“

CDU: Kinderarmut: Ein zweiter Blick auf die Statistik offenbart mehr als der erste

Zur heutigen Aktuellen Debatte über „Kinderarmut“ erklärt der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Arbeit, Soziales und Integration der CDU-Landtagsfraktion von Sachsen-Anhalt, Tobias Krull, an:

Es lohnt sich ein zweiter, tiefergehender Blick auf die Zahlen. Im Jahr 2016 erhielten 23,8 Prozent aller Personen unter 18 Jahren Zahlungen nach dem SGB II. Dies ist ein Rückgang um 2,3 Prozent. Bei aller Notwendigkeit, Bedürftigen helfen zu wollen, muss auch dies gesagt werden dürfen. Auch die unterschiedliche Altersstruktur der Personen, die unter 18 Jahren SGB-II-Leistungen beziehen, muss genau betrachtet werden. So sind es vor allem jüngere Kinder, die hier Sozialleistungen erhalten. Auch die Dauer des Leistungsbezugs muss uns zu Überlegungen führen, welche Maßnahmen hier wirksam der Entwicklung entgegen treten können. So beziehen 59,1 Prozent der Personen unter 18 Jahren mehr als 3 Jahre lang Leistungen des SGB II.

Man muss sich die Zeit nehmen die Zahlen sehr genau zu analysieren. Denn das Prinzip ‚viel hilft viel‛ gilt nicht für die Sozialpolitik. Wir müssen schon sehr darauf achten. dass die Sozialausgaben so eingesetzt werden, dass sie effektiv und effizient den Betroffenen helfen. Immerhin wurden im Jahr 2015 deutschlandweit 888 Milliarden für diesen Politikbereich ausgeben, eine Steigerung von 115 Milliarden seit 2011. Ferner wird deutlich, dass seit 2014 die Zahl ‚einheimischer‛ Kinder und Jugendlicher, die SGB-II-Leistungen beziehen, deutschlandweit zurückgeht: Allein von Mai 2015 auf Mai 2016 um immerhin 62.200 Kinder bis 15 Jahre in Deutschland. Gleichzeitig steigt aber die Anzahl der Kinder, die als Flüchtlinge in Deutschland eine sichere Zuflucht und entsprechende Anerkennung finden und die damit dann auch in den Leistungskreis des SGB II kommen.

Armut ist einer Betrachtung zu unterziehen, die die Relativität der Zahlen betont. Bitterste Armut geht weltweit zurück. Armut in Deutschland ist damit nicht zu vergleichen, weil sie von einem, viel höheren Niveau der Sozialleistungen ausgeht. Diese Tatsache muss und sollte jedem Betrachter der Armutsstatistiken präsent sein.“

Print Friendly, PDF & Email

Kommentar schreiben