Ein Dorf erzählt

18. Januar 2017 | Rezensionen | Keine Kommentare

Die mdv-Neuerscheinung „Havel, Hunde, Katzen, Tulpen“ kommt nicht nur mit einem ungewöhnlichen Titel daher sondern auch mit einem ungewöhnlichen Dischereit_Esther_Garz erzähltFormat: nicht einmal Vokabelheft-Größe. Auch

In der Einleitung erfährt man dann, dass das Garz-Projekt eine Arbeit des Instituts für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst Wien war. Garz ist ein kleiner Ort in Sachsen-Anhalt, südlich der Hansestadt Havelberg. Junge österreichische Autorinnen und Autoren (acht Studierende) machten sich mit ihrer Professorin Esther Dischereit auf, um die 145-Seelen-Gemeinde zu besuchen. Unter dem Motto „Sprich, schreibe, studiere“ suchten sie Dorfbewohner auf, um deren Lebensgeschichte zu erfahren. Nach dem Zufallsprinzip kamen die Studierenden so mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen, die zumeist auch bereitwillig Auskunft gaben: mit der Lehrerin, mit der Frau des Fischers, mit Otto und Marlies, die von den 1950er Jahren im Dorf erzählen, oder mit Heike und Gerd Schulz, die erst 1987 nach Garz gekommen waren und das Haus der Großtante umbauten.

Die neugierigen Autoren/innen erfahren von den schlechten Einkaufsmöglichkeiten im Ort, von der Stasi-Vergangenheit mancher Garzer, von den Havelhöfen, die eingerichtet wurden, und wie die Wende so manches im Dorf radikal verändert hat. Vieles wurde wahrheitsgemäß berichtet, manches sicher beschönigt oder zur Lebenslüge umgeformt. Trotz der Nähe zu ihren Gesprächspartnern wahrten die Schreibenden stets die nötige Distanz. Schließlich waren die persönlichen Texte für die Öffentlichkeit gedacht. Nach der Niederschrift der Gespräche gab es jedenfalls ein weiteres Treffen mit den Bewohnern/innen von Garz, wo noch einmal die Sichtweise auf die Dinge und die Vergangenheit diskutiert wurde.

„Havel, Hunde, Katzen, Tulpen“ ist ein interessantes und aufschlussreiches Porträt eines winzigen Ex-DDR-Dorfs. Durch die verschiedenen Autoren/innen sind auch Texte in unterschiedlichen Tonarten entstanden: von der Beschreibung bis zum Dialog. Das Projekt war ursprünglich als ein pädagogisches Experiment gedacht, wurde dann aber zu einer ostdeutschen Geschichtsbeschreibung, denn Garz und seine Bewohner gab es zwischen Ostsee und Erzgebirge überall zu finden.

manfred18

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