Nina C. Hasses ‚Ersticktes Matt‘
17. Dezember 2016 | Kultur, Rezensionen | 5 KommentareHallespektrum möchte mit der Reihe „Bücher abseits des Büchermahlstroms“ eine besondere Serie beginnen. Abseits der Bestseller, Topautoren und Literaturfeuilletons wollen wir besondere Bücher besprechen, die in der sehr lebendigen Selbstpubliziererszene oder in Klein/Kleinstverlagen erscheinen. Wir sind dabei auch auf Tipps unserer Leser angewiesen. Hallunken, Hallenser und Halloren werden selbstverständlich bevorzugt.
Steampunk-Krimi
Den Anfang macht der selbstpublizierte Roman einer jungen Autorin aus Münster, Nina C. Hasse, 1986 geboren, Germanistin und Religionswissenschaftlerin. Ihr über 400 Seiten starker Roman gehört zwei Genres an: Steampunk und Krimi. Wie bei den bekannten Genres Fantasy und Science Fiction bevorzugt auch der Steampunk eine eigene Welt, in der die Handlung angesiedelt ist. Beim Steampunk (Steam = Dampf) ist dies die Welt der Dampflokomotiven, Luftschiffe und der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei sind die Romane von Jules Verne nicht nur die Gründungsromane der Science-Fiction, sondern auch der erst in den letzten Jahren entstandenen Steampunk-Bewegung. In Halle fällt mir spontan ein Maler, Vadim Voitekhovitch, ein, der sich mit großen Teilen seines Werkes in den Steampunk einordnen lässt.
Wie aus der Romantik eine schwarze Romantik wurde, die durch die heutige Gothic-Scene düsterfröhliche Auferstehung gefeiert hat, so würde ich Frau Hasses Werk ebenso in die düstere Ecke verouten. Der Fortschrittsglaube der Jules-Verne-Romane ist einer düsteren Steampunk-Welt gewichen. Denn die Autorin denkt das Modell einer von Dampf- und Kohleverbrennung beherrschten Welt konsequent weiter: Klimaerwärmung und Überschwemmungen führen zu einer weltweiten Flüchtlingsbewegung. Nicht wenige der Klimaflüchtlinge, besonders aus den überschwemmten Teilen Europas, suchen im reichen Amerika Schutz. Durch die Überschwemmung bestehen Teile von New York 1893 bereits aus höhergelegten Pfahlbausiedlungen. Das sind die Floodlands, dort hausen die Flüchtlinge und die Armen. Das Floodland Police Department hat einen kniffligen Fall zu lösen: Ein Mörder geht in den Floodland um und erdrosselt junge Mädchen. Die Leichen halten eine Schachfigur in den Händen und auf einen in der Nähe deponierten Schachbrett ist eine Partie aufgebaut: Abgebildet wird der Ablauf eines „erstickten Matts“.
Remy Lafayette, New Yorker Gesichtsanalytiker, den die Polizei bereits wegen Eigenmächtigkeiten aussortiert hatte, wird erneut als Berater hinzugezogen, denn das Department kommt mit dem Fall nicht weiter. Allerdings ist Remy Lafayette in diese Schachbrettgeschichte durch seine Ex-Verlobte verwickelt und kann keine große Hilfe sein. Zum Team von Ermittlerin Madeline Vezér und Captain Rooke stoßen ein jugendlicher Schachexperte und, als die Nautilus in New York anlegt, zwei weitere Detektive von Scotland Yard, denn auch in London ging der Schachbrettmörder bereits um. Was hat ein Unterweltboss mit den ganzen Morden zu tun? Als es Opfer aus dem Umkreis des Teams gibt, wird die Sache so verwirrend, das selbst die Detektivin „Fox“ Engels von Scotland Yard Probleme hat durchzublicken …
Selbst schreiben, selbst produzieren, selbst vertreiben
Das klingt also spannend und ist es auch. Der Krimi kann läßt so manche zweit- bis drittklassige angelsächsische Massenproduktion hinter sich. Ich kann es deswegen nicht verstehen, dass die finanzkräftigen Großverlage, die allen möglichen Blödsinn veröffentlichen und übersetzen lassen, deutsche Jungautoren im Genrebereich in die Selfpublisherszene abgleiten lassen. Vielleicht sollte man sich hier nicht nur auf die Literaturagenturen verlassen, die aus finanziellen Gründen nicht so gerne die eingefahrenen Gleise verlassen wollen. Heute lächelt so mancher Boss im Rollkragenpullover noch über die Desperados mit ihren Selfpublisher-Outfit. Morgen weinen sie und jammern sie bereits, weil die Leser sie, wie es der noch selbstverliebteren Plattenindustrie bereits geschehen ist, verlassen haben. Wenn der Büchermahlstrom ausgetrocknet ist, wird es für die Rollkragenfraktion zu spät sein. Wer dann heute noch „Markt“ sagt, weint morgen nach dem „Staat“, der die „deutsche Buchkultur“ doch bitte zu schützen hat. Es hat schon begonnen!
