„Lost Places“ in Sachsen-Anhalt

26. Januar 2017 | Rezensionen | Keine Kommentare

Der hall3D_Cover_Broschur.inddesche Fotograf Marc Mielzarjewicz (geb. 1971) nimmt bereits seit Jahren eine fotokünstlerische Bestandsaufnahme von stillgelegten Industrieruinen und maroden Baudenkmälern in Sachsen-Anhalt vorgenommen. Ob verfallene Wohnhäuser, brachliegende Industrieruinen, stillgelegte Fabriken, alte Schlösser und Herrenhäuser oder überwucherte öffentliche Gebäude, ob Erholungsheim oder Parteischule – fast alle hat er mit einem gewissen archäologischen Blick festgehalten. Die Fotos belegen den ästhetischen Reiz, den sich selbst überlassene Industrieanlagen und Gebäude auf den Betrachter von heute ausüben können. Manche sind bereits der Abrissbirne zum Opfer gefallen und damit unwiederbringlich verloren.

Nachdem in den letzten Jahren im Mitteldeutschen Verlag zahlreiche Bildbände zu „Lost Places“ (u.a. Halle, Leipzig, Chemnitz, Magdeburg, Beelitz oder Harz) erschienen sind, liegt nun ein Sammelband zu Sachsen-Anhalt vor. In 28 Städten und Orten des mitteldeutschen Bundeslandes hat Mielzarjewicz knapp fünfzig Objekte dieser versinkenden Welt in Schwarz-Weiß-Fotos dokumentiert – von Bad Schmiedeberg bis Zörbig. Der Schwerpunkt liegt dabei natürlich bei den beiden Industriestädten Halle und Magdeburg.

In der Saalestadt sind es acht Objekte: Raumflug-Planetarium, Gravo-Druck, Azetylenwerk (Reideburger Str.), Lokhallen, Hildebrandsche Mühle, Julius-Kühn-Haus und Freyberg-Brauerei, die vorgestellt werden. Die Landeshauptstadt ist z.B. mit dem Kristallpalast, dem Messgerätewerk „Erich Weinert“ oder dem Reichsbahnausbesserungswerk vertreten. Interessant und den meisten Lesern sicher unbekannt, sind sicher die „Lost Places“ in den kleineren Orten wie das Kraftwerk in Calbe, die Malzfabrik in Köthen, die Fischfabrik Geiseltal, das Bergbad Petersberg oder die HNO-Klinik in Zerbst.

Man merkt es diesen Fotoaufnahmen an, Marc Mielzarjewicz hat sich Zeit genommen. Neben großformatigen Fotos ganzer Fabrikgebäude zeigt er viele kleine beeindruckende Details aus dem Innern der Ruinen. Dem Fotografen geht es bei seinen fotografischen Momentaufnahmen nicht um Inszenierungen, sondern um die Sichtbarmachung einer anderen Welt der Dinge. Trotz der Schwarz-Weiß-Technik und trotz des Fehlens von Menschen kommt jedoch niemals Monotonie auf. Es müssen nicht immer allseits bekannte Hochglanzmotive sein, die einer Fotografie Wert verleihen, auch Rost und Verfall haben eine besondere Ästhetik.

Die Fotos erzählen aber auch Geschichten. Zu den festgehaltenen Ruinen gibt es ja stets ein Vorher, denn sie waren einst Arbeits- Wohn- oder Erholungsstätten. Das wird bei vielen Betroffenen sicher Erinnerungen wachrufen. Und es gibt historische Geschehnisse, die diese Gebäude und Industrieanlagen in diesen Zustand versetzt haben.

Zu allen vorgestellten Objekten haben Sabine Ulrich und Erik Neumann (Stadtmuseum Halle) einen kurzen (dt./engl.) Text geschrieben, der einige baugeschichtliche Erläuterungen für das jeweilige Bauwerk gibt. Diese Fotos sind nicht nur Zeugnisse einer vergangenen Zeit, sie sind auch mitunter beschämende Dokumente unserer Gegenwart. Ein nicht alltäglicher Reiseführer!

Marc Mielzarjewicz: „Urban Explorer – Lost Places in Sachsen-Anhalt“, Mitteldeutscher Verlag Halle 2017, 19,95 €, 320 S., ISBN 978-3-95462-734-9

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