Wie kommt man also an das Buch ran? Im Buchhandel wird schwierig. Der Katalog meines alten Lieblings-Arbeitgebers sagt: „Njet, mein Sohn“. Ich möchte keine Werbung für den Versender Amazon machen, aber dort ist Frau Hasse Steampunk-Krimi als E-Book und auch als Taschenbuch verfügbar. Ich habe mich direkt an die Autorin gewandt und das Buch kam in wunderschöner Verpackung und mit lieben Spruch in den Briefkasten geflogen. So wird Buchschreiben und -Lesen wieder zu einer persönlichen Angelegenheit, zu einem Brief an den Leser, der satten Verlagswirtschaft sei Dank! Am Besten erreicht man Nina C. Hasse direkt über das Floodlands Department. Dort gibt es die Bestellmöglichkeit für „Ersticktes Matt“ und gleichzeitig die ersten Einblicke in die Steampunkwelt der Autorin: „Wir schreiben das Jahr 1893. Die Menschheit hat sich die Kraft der Dampfmaschine zunutze gemacht ..“ Wie sagt man so schön: Das Abenteuer kann beginnen! Ich wünsche viel Spaß dabei!
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Den Freunden des Steampunk würde ich zwei tolle Ausflugsziele in die nicht allzuweite Umgebung empfehlen:
1. Das Chemiemuseum in Merseburg. Hier gibt es eine (noch funktionsfägige) gewaltige Dampfmaschine, die für das Haber-Bosch-Verfahren das Synthesegasgemisch verdichtete. Bestens gepflegt, eine Führung durch die Anlage und das Freigelände kann man allen Steampunkern nur empfehlen.
Die Anlage stammt aus den frühen 1920er Jahren, und war, mit nur geringsten Veränderungen, bis zur Wende in Betrieb.
2.
Das Kraftwerk Zschornewitz. Neben der Dampfbetriebenen Turbinen/ Generatoreneinheit gibt es hier eine komplett erhaltene Steuerhalle im Stile des Art Deco zu sehen. Filmreife Kulisse! (Ist auch viel E-Punk dabei, OK). (Führung nach Vereinbarung). Für wohnbau/ siedlungsgeschichlich interessierte sei ein anschließender Besuch in der ehem. Werkssiedlung empfohlen.
3. In Plauen das „Spitzenmuseum“. Wer (wie ich) Plauen er Spitzen gruselig und spießig findet, wird über die vom Ende des letzten Jh. erhalltenen, komplett elektronikfreien, über 30 meter langen Stickstühle, die ein Arbeiter über einen Pantographen steuerte, begeistert sein.
4. Die Hallesche Gobelinmanufaktur hat noch einen originalen Jaquard-Webstuhl mit Lochkartensteuerung. Extrem sehenswert, Führungen nach Vereinbarung.
Weitere Tips unserer User gerne hier in diesem Thread. Wer Lust hat, hierüber einen Artikel in Form eines Reiseberichte zu verfassen, melde sich in der Red.
Riosal und seine Paula können sich für die Rezension mal gewaltig auf die Schulter klopfen oder vielleicht sogar den mitteldeutschen Self-Publishing Verlag aufmachen!
Selten eine so spannende und verlockende Rezension gelesen.
Auch eine gute Bewerbungsgrundlage für FAZ und Co!
Übrigens wäre das Team von „Abseits des Büchermahlstroms“ sehr glücklich über Autoren aus Halle, die sich melden würden. Wir nehmen keine Rez. -Exemplare, sondern kaufen die Bücher, die wir besprechen. Bitte Mail an die Redaktion, Stichwort: „Abseits des Büchermahlstroms“
Riosal und seine Paula
Ich werde es der Stadtbibliothek zur Anschaffung vorschlagen.
Da steh ich nun, ich armer Tor,….
Warum steht über dem Thread nicht der Verfasser? Das vermisse ich jetzt öfter.
Wer ist mit „wir“ gemeint, das hallespektrum.de? Der Verfasser fordert auf, Bücher zu benennen, die besprochen werden sollen? Wir sollen sie vorschlagen und auch selbst besprechen?
Über Bücher und Literatur allein, ihre Rolle heute für den Einzelnen könnte man sich schon stundenlang unterhalten und diskutieren……
Bekanntlich schreibe ich auch. Leser sind in der Hauptsache meine Briefpartner, die deshalb auch u.a. nicht darauf verzichten wollen, von mir Briefe zu erhalten. Sind auch solche Texte gefragt, die nicht publiziert wurden, die man einfach so aus Freude am Schreiben verfasst hat?
Bezüglich der Hallenser, Halloren und Hal- hier schreibt man -nur in diesem Zusammenhang- Hallunken mit 2 l. Die mit einem l gehören ins Gefängnis, bzw. bekommen bei unserer Kuschel-Justiz Bewährung.
Und nun setze ich noch ein Zitat (von Curt Goetz? Tucholsy?) provokativ dazu:
„Warum schreiben so viele Menschen Bücher? Weil sie nicht den Charakter haben, NICHT zu schreiben.